Dekubitus

Dekubitus – ein Tabu-Thema?

Wege zu qualifizierter Hilfe

Von Markus Zieglmeier | Die zunehmende Zahl pflegebedürftiger, insbesondere bettlägeriger Patienten führt immer häufiger zu einer Überforderung der Pflegekräfte und damit auch zur Entstehung chronischer Druck­geschwüre an Stellen, auf denen die Patienten zu lange aufliegen oder an denen Scherkräfte auf die Haut einwirken. Auch wenn niemand ein Patentrezept gegen den Missstand anzubieten hat, ist doch klar, was am wenigsten hilft: den Mantel des Schweigens darüber zu breiten.

Am 20. November 2014 war der weltweite Anti-Dekubitus-Tag. Das Echo in der deutschen Fachpresse war bestenfalls mau, in der Laienpresse war es praktisch nicht vorhanden. Dekubitus ist kein beliebtes Thema. Für die Patienten und ihre Angehörigen steht das Wort für Leid, Schmerz und körperlichen Verfall, für die Pflegekräfte ist es ein Schreckgespenst. Dekubitus war in der Rechtsprechung lange Zeit ein Pflegefehler, der für den ambulanten Pflegedienst oder das Pflegeheim teuer werden konnte, wenn Patienten oder Angehörige sie verklagten. Unter bestimmten Bedingungen, insbesondere bei mangelnder Dokumentation, gilt das auch heute noch, obwohl sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass nicht jeder Dekubitus unter allen Umständen vermieden werden kann. Alleine diese juristische Bedrohung erhöht schon den Druck und sorgt zusammen mit der allgegenwärtigen Arbeitsüberlastung dafür, dass gerade in der Altenpflege gut ausgebildetes Pflegepersonal Patienten den Rücken kehrt und lieber dort arbeitet, wo man mit geringerem Risiko und weniger Belastung mehr Geld verdienen kann.

Dekubitus ist eines von mehreren Antriebsrädchen im sich immer schneller drehenden Teufelskreis des Pflegenotstands mit typischen Folgen. Beispielsweise bitten überforderte Pflegekräfte die Ärzte, agitierten Dementen Psychopharmaka wie Risperidon oder Melperon zu verordnen, um sie ruhigzustellen und dadurch den personellen Zeitaufwand zu reduzieren. Das ist möglicherweise bereits der nächste Teufelskreis. Denn dass die „chemische“ Immobilisierung dementer, aber durchaus noch mobiler und (hyper-) aktiver Menschen deren Dekubitusrisiko erhöht, leuchtet ein.

Dekubitus wird unterschätzt

Viele Angehörige pflegebedürftiger Patienten entscheiden sich mangels Vertrauen in Pflegeeinrichtungen dafür, die Sorge um ihre Lieben selbst zu übernehmen – und überschätzen sich und ihre Möglichkeiten dabei gewaltig. Wundliegen zu verhindern erfordert neben den richtigen Hilfsmitteln auch pflegerisches Know-how. Wer je ein tiefes Dekubital-Ulkus gesehen (und gerochen) hat, empfindet das Wort „Wundliegen“ für alle Zeit als fatale Verharmlosung.

Der Co-Kommentator der ARD-Fußballübertragungen Mehmet Scholl zeigte sich einmal besorgt, ein etwas passiver (nichtsdestotrotz angemessen muskelbepackter) Mittelstürmer könnte sich an der gegnerischen Strafraumgrenze wundliegen. Mit genau dieser naiven Einstellung begegnen Laien dem Phänomen Dekubitus. Und dann sehen sie plötzlich am Sacrum oder Beckenkamm eines nahen Angehörigen, an einer Stelle, die kurze Zeit vorher nur gerötet war, ein flächiges, mit gelblich-schmierigem Fibrin belegtes Geschwür. Das passiert jährlich mehr als vierhunderttausend Mal in Deutschland und verursacht Kosten in Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro.

Apotheker als Wissensmanager

In dieser Situation ist von den Betroffenen neben dem Hausarzt der Apotheker in seiner Funktion als Wissensmanager gefragt. Die Vermittlung von Pflegediensten vor Ort ist eine Möglichkeit, Hilfe zu leisten. Die Empfehlung seriöser Informationsquellen im Internet ist heute jedoch fast ebenso wichtig. Die folgenden Adressen können den Betroffenen wirklich nachhaltig weiterhelfen:

  • www.icwunden.de Die Initiative chronische Wunden (ICW), ein im Jahr 2002 von Pflegern, Ärzten und Mitgliedern der Kostenträger gegründeter eingetragener Verein, hat sich das Ziel auf die Fahnen geschrieben, die vorhandenen Kenntnisse über chronische Wunden wie Dekubitus praxisnah und flächendeckend in eine optimale Prophylaxe und Therapie umzusetzen. Die Homepage gliedert sich in Bereiche für Betroffene und für Fachpersonal. Letztere finden auf der Internetseite die aktuellen Leitlinien (die 2014 herausgegebene zweite Ausgabe der NPUAP/EPUAP/PPPIA-Leitlinie liegt noch nicht in deutscher Sprache vor, die englische Version kann aber bereits von der ICW-Internetseite heruntergeladen werden) und können sich in einem Forum zum Wundmanagement austauschen.
  • www.dgfw.de Eine weitere deutschsprachige Wissensquelle ist die (sehr stark ärztlich dominierte) Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V., auf deren Internetseite die aktuelle S3-Leitlinie zur Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit Diabetes mellitus, pAVK und chronische venöse Insuffizienz zu finden ist. Diese Leitlinie befasst sich zwar nicht explizit mit Dekubitus, bietet aber allgemeine Einblicke in die Behandlung chronischer Wunden.

Wer zum Thema Dekubitus in die Tiefe gehen will, kann sich natürlich auch auf den Seiten des National (NPUAP) oder European Pressure Ulcer Advisory Panel (EPUAP) ­informieren. Bei Eingabe des Suchbegriffs „NPUAP“ im deutschsprachigen ­Google ­erscheint als erster Treffer eine deutsche Kurzanleitung zur Dekubitusprophylaxe. Die ­Suche nach der Pan Pacific Pressure ­Injury Alliance (PPPIA), die ebenfalls an der Aus­arbeitung der aktuellen Dekubitus-Leitlinie beteiligt war, ist für die Beschaffung deutschsprachiger Informationen unergiebig.

Die Arbeit mit solchen Wissensquellen ist nicht nur für uns als Pharmazeuten sinnvoll, sondern auch für die Pflegekräfte und – bei zielgruppengerechter Aufbereitung – für die Angehörigen des Patienten. Es ist wichtig, den Betroffenen zu vermitteln, dass sie mit der Problematik nicht alleine sind und dass es Mittel gibt, einen Dekubitus zu verhindern bzw. zur Abheilung zu bringen und dass es selbst für tiefe Ulzera noch Behandlungsmöglichkeiten gibt. |

Autor

Dr. Markus Zieglmeier, Apotheker, studierte Pharmazie an der LMU in München und ist seit 1989 in der ­Apotheke des Klinikums München-­Bogenhausen tätig. Promotion zum Dr. rer. biol. hum. Fachapotheker für Klinische Pharmazie, Zusatzbezeichnungen Medikationsmanager BA KlinPharm, Ernährungsberatung und ­Geriatrische Pharmazie.

Seit 2002 ist er verstärkt als Referent und Autor tätig.

Dr. Markus Zieglmeier, Städt. Klinikum München, Apotheke Klinikum ­Bogenhausen, Englschalkinger Str. 77, 81925 München

mzieglmeier@gmail.com

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