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Aus den Ländern
Der geriatrische Patient
Fortbildungskongress im Ostseebad Damp
In der Begrüßung erklärte Kammerpräsident Gerd Ehmen, die Apotheker sollten konsequent zu ihren Werten stehen. Die Arzneimittelversorgung müsse Apothekersache sein und frei von berufsfremden Einflüssen gehalten werden. Wichtig sei aber auch ein angemessenes Honorar, in dem die Leistungs- und die allgemeine Kostenentwicklung berücksichtigt werden. Zudem forderte Ehmen, „dass heilberufliche Leistungen in unseren Betrieben auch weitgehend ungehindert erbracht werden können müssen und nicht in einer Flut von zunehmender Überbürokratisierung, Regulierung und Präqualifizierung versinken“.
Polypharmazie erhöht Risiken
Dr. Adrian Rosada, Berlin, betonte, dass Menschen in hohem Lebensalter eine sehr heterogene Population bilden. Um den Zustand eines Patienten zu beschreiben, habe sich das „geriatrische Assessment“ etabliert. Dabei wird die Alltagskompetenz anhand der physischen und kognitiven Fähigkeiten des Patienten und seines emotionalen und sozialen Zustandes bewertet, um letztlich eine angemessene Behandlung auswählen zu können.
Prof. Dr. Jens-Martin Träder, Lübeck, hob die große Zahl der Diagnosen hervor, die für viele ältere Patienten gestellt werden. Es sei gefährlich, dass die Ärzte gehalten seien, dies alles leitliniengerecht zu therapieren. Denn durch Polypharmazie steige die Gefahr für Neben- und Wechselwirkungen, und oft stehe ein Arzneimittel am Anfang einer Kette von Problemen. Träder appellierte an die Apotheker, bei befürchteten Unverträglichkeiten oder Wechselwirkungen den Arzt anzurufen, auch wenn es bei einigen Ärzten anfangs Befremden gäbe.
Richtige Arzneimittel richtig dosieren
Prof. Dr. Petra Thürmann, Wuppertal, warnte vor unangemessenen Dosierungen im Alter. Angesichts der oft eingeschränkten Nierenfunktion und durch die veränderte Ausprägung von Rezeptoren und Signaltransduktionswegen seien die Standarddosierungen oft zu hoch. Überdosierungen, die sich als Verwirrtheit äußern, würden oft nicht erkannt. Als herausragende Nebenwirkung hob Thürmann anticholinerge Effekte hervor. Eine Dauerbehandlung treibe Ältere systematisch in den Kognitionsverlust. Doch auch kurzfristig könnten Mundtrockenheit, Mydriasis und Schläfrigkeit erhebliche Folgen haben. Dies könne sogar bei der Gabe von Antibiotika wie Fluorchinolonen auftreten. Als besonders häufigen Grund für Krankenhausaufnahmen bei Älteren nannte Thürmann Elektrolyt-Entgleisungen durch Diuretika. Als federführende Autorin der Priscus-Liste warb sie dafür, diese Liste im Alter potenziell unangebrachter Arzneimittel zu beachten. Der Zusammenhang zwischen der Verordnung dieser Arzneimittel und gehäuften Oberschenkelhalsfrakturen sei belegt. Zudem beklagte Thürmann, dass Nebenwirkungen einer ambulanten Medikation in Krankenhausentlassungsbriefen oft nicht deutlich angesprochen werden. Doch sie schloss mit einem optimistischen Appell zum Umgang mit arzneimittelbezogenen Problemen: „Das schaffen wir alle gemeinsam.“
Mangelernährung vermeiden
Die ernährungswissenschaftliche Seite der Geriatrie beschrieb Priv.-Doz. Dr. Kristina Norman, Berlin. Während der Energiebedarf im Alter eher sinkt, steigt der Bedarf an Proteinen, Vitaminen und Mineralstoffen. Ältere sollten täglich ein Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen. Auch Übergewicht schützt nicht vor Fehlernährung. Mangelernährung sei im Alter häufig und führe durch Stürze, erhöhte Infektionsraten und Wundheilungsstörungen zu schlechterer Lebensqualität und höheren Kosten. Ältere sollten nicht unreflektiert abnehmen, denn nach einem Gewichtsverlust können sie ihren ursprünglichen Zustand meistens nicht wieder erreichen. Bei Senioren dürfe der Fettgehalt der Nahrung höher sein, und es sollte insbesondere über die Supplementierung von Vitamin D, Folat, Calcium und Magnesium nachgedacht werden. Bei einer Energiezufuhr unter 1500 Kilokalorien täglich seien Supplemente obligat.
Die häufigsten Probleme im Alter
Delir und Stürze sind im Alter verbreitet und zugleich die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen im Alter, erklärte Dr. Tania Zieschang, Heidelberg. Nach einem Sturz entwickeln etliche Patienten eine Sturzangst, die das Risiko weiter erhöht. Zur Prävention erklärte Zieschang: „Es gibt für nichts so gute Daten wie für Bewegung und Training.“ Besonders Kraft- und Balancetraining seien zu empfehlen. Außerdem sollte die Medikation hinterfragt werden. Für Muskeln und Knochen biete sich die Gabe von Vitamin D an. Das Delir ist als Störung der Aufmerksamkeit definiert – und nicht nur als Entzugssymptom wie im früheren Sprachgebrauch. Es ist ein akutes Hirnversagen und daher ein Notfall. Es kann besonders bei Älteren das einzige Zeichen einer schweren Erkrankung sein – von einer Infektion bis zum subakuten Herzinfarkt. Da das Delir ein cholinerges Defizit ist, vergrößern anticholinerg wirkende Arzneimittel die Probleme. In diesem Zusammenhang mahnte Zieschang, die Medikation sehr alter Patienten zu prüfen: Hirn und Muskeln seien für die Lebensqualität wichtiger als alle anderen Organe – und die Lebensqualität sei im sehr hohen Alter wichtiger als die Mortalität.
Prof. Dr. Georg Kojda, Düsseldorf, betonte die große Verbreitung von Schmerzen bei Älteren, die diese oft nur ungenügend kommunizieren. NSAR sollten bei Älteren nur für kurze Zeit gegeben werden. Für längere Behandlungen sei Paracetamol geeignet. Senioren dürfen jedoch höchstens 500 mg Paracetamol als Einzeldosis und höchstens 2 g täglich erhalten. Opioide sollten nach einem festen Schema und nicht nach Bedarf gegeben werden. Da insbesondere viele schwache Opioide Prodrugs sind, können sie aufgrund der individuellen Enzymausstattung sehr unterschiedlich wirken. Zudem sind bei Schmerzmitteln Unterschiede in der Bioverfügbarkeit direkt wahrnehmbar.
Priv.-Doz. Dr. Andreas Wiedemann, Witten, betonte, dass viele altersspezifische Probleme mit Inkontinenz verknüpft sind. Als wesentliche Formen werden die Belastungsinkontinenz und die überaktive Blase unterschieden. Als problematisch sieht er die „Multiiatrogenität“ wegen der Neben- und Wechselwirkungen vieler Arzneimittel. Beispielhaft nannte er Antidementiva, deren Wirkungsmechanismus die überaktive Blase vorantreibe. Letztlich forderte er, Arzneimittel nach der Wirkung zu dosieren.
Constanze Rémi, München, beschrieb die Aufgaben von Apothekern in der Palliativversorgung. Dort werde häufig sehr unkonventionell gearbeitet, wobei das pharmazeutische Wissen sehr wichtig sei. Insbesondere zur pharmazeutischen Technologie bestehe bei den anderen Berufsgruppen viel Unwissenheit. Trotz der Besonderheiten der Palliativmedizin gelte dort erst recht das Gebot, den Patienten nicht zu schaden. Zudem sollten neben der Physis auch psychische, soziale und spirituelle Aspekte beachtet werden, forderte Rémi.
Vielfältiges Programm
Neben dem wissenschaftlichen Programm bildeten sich etwa 140 PTA und PKA in Praxisworkshops fort. Die Tagungsteilnehmer konnten in den Pausen in einem Geriatrie-Parcours an sieben Stationen selbst erfahren, zu welchen Beeinträchtigungen das Leben im Alter führen kann. Vom Tropfenzählen und Tablettenteilen mit einer sichtverzerrenden Brille bis zu einem Slalom im Rollstuhl waren unterschiedliche Herausforderungen zu meistern.
Auch der Gala-Abend der seit über 20 Jahren bewährten Veranstaltung in Damp war wieder bestens besucht.
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