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Mehr Selbstbehandlung hilft – allen
Erste Ergebnisse der BAH-Studie „Selbstbehandlung und Apotheke“
Obwohl der OTC-Markt mit 540 Mio. verkauften Packungen eine große Bedeutung habe und schon heute eine tragende Säule im Gesundheitswesen sei, werde er von der Politik relativ schwach oder gar nicht wahrgenommen. Warum eigentlich nicht? Wird der Wert der Selbstbehandlung für unser Gesundheitssystem verkannt? Ausgehend von der Frage, ob es mehr Selbstmedikation geben müsse, damit das System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht kollabiert, gab der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) ein Gutachten in Auftrag. Im Rahmen der BAH-Mitgliederversammlung am 23./24. September 2015 in Berlin stellte Prof. Dr. Uwe May von der May und Bauer GbR erste Ergebnisse des sozio-ökonomischen Gutachtens vor.
Teure Arztbesuche
Laut Barmer Arztreport 2015 gehen die Deutschen jährlich 18-mal zum Arzt. Schon das zeige, so May, „hier ist noch Luft für die Selbstmedikation“. Hinzu komme, dass die Behandlung von Befindlichkeitsstörungen wenig kostet im Vergleich zur Versorgung durch Arzt und Krankenhaus. Schon das deute darauf hin, dass mehr Selbstbehandlung Kosten einsparen könnte.
Die jährlich rund eine Milliarde auftretenden Gesundheitsstörungen wie Erkältungen oder gastrointestinale Störungen behandeln die meisten Patienten selbst, etwa die Hälfte von ihnen geht in die Apotheke. Aber jeder elfte Patient sucht einen Arzt auf.
May hat die Kosten der Selbstbehandlung mit den anfallenden Arztkosten verglichen. Während bei einem Arztbesuch durchschnittlich Kosten von rund 75 Euro entstehen (17,50 Euro für ein Rx- bzw. OTx-Arzneimittel, 1,50 Euro für ein OTC-Arzneimittel und rund 56 Euro Arzthonorar), fallen in der Selbstmedikation nur knapp 5 Euro an (2,50 Euro fürs OTC-Arzneimittel, 2,30 Euro für ein Mittel aus der Hausapotheke). Nach seinen Berechnungen spare letztlich ein Euro, der in die Selbstbehandlung fließt, rund 14 Euro in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Hinzu kämen knapp vier Euro, die die Volkswirtschaft einspare, beispielsweise durch eine Reduzierung der arbeitsunfähigen Tage. Selbst der Patient spare Kosten für Aufzahlungen, Zeit und Wege.
Selbstbehandlung spart Zeit und Geld
Die Selbstmedikation spart heute rund 18 Milliarden Euro an Arztkosten und rund 3,4 Milliarden Euro an Arzneimittelkosten ein. Könnte man beispielsweise durch Förderung der Selbstmedikation die Eigenverantwortung stärken und nur ein Zehntel der Arztbesuche in Richtung Selbstbehandlung umsteuern, würde das Gesundheitswesen allein 1,1 Milliarden Euro an Arztkosten sparen.
Aber auch die Ärzte könnten mehr Zeit gewinnen. Würden von den 52 Patienten, die ein Arzt heute durchschnittlich pro Tag behandelt, nur fünf oder zehn ihre Gesundheitsstörung selbst behandeln, stünde dem Arzt täglich ein bzw. zwei Stunden mehr Zeit zur Verfügung. Er könnte sich den Patienten mit ernsten Erkrankungen intensiver widmen oder mehr Patienten mit ernsten Erkrankungen behandeln.
Unterm Strich könnte eine Förderung der Selbstbehandlung Wirtschaftlichkeitsreserven von bis zu 2,7 Mrd. Euro für die GKV und 750 Mio. Euro für die Volkswirtschaft realisieren, so May.
Es bringe also durchaus immense Vorteile, die Selbstbehandlung zu fördern.
Mehr Anreize für die Selbstmedikation
Man könnte hierfür die Rahmenbedingungen anpassen, beispielsweise die Entlassung von Rx-Arzneimitteln aus der Verschreibungspflicht (Switch) erleichtern, den Apotheker und seine Kompetenzen als Gatekeeper stärken. Man könnte auch Anreize bei Patienten setzen, um sie in Richtung Selbstbehandlung zu lenken (beispielsweise GKV-Erstattung von OTC-Käufen in der Apotheke). Angedacht wurde in diesem Zusammenhang, dass der Apotheker Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei Befindlichkeitsstörungen ausstellt, wodurch die ärztliche Sprechstunde entlastet werden könnte. Darüber hinaus, so May, sollten auch die Möglichkeiten, sich über die Selbstmedikation zu informieren, für den Patienten gestärkt werden. Dies könnte beispielsweise durch Info-Hotlines oder Infoseiten im Internet geschehen.
Das Grüne Rezept könnte zudem Impulse setzen, bei sozial Schwachen sollte über eine Erstattung von OTC-Arzneimitteln nachgedacht werden. Aber auch langfristige Maßnahmen wie beispielsweise eine Modifikation der Arzthonorierung, mehr Bildungsangebote in Sachen Selbstmedikation oder eine entsprechende Gesundheitserziehung für Schüler und Erwachsene könnten den Trend zur Selbstbehandlung verstärken.
Die richtige Entscheidung
Wenn Menschen zum Arzt gehen, obwohl eine adäquate Selbstbehandlung möglich wäre, so fasste May die Ergebnisse zusammen, ist das ökonomisch, aber auch medizinisch kontraproduktiv, da knappe Ressourcen (z. B. die Zeit des Arztes) für eine sinnvolle alternative Verwendung nicht mehr zur Verfügung stehen. Allerdings, so May, ist es medizinisch und gesundheitsökonomisch ebenso kontraproduktiv, wenn sich Menschen selbst behandeln (oder gar nicht), obwohl eine ärztliche Therapie erforderlich wäre. Ziel müsse es daher sein, die richtige Entscheidung des Einzelnen für eine Arztbehandlung (wenn nötig) oder eine Selbstbehandlung (wenn möglich) zu fördern. Um hier Effizienzreserven zu erschließen, bedürfe es neuer Informations- und Anreizsysteme für Verbraucher, Apothekenpflicht für OTCs müsse erhalten bleiben und die Rolle der Apotheken als Lotse im Gesundheitssystem und „Erstversorger“ bei leichten Gesundheitsstörungen gestärkt werden.
DAV-Chef Becker: Macht Arbeit, aber lohnt sich
In der sich anschließenden Diskussion unterstrich Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV), die Bedeutung der Selbstmedikation für die Apotheke. Selbstmedikation und die Beratung dazu „macht zwar Arbeit, aber lohnt sich“, so Becker. Man sollte hier noch mehr Bewusstsein schaffen: „OTC trägt gewaltig zum Ertrag bei, da ist noch Luft drin“, so der Verbandschef.
Auch Michael Becker von Pfizer Consumer Healthcare schätzt die Apothekerberatung in diesem Segment als sehr wichtig ein. Nach seiner Auffassung könnte der Apotheker aber die Belieferung von Rezepten noch stärker dazu nutzen, in Richtung Zusatzverkäufe zu beraten, was Fritz Becker grundsätzlich unterstrich. Aber die Erfüllung der Rabattverträge bedeute meist schon einen immensen Beratungsaufwand mit der Folge, dass die Zeit für eine Beratung in Richtung Zusatzverkäufe fehle, wandte er ein.
Als Problem für ein Wachstum der Selbstmedikation sieht der DAV-Chef die Vollkasko-Mentalität der Versicherten. Davon müsse man wegkommen und aufklären, so Fritz Becker, der Versicherte müsse für seine Gesundheit schon mal in die eigene Tasche greifen. Positiv sieht er auch das Grüne Rezept. Es sei, so fügte May hinzu, eine Option für Menschen, die sich unsicher seien, es habe aber einen positiven Imageeffekt auf das Präparat. Auch Switches sind für Fritz Becker eine gute Sache, die die Kompetenz des Apothekers in Sachen Selbstmedikation stärken.
Die BAH-Studie könnte die Apotheker in Richtung Medikationsplan weiterbringen, zeige sie doch, so der DAV-Chef, dass eine Medikationsliste ohne Selbstmedikationsarzneimittel nur eine halbe Liste sei. |
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