INTERPHARM 2015 – ApothekenRechtTag

Was tun bei Abmahnungen?

Tipps nach den Erfahrungen mit dem Massenabmahn-Duo Becker/Wagner

ks | Ende letzten Jahres verhagelten der Leipziger Rechtsanwalt Christoph Becker und sein Mandant Hartmut Wagner, Apotheker aus Schwäbisch Hall, vielen Apothekern die Vorweihnachtszeit: Massenhaft verschickten sie Abmahnungen und verlangten innerhalb kurzer Fristen Unterlassungserklärungen und beachtliche Geldsummen. Bei Nichtzahlung drohten sie nicht nur ihre vermeintlichen Ansprüche gerichtlich durchzusetzen, sondern auch mit Kammeranzeigen. Dieser Fall war sicher der ­Gipfel der Dreistigkeit – doch ­Abmahnungen sind angesichts der vielen rechtlichen Vorgaben, die Apotheken einzuhalten haben, keine ­Seltenheit mehr. Was tun, wenn eine Abmahnung in die Apotheke ­flattert? Hierauf gab Rechtsanwalt Dr. Timo Kieser von der Stuttgarter Kanzlei Oppenländer beim ApothekenRechtTag Antworten.

Dr. Timo Kieser

Kieser hat im Fall der Massenabmahnungen von Becker/Wagner im Auftrag des Deutschen Apotheker Verlags hunderte betroffene apotheken.de-Kunden rechtlich unterstützt. Sein wichtigster Ratschlag bei einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung: Niemals überstürzt vorformulierte Unterlassungserklärungen abgeben oder Zahlungen leisten. Das galt im Fall Becker/Wagner – und sollte auch in Fällen beherzigt werden, die weniger offensichtlich rechtsmissbräuchlich sind. Ob eine Abmahnung wirklich begründet ist, lässt sich unter Umständen schnell selbst feststellen. Wer unsicher ist, sollte aber die Hilfe eines Anwalts in Anspruch nehmen. So ist zunächst zu prüfen, ob der Ab­mah­nende „aktivlegitimiert“ ist, also überhaupt berechtigt ist, Unterlassung zu fordern. Das ist bei Apothekern etwa der Fall, wenn der abmahnende Kollege oder auch ein anderes Unternehmen in einem „konkreten Wettbewerbsverhältnis“ mit dem Abgemahnten steht. Das heißt, beide Seiten müssen gleichartige Waren oder Dienstleistungen im selben Endabnehmerkreis anbieten. Eine Apotheke in Schwäbisch-Hall, die keinen Versandhandel betreibt, kann somit nicht im konkreten Wettbewerb mit einer Apotheke in Hamburg stehen. Anders wäre es, wenn beide Apotheken ihre Waren auch versenden würden. Neben ­einzelnen Wettbewerbern können auch Wettbewerbsverbände oder Apothekerkammern abmahnen.

Ist eine Aktivlegitimation gegeben, ist zu prüfen, ob die behaupteten Verstöße tatsächlich begangen wurden. Im Fall Becker/Wagner wurde etwa die Vernachlässigung von Impressumspflichten abgemahnt. Während die Firmierung (e. K.) tatsächlich zu den Pflichtangaben gehört, zählt die Angabe der Berufshaftpflichtversicherung nicht dazu. Berechtigt war beispielsweise auch, den Verkauf melatoninhaltiger Nahrungsergänzungsmittel oder die fehlende Angabe des Alkoholgehalts bei alkoholhaltigen Arzneimitteln zu rügen. „Definitiv unberechtigt“ war es laut Kieser jedoch, wegen der Vorbestellmöglichkeit von Betäubungsmitteln oder thalidomidhaltigen Arzneimitteln abzumahnen. Diese Vorbestellmöglichkeit, wie sie etwa die Internetplattform apotheken.de bietet, ist natürlich gerade kein Inverkehrbringen im Wege des Versandhandels.

Rechtsmissbrauch?

Selbst wenn die Vorwürfe teilweise ­begründet sind, kann es rechtsmissbräuchlich sein, sie geltend zu machen. Ein solcher Missbrauch liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn der Abmahnende nach den Umständen des Einzelfalls überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen verfolgt, die als eigentliche Triebfeder und beherrschendes Motiv für die Geltendmachung der Ansprüche erscheinen. Dann erlöschen sogar etwa­ige tatsächliche Ansprüche. Im Fall ­Becker/Wagner war unter mehreren Aspekten von Rechtsmissbrauch auszugehen. Unter anderem, wegen der massenhaften (!) Abmahnung teilweise nur geringer Verstöße. Aber auch die Gestaltung der Abmahnung mit fettgedruckter Drohung, die Aufsichtsbehörde einzuschalten, was zu einem „Zulassungsverlust“ führen könne, kombiniert mit sehr kurzen Fristen (fünf Tage für einen „Vergleich“), ist laut ­Kieser Indiz für einen Missbrauch.

Wer nicht auf eine Abmahnung reagiert, muss an die Folgen denken. Es könnte eine einstweilige Verfügung drohen – jedenfalls, wenn der gerügte Wettbewerbsverstoß plausibel scheint und Dringlichkeit vorliegt. Für den Abmahnenden heißt das: Er muss schnell – innerhalb von vier bis sechs Wochen – nach Kenntnis des Verstoßes tätig werden. Im Fall Becker/Wagner stammten die beanstandeten Screenshots vielfach vom August 2014, die Abmahnung erfolgte aber erst Anfang Dezember – eine einstweilige Verfügung hätte hier keine Chance gehabt. In anderen Fällen mag sie durchgehen. Wer dann gegen eine gerichtliche Untersagung verstößt, läuft Gefahr, dass ein Ordnungsgeld ­gegen ihn verhängt wird. |

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