Arzneimittel und Therapie

Eine gegen (fast) alles

ASS, Atorvastatin und Ramipril als Fixkombination: Fakten und Meinungen zur Polypille

jb | Die Idee, mehrere Wirkstoffe, die häufig gemeinsam eingenommen werden, in einer Tablette zu kombinieren, ist nicht neu. Kombinationspräparate reduzieren die Zahl der einzunehmenden Tabletten und können so dazu beitragen, die Adhärenz zu verbessern. In der HIV- oder der antihypertensiven Therapie sind Zwei- und Dreifachkombis Standard. Mehrere Substanzen sollen aufgrund ihrer (meist) unterschiedlichen Wirkmechanismen synergistisch wirken. Mit der fixen Kombination aus Acetylsalicylsäure, Atorvastatin und Ramipril (Sincronium®) ist in Deutschland erstmalig ein Präparat erhältlich, das drei unterschiedliche therapeutische Wirkansätze in einem Präparat vereint : Thrombozytenaggregationshemmung, Cholesterol- und Blutdrucksenkung.

Seit 1. Juli ist die Polypille auf dem Markt. Indiziert ist sie zur Sekundärprophylaxe von kardiovaskulären Ereignissen. Das Kombinationspräparat soll bei erwachsenen Patienten, die mit den Einzelwirkstoffe gut eingestellt sind, diese ersetzen. Im Folgenden sind einige Fakten zur Polypille zusammengefasst.

Foto: topntp – Fotolia.com

Ein Medikament statt drei,die erste Polypille macht es möglich.

Was ist drin?

Sincronium® enthält den HMG-CoA-Reduktase-Inhibitor Atorvastatin, den ACE-Hemmer Ramipril sowie Acetylsalicylsäure zur Thrombozytenaggregationshemmung. Während die Dosierungen des Statins und von ASS mit 20 mg bzw. 100 mg fix sind, hat man bei Ramipril die Wahl zwischen drei Wirkstärken, 2,5 mg, 5 mg sowie 10 mg. Das Ganze ist umhüllt von einer Gelatinekapsel. Außerdem sind mit Lactose und Soja-Lecithin zwei Stoffe enthalten, die potenziell Unverträglichkeiten auslösen können.

Was sagen die Leitlinien?

Grundsätzlich werden alle drei Substanzen von den gültigen Leitlinien zur Sekundärprophylaxe kardiovaskulärer Ereignisse empfohlen. ASS wird hier üblicherweise in einer fixen Dosierung von 100 mg eingesetzt, so wie sie in Sincronium® enthalten ist. Die übliche Zieldosis für Ramipril nach einem Herzinfarkt sind 10 mg, wenn sie vertragen werden. Die Möglichkeit, zwischen 2,5 mg, 5 mg oder 10 mg zu wählen, bringt hier die notwendige Flexibilität. Sincronium® ist nicht zur Neueinstellung gedacht, sondern nur für Patienten, die auf die Einzelwirkstoffe stabil eingestellt sind. Daher dürfte es kein großes Problem darstellen, dass keine niedrigere Dosis als 2,5 mg verfügbar ist. Auch eine Verteilung der Tagesdosis auf zwei Einzeldosen wäre theoretisch möglich, mit zusätzlicher Gabe eines Ramipril-Monopräparats und Sincronium® in der Hälfte der Zieldosis. Das bedeutet allerdings für den Patienten nicht nur eine zusätzliche Einnahme, sondern ein zusätzliches Präparat. Spannend wird es bei der Atorvastatin-Dosis. Mit 20 mg Atorvastatin wird eine Senkung des LDL-Cholesterols zwischen 38 und 46% erreicht. Patienten, die in der Vergangenheit bereits ein kardiovaskuläres Ereignis hatten, haben prinzipiell ein sehr hohes Risiko. Laut Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) wird dann ein LDL-Zielwert von 70 mg/dl angestrebt. Folglich kommt Sincronium® im Sinne einer leitliniengerechten Therapie nur für Patienten infrage, deren LDL-Ausgangswert nicht über 130 mg/dl liegt. Die amerikanische Leitlinie orientiert sich nicht an Zielwerten, sondern propagiert die sog. Fire-and-forget-Strategie, bei der sich die Dosierung allein nach dem Ausgangsrisiko richtet. So werden dort 20 mg Atorvastatin zur Sekundärprophylaxe nur bei Patienten empfohlen, bei denen bei höheren Dosen Nebenwirkungen zu erwarten sind.

Die Studien

Laut einer Mitteilung des Herstellers Hexal verbessert sich bei gemeinsamer Gabe der Wirkstoffe die Adhärenz relativ um 22 Prozent im Vergleich zur medikamentösen Therapie mit den drei Einzelsubstanzen. Vor dem Hintergrund, dass 33,7 Prozent aller Patienten bereits im ersten Monat nach der Entlassung aus dem Krankenhaus mindestens eins von drei Medikamenten absetzen und 12,1 Prozent aller Patienten sogar alle drei, könnte die Polypille also ein vielversprechender Ansatz sein.

Fraglich ist allerdings, ob die Polypille tatsächlich auch im Hinblick auf Langzeitergebnisse, Gesamtmortalität und kardiovaskuläre Ereignisse der freien Kombination überlegen ist oder nur die Adhärenz steigert. Zu diesem Ergebnis kommt ein Cochrane-Review aus dem Jahre 2014. Die Qualität der aktuell vorhandenen Studie sei eher schlecht, heißt es dort. Zudem seien die Untersuchungen vor allem darauf ausgerichtet, Veränderungen bei den Risikofaktoren zu zeigen als bei der Häufigkeit kardiovaskulärer Ergebnisse. Neben der verbesserten Adhärenz konnte dort lediglich gezeigt werden, dass Kombinationspräparate mehr Nebenwirkungen verursachen. Nach Einschätzung der Cochrane-Autoren sind daher weitere Untersuchungen notwendig, um die Wirksamkeit dieser Präparate auf kardiovaskuläre Ereignisse in der Sekundär- aber auch in der Primärprävention zu untersuchen.

Eine vom Zulassungsinhaber finanzierte Modellrechnung, die im British Medical Journal publiziert wurde, bescheinigt der Fixkombi ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis hinsichtlich seiner Wirkung, kardiovaskuläre Ereignisse zu verhindern.

Klinische Studien zum Nachweis von Wirksamkeit und Sicherheit waren für Sincronium® übrigens nicht erforderlich, da die vorliegenden klinischen Erfahrungen mit den Einzelwirkstoffen sowie mit deren frei kombinierter Anwendung bereits entsprechende positive Belege liefern. Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht ein Blick in die Fachinformation. Der zeigt, dass zum Beispiel für Atorvastatin die angeführten Studien zur Wirksamkeit fast durchwegs mit einer Dosis von 80 mg durchgeführt wurden. Studien mit niedrigerer Dosis (10 mg) konnten die Gesamtmortalität nicht signifikant verringern. Eine positive Tendenz für Atorvastatin sowie Vorteile bei einzelnen Endpunkten konnten jedoch teilweise gezeigt werden. Die Bioäquivalenz von Sincronium® zu den jeweiligen Monosubstanzen wurde durch Bioverfügbarkeitsstudien belegt.

Pharmazeutische Bedenken und Preis

So sehr die Reduktion der Tablettenzahl mit dem Ziel der Adhärenzsteigerung aus pharmazeutischer Sicht auch zu begrüßen ist, gibt es auch in Fachdiskussionen unter Apothekern Kritik an dem neuen Präparat. Hier wurden beispielsweise unterschiedliche Einnahmezeitpunkte des ACE-Hemmers (morgens) und des Statins (abends) genannt. Aber auch die fehlende Möglichkeit, ASS magensaftresistent zu verabreichen, wurde kritisiert.

Mit einem Preis von knapp 100 € (AVP) kostet Sincronium® fast dreimal soviel wie die freie Kombination der patentfreien Wirkstoffe. Eine Festbetragsgruppe existiert nicht, das bedeutet, nach aktuellem Kenntnisstand wird das Präparat von der GKV erstattet. Einer frühen Nutzenbewertung muss sich das Präparat nicht unterziehen. Der Grund: es handelt sich um Wirkstoffe, für die kein Unterlagenschutz mehr besteht und das Anwendungsgebiet des Kombinationspräparates entspricht den Anwendungsgebieten der einzelnen Wirkstoffe.

Das sagen die Experten

Experten räumen der Kombination keine großen Chancen ein, sich durchzusetzen. So sieht Kardiologe Professor Dr. Wolfgang Koenig vom Deutschen Herzzentrum in München und federführender Autor der deutschen Version der aktuellen ESC-Leitlinie Dyslipid­ämie vor allem die Atorvastatin-Dosis von 20 mg kritisch. Die ist in seinen Augen zur Sekundärprophylaxe zu niedrig. Er fahre bei Patienten nach einem kardiovaskulären Ereignis eine Hochdosisstrategie mit mindestens 20 mg Rosuvastatin oder 40 mg Atorvastatin, um den LDL-Zielwert von 70 mg/dl zu erreichen. Zwar steigerten die Polypills die Adhärenz, aber Daten, die tatsächlich Überlegenheit der Kombipräparate anhand von Endpunkten belegen, gebe es bislang nicht. Zumal sei der Preis im Vergleich zur freien Kombination deutlich höher. Daher wird das Präparat bei den Hausärzten keine große Akzeptanz erfahren, vermutet Koenig. Um ihr Budget zu schonen, verordneten sie oft das Billigste. Eine Daseinsberechtigung für Polypills sieht er aber in der Primärprävention, der Indikation, für die sie bisher eigentlich auch diskutiert wurden. Auch der Münsteraner Kardiologe Dr. Christian Fechtrup misst der Fixkombination in seiner täglichen Praxis keine große Bedeutung bei. Zum einen wegen der starren Atorvastatin-Dosis. Er dosiere individuell und nicht als „Fire-and-forget“-Dosierung. Zum anderen entwickelten etwa 25% der Patienten einen ACE-Hemmer-Husten, da müsse dann ohnehin wieder frei kombiniert werden. Außerdem hätten viele Patienten nicht nur eine Hypertonie bzw. KHK, sondern auch eine Herzinsuffizienz, daher strebe er zwar eine Zieldosis von 10 mg an, favorisiere aber für Ramipril die Aufteilung der täglichen Gesamtdosis auf zwei Gaben. Die höhere Rate an Nebenwirkungen, die den Cochrane-Autoren aufgefallen war, erklärt sich in den Augen von Fechtrup wohl am ehesten durch die bessere Adhärenz. |

Literatur

„Erste Polypille von Hexal zur Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse“; Pressemitteilung der Hexal AG vom 6.7.2015

Fachinformation Sincronium

Koenig W, et al. Pocket-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Dyslipidämien; unter http://leitlinien.dgk.org/2012/diagnostik-und-therapie-der-dyslipidamien/; Zugriff am 13.07.2015;

Stone NJ, et al. 2013 ACC/AHA Blood Cholesterol Guideline; https://circ.ahajournals.org/content/early/2013/11/11/01.cir.0000437738.63853.7a.full.pdf; Zugriff am 13.07.2015;

Becerra V,, et al. Cost-effectiveness and public health benefit of secondary cardiovascular disease prevention from improved adherence using a polypill in the UK; BMJ Open. 2015 May 9;5(5):e007111. doi: 10.1136/bmjopen-2014-007111.

De Cates AN, Farr MRB, Wright N, et al.: Fixed-dose combination therapy for the prevention of cardiovascular disease. Cochrane Database Syst Rev 2014; 8: CD009868

http://www.kvb.de/fileadmin/kvb/dokumente/Praxis/Verordnung/Blickpunkt/09-1-48-WIS-Rosuvastatin-AM-im-Blickpunkt-Nr-19.pdf

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.