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- AZ 48/2015
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Wer fragt, der führt
Vom richtigen Gebrauch systemischer Fragen
Beim systemischen Fragen geht es nicht primär um den Erkenntnisgewinn, vielmehr soll der Gesprächspartner auf neue Möglichkeiten aufmerksam gemacht und zum Nachdenken angeregt werden. Anwendungsmöglichkeiten in der Apotheke bestehen z. B. in der Konfliktklärung, beim Entwickeln neuer Ideen und deren Umsetzung, beim Finden neuer Ziele und im Kleinsten: bei der alltäglichen Beratung und Personalführung.
Den Kunden wahrnehmen – gezielt fragen
Normalerweise reagieren wir nur auf den geäußerten Wunsch. Wenn Sie den Kunden vom Betreten der Apotheke bis zum Abschluss des Gesprächs als ganzen Menschen beobachten, fällt Ihnen vielleicht auf, dass er besonders gestresst oder erschöpft wirkt, gerötete Augen hat oder sich vollkommen hektisch bewegt. Sie geben die geforderten Nasentropfen inklusive Beratung ab und fragen vielleicht, ob er sonst noch einen Wunsch hat, was er verneint. Sinnvoller ist daher vielfach, anders zu fragen: „Was könnte Ihnen jetzt sonst noch gut tun?“, „Was kann ich Ihnen außerdem geben, damit Sie sich besser fühlen? Hilft ein Tee oder etwas zur Entspannung?“ Wenn Sie sein Umfeld mit einbeziehen: „Was würde Ihre Frau Ihnen noch empfehlen, wenn ich sie fragen würde?“ Der Kunde: „Ach ja, etwas gegen Husten, für nachts!“ Das muss natürlich zur Situation passen.
Ein anderes Beispiel: Eine ältere Dame seufzt, ihre Schwiegertochter sei immer wieder krank und sie selbst müsse dann die Enkel hüten. Ihre Frage: „Was glauben Sie, was Ihre Schwiegertochter sich wünschen würde, wenn Sie ihr etwas von uns mitbringen möchten?“ Hier kommt dann entweder die Idee in Richtung Vitamine, Abwehrkraftsteigerung oder entspannungsförderndes Mittel.
Einem Kunden, der laut überlegt: „Was wollte ich denn noch, da war doch noch was?“ geben Sie ein Bild: „Stellen Sie sich in Gedanken vor Ihre Hausapotheke: Wenn die sprechen könnte, welche Antwort käme auf Ihre Frage: Was fehlt Dir noch, damit Du Dich vollständig fühlst?“ Das ist natürlich schon sehr weit gegriffen. An dieser Stelle noch einmal die eindringliche Aufforderung an Sie als Leser: Ihre Worte sollten immer zu Ihnen passen, Sie sollen sich gut fühlen mit Ihrer persönlichen Ausdrucksweise; zwingen Sie sich nicht, die Sätze anderer zu Ihren eigenen zu machen. Ich selbst kann durchaus auf die geschilderte Art agieren, das ist aber nicht „jederfrau“ Sache, probieren Sie aus, was für Sie optimal ist.
Mit dem Team nach vorne sehen
In Sitzungen, bei Konflikten oder auch in vielen anderen Ausgangssituationen sollten die Fragen weiterführend, in die Zukunft weisend sein. Nicht „Wieso, weshalb, warum?“ oder die Schuldfrage bringt uns weiter, sondern der Blick nach vorne hilft. Dabei ist jede Reaktion als wertvoll anzusehen und zu schätzen. „Was brauchen wir, damit dieses oder jenes geschieht? Wie bekommen wir es?“ Es gibt nicht nur die eine richtige Antwort, sondern je nach Blickwinkel mehrere Realitäten, erst das Zusammenwirken verschiedener Faktoren rundet das Ganze ab. Raus aus den Richtig-falsch-Schubladen, hin zur wertungsfreien Akzeptanz des Status quo in seiner Vielfältigkeit! Mitarbeiterinnen* werden durch mehr Beteiligung und Mitbestimmung motiviert, die Chefin entlastet. Wenn etwas nicht so gut funktioniert wie gedacht, liegt die Verantwortung bei allen, nicht nur bei der Inhaberin. Es sind alle zuständig, um neue Wege und Variationen zu finden. Ist eine Idee dabei, die im aktuellen Zusammenhang nicht passt, bedeutet sie womöglich in einem anderen Kontext das „Ei des Kolumbus“. Notieren Sie sie in Ihrem Fundus.
Zirkuläre Fragen
Bei einer zirkulären Frage ist die Meinung eines anderen von Bedeutung. Wenn beispielsweise immer weniger Kunden kommen als noch vor drei Jahren, stellen Sie im Team die Frage: „Was glauben Sie, wie unsere Kunden uns sehen? Wofür stehen wir?“ In den Antworten lassen sich recht verschiedene Hinweise finden, was Sie beibehalten bzw. ändern sollten. Das ist natürlich nur einer von vielen Aspekten in Bezug auf eine gesunde wirtschaftliche Betriebssituation.
Jemanden anderen fiktiv einzubeziehen hat den Vorteil, dass Betroffene aus ihrem „emotionalen Sack“ herausklettern und mit dem Blick von außen ein klares Bild bekommen. Wenn zwei Mitarbeiterinnen sich schon länger nicht mehr einig sind und sich ständig ineinander verhaken, helfen folgende Fragen: „Was vermuten Sie, wie nehmen die anderen Sie beide wahr? Was wünschen die sich von Ihnen? Wie sollten Sie sich verhalten, damit das Miteinander aller wieder besser läuft?“ Oder: „Wenn wir einen unsichtbaren Berater hier im Raum hätten, was würde der Ihnen beiden raten, damit Sie sich wieder auf Ihre Arbeit konzentrieren können?“
Zu guten Ergebnissen verhilft auch das Umdeuten. Die Psychologin Carmen Kindl-Beilfuß empfiehlt „Reframen“ als außerordentlich wirksames Mittel, mentale Sackgassen zu verlassen und neue Wege zu finden: „Neue Worte schaffen neue Gefühle.“ Wirft Ihre Angestellte Frau Schmidt ihrer Kollegin Frau Müller vor, sie wäre launisch, fragen Sie Frau Schmidt: „Woran merken Sie, dass Frau Müller sehr emotional ist, was macht sie dann?“, „Was stört Sie daran, dass Frau Müller so sensibel ist, was daran erschwert die Arbeit für Sie?“, „In welchen Situationen ist das so und wie oft erleben Sie sie dagegen nach Ihrem Verständnis als normal und kooperativ?“
Wollen Sie als Apothekenleiterin eine Beschwerde so klären oder empfinden Sie das als zu aufdringlich, therapeutisch oder in anderer Weise unpassend? Bleiben Sie auch hier bei Ihrer Art, bei dem, was Ihnen liegt.
Literatur
Kindl-Beilfuß, Carmen
Fragen können wie Küsse schmecken. Systemische Fragetechniken für Anfänger und Fortgeschrittene.
Carl-Auer Verlag 2015
ISBN 978-3-89670-624-9
Ellebracht, Heiner / Lenz, Gerhard / Osterhold, Gisela
Systemische Organisations- und Unternehmensberatung. Praxishandbuch für Berater und Führungskräfte.
Gabler Verlag 2011
ISBN 978-3-8349-6920-0
Zu beziehen über:
Deutscher Apotheker Verlag, Birkenwaldstraße 44, 70191 Stuttgart
Telefon 0711 2582-341, Telefax 0711 2582-290, E-Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de
Hypothetische Fragen
Eine andere Art von systemischen Fragen sind die hypothetischen. Stellen Sie sich vor, Ihre Mitarbeiterin möchte eine berufsbegleitende mehrjährige Weiterbildung absolvieren. Sie muss die Arbeitszeiten darauf einstellen und erhofft eine Kostenbeteiligung Ihrerseits. Ihre Fragen: „Gesetzt den Fall, Sie beginnen den Kurs und schließen ihn auch erfolgreich ab, was wird dann hier anders? Woran erkennen wir, dass Sie jetzt mehr können? Und welchen Nutzen haben die Kunden davon? Wie ist es mit den Kolleginnen: Glauben Sie, dass die bereit sind, in der ganzen Zeit für Sie am Wochenende zu arbeiten?“
Eine weitere Anwendungsmöglichkeit: Sie möchten klare Zuständigkeiten einzelner Mitarbeiterinnen. Genauso, wie es eine QM-Beauftragte gibt, ist jemand grundsätzlich ansprechbar für Rezepturbelange, Sprechstundenbedarf usw. Normalerweise bestimmen Sie selbst oder fragen eine Angestellte, ob sie dieses oder jenes Aufgabengebiet übernehmen kann. Systemisch gedacht: Benennen Sie die Gebiete und fragen sie in der Gruppe, wer wen für was geeignet hält. Jede weiß aus Erfahrung, wo die Talente anderer liegen und traut ihnen das Machbare zu. „Wenn Frau Meyer für diesen Bereich zuständig wäre, was würde besser funktionieren als jetzt?“ Dieser Fragentypus ist gleichzeitig zirkulär und hypothetisch.
Ein besonderer „Leckerbissen“ und schnell zu beantworten sind paradoxe Fragen. „Was müssen wir tun, damit es noch schlimmer wird?“ War man vorher blockiert bei der Findung von Lösungen, sprudeln die Antworten jetzt heraus. Alles wird aufgeschrieben und am Ende steht die Aufforderung: „Prima, dann machen wir jetzt in allen Punkten das Gegenteil!“
Die Einstellung der Führungskraft
Die Apothekenleiterin ist hoffentlich absolut überzeugt davon, dass ihre Mitarbeiterinnen kompetent und willig sind, gute Lösungen zu finden – das ist die Voraussetzung für das Arbeiten mit systemischen Fragen. Sie konzentriert sich dabei auf das Moderieren, um die Übersicht zu behalten, statt selbst mit in das jeweilige Thema hineinzugleiten. Falls sie zweifelt oder nur ihre eigenen Ideen für gut hält, kann sie sich das Ganze sparen.
Leider ist die vermeintliche Omnipotenz der Führungskräfte nach wie vor erschreckend. „Noch immer gilt es als kompetent, wenn einige wenige Personen alles zu verstehen und zu wissen glauben, statt die unterschiedlichen Fähigkeiten der Mitarbeiter und Positionen zu nutzen. Es ist von größter Bedeutung, dass hier auch Vorurteile und Grenzen der Berufsgruppen (…) überwunden werden.“ Das betont das Praxishandbuch der Autoren Ellebracht, Lenz, Osterhold, die sich speziell mit systemischen Techniken in Organisationen auseinandergesetzt haben. Sie vergleichen den Arbeitsplatz oder eine Firma mit einem Ökosystem, in dem nichts isoliert passiert, sondern sich alle Faktoren in einem Gefüge, eben einem System gegenseitig beeinflussen. Wenn eine Veränderung geschieht, etwas schief geht, sollte man daher das ganze Miteinander anschauen und sich nicht auf einen Faktor fixieren, sei es eine Mitarbeiterin, das Betriebsklima oder ein Kunde. |
Ute Jürgens ist Kommunikationstrainerin mit Spezialisierung auf die Heilberufler, Dipl. Erwachsenenpädagogin und PTA, www.kommed-coaching.de
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