Arzneimittel und Therapie

Kontraindikation Ovalbumin-Allergie?

Grippeimpfung zeigt auch bei schwerer Form der Allergie gute Verträglichkeit

779 Kinder und Jugendliche mit Hühnereiweißallergie (davon 57% Asthmatiker und 35% mit Anaphylaxie-Anamnese) wurden mit einem Ovalbumin-haltigen Impfstoff behandelt. Es traten keine schwerwiegenden Nebenwirkungen auf. In 1,2% der Fälle zeigten sich milde Sofortreaktionen. Auch die verzögerten Nebenwirkungen entsprachen in Art und Häufigkeit den Ergebnissen bei Nicht-Allergikern.
Foto: Christian Kruska / Agentur Focus

Kritischer Blick unnötig? Ovalbumin-haltige Impfstoffe lassen sich auch bei Kindern mit Allergie gegen Hühnereiweiß einsetzen.

Nachdem Paul J. Turner und seine Kollegen bereits in der Saison 2013/2014 die Unbedenklichkeit attenuierter Influenza-Impfstoffe bei 282 Kindern und Jugendlichen mit Hühnereiweiß­allergie demonstriert hatten (s. DAZ Nr. 11/2015, S. 28), wurde die Studie in der Saison 2014/2015 ausgeweitet.

779 Kinder und Jugendliche im Alter von zwei bis 18 Jahren mit diagnostizierter Hühnereiweißallergie wurden rekrutiert. Zwei Subgruppen erhielten besondere Aufmerksamkeit:

35% der Kinder hatten bereits im Zusammenhang mit Hühnereiweiß eine anaphylaktische Reaktion mit respira­torischen und/oder kardiovaskulären Symptomen entwickelt, zeigten also eine besonders schwere Form der Allergie. Zudem litten 57% der Kinder zusätzlich an Asthma oder Atemgeräuschen. Einige Leitlinien legen nahe, dass diese Kinder nach der Impfung verstärkt Symptome wie Atemlosigkeit entwickeln.

Alle Kinder erhielten einen intranasalen attenuierten Influenza-Lebendimpfstoff mit einem nachweisbaren Gehalt an Ovalbumin (Fluenz Tetra®). Dieser Impfstoff ist in diesem Kollektiv kontraindiziert, obwohl es keine Belege für allergische Reaktionen gegen den ge­ringen Gehalt an Ovalbumin (weniger als 0,12 µg/ml) gibt.

Verträglichkeit belegt

Auch in dieser Studie konnten keine schwerwiegenden systemischen Reaktionen nach der Impfung beobachtet werden. Milde lokale Symptome traten bei 1,2% der Patienten auf. 72 Stunden nach der Impfung wurden die Eltern bezüglich verspätet auftretender Nebenwirkungen befragt. Dabei wurde in 221 Fällen von Beschwerden berichtet, die potenziell mit der Impfung in Verbindung stehen könnten, in 62 Fällen handelte es sich um Symptome in den unteren Atem­wegen.

Auch in der Subgruppe der Kinder mit anaphylaktischen Reaktionen in der Vorgeschichte zeigten sich keine erhöhten Nebenwirkungsraten.

Die Asthmatiker durchliefen direkt vor und vier Wochen nach der Impfung einen Asthmakontrolltest. Während sich bei Jugend­lichen über zwölf Jahren kein signifikanter Unterschied zeigte, fiel der Test bei jüngeren Kindern nach der Impfung sogar etwas besser aus als zuvor. Dieses Ergebnis legt nahe, dass die Impfung auch bei gut kontrollierten Asthmatikern sicher ist.

Kontraindikation widerlegt?

Bisher sind Studienergebnisse zur ­Anwendung Ovalbumin-haltiger Impfstoffe bei knapp 1000 allergischen Kindern und Jugendlichen veröffentlicht worden. Es gibt keine Berichte über schwerwiegende Nebenwirkungen und auch die milderen Symptome traten nicht häufiger auf als bei Nicht-Allergikern.

Der Pädiater Matthew Greenhawt sieht durch die aktuellen Studien die Sicherheit dieser Impfstoffe auch für allergische Kinder als belegt. Deshalb solle auch Kindern mit Hühnereiweiß-Allergie der intranasale Impfstoff zur Verfügung stehen. Denn gerade diesen Kindern müsse die Impfung so leicht wie möglich gemacht werden: Ein Drittel von ihnen hat zusätzlich Asthma und zählt somit zur Risikogruppe für Influenza-Komplikationen. Diese Kinder profitieren also in besonderem Maße von einer Grippeimpfung.

Situation in Deutschland

In Deutschland empfiehlt das Robert-Koch-Institut eine Grippeimpfung ab einem Alter von sechs Monaten bei Vorliegen von Grunderkrankungen (s. Kasten: Für wen ist die Grippeimpfung indiziert?).

Für wen ist die Grippeimpfung indiziert?

Personen mit Grundkrankheiten haben ein erhöhtes Risiko, schwere oder tödliche Krankheitsverläufe einer Influenzainfektion zu ent­wickeln. Besonders gefährdet sind dabei Personen, die eine Überempfindlichkeit der Atemwege oder eine eingeschränkte Lungenfunktion haben (z. B. Personen mit Asthma, chronischer Bronchitis, chronisch obstruktiver Lungenerkrankung), Personen mit einer chronischen Herz-Kreislauf-, Leber- oder Nierenkrankheit, Personen mit Diabetes oder einer anderen Stoffwechselkrankheit, Personen mit einer neurologischen oder neuromuskulären Grund­krank­heit oder einem eingeschränkten Immunsystem durch eine zugrundeliegende Erkrankung oder Medikamenteneinnahme (beispielsweise hochdosiertes Cortison, Chemotherapie bei Krebs­er­kran­kungen). Personen ab einem Alter von sechs Monaten mit solchen chronischen Grundkrankheiten sollten daher gegen Influenza geimpft werden.

Quelle: www.rki.de

Nach wie vor gilt die generelle Empfehlung, bei schwerer Allergie gegen Hühnereiweiß von den üblichen Influenza-Impfstoffen abzusehen und stattdessen das Ovalbumin-freie Optaflu® einzusetzen. Dieser Impfstoff ist allerdings erst ab 18 Jahren zugelassen und darüber hinaus aktuell von den Lieferengpässen betroffen. Für Kinder mit einer schweren Form der Allergie steht demnach kein Ovalbumin-freier Impfstoff zur Verfügung. Dr. Martin Terhardt, Mitglied der STIKO, weist darauf hin, dass eine Impfung dieser Kinder mit herkömmlichen Impfstoffen möglich ist, dabei aber besondere Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden sollten (s. Kasten: Grippe­impfung bei Kindern mit Ovalbumin-Allergie). |

Grippeimpfung bei Kindern mit Ovalbumin-Allergie

Eine schwere Ovalbumin-Allergie bei Kindern unter 18 Jahren tritt eher selten auf.

Sind bereits allergische Schocksymptome in Verbindung mit Hühnereiweiß aufgetreten, kann dennoch eine Impfung erfolgen, so wie es die aktuellen Studien nahelegen. Die Impfung sollte allerdings unter Berücksichtigung ­medizinischer Vorsichtsmaßnahmen, gegebenenfalls stationär und mit medikamentöser Vorbereitung, durchgeführt werden.

Bei der Impfung von Kindern mit einer leichteren Form der Allergie sind diese Maßnahmen in der Regel nicht notwendig. Je nach Sicherheitsbedürfnis aller Beteiligten kann aber auch bei diesen Kindern die Impfung unter ­stationären Bedingungen erfolgen.

Nach wie vor handelt es sich bei dem beschriebenen Vorgehen allerdings um einen off-label-use, da Zulassungsbedingungen und Fachinformation bisher nicht geändert wurden.

So ist es dennoch möglich, dass Kinderärzte, die nicht so intensiv mit der Thematik vertraut sind, ein anderes Vorgehen befürworten.

Dr. med. Martin Terhardt, Pädiater und Mitglied der STIKO

Quelle

Turner PJ et al. Safety of live attenuated influenza vaccine in atopic children withh egg allergy. J Allergy Clin Immunol 2015;136(2),376-381

Turner PJ et al. Safety of live attenuated influenza vaccine in young people with egg allergy: multicentre prospective cohort study. BMJ 2015;351:h6291

Greenhawt M. Live attenuated influenza vaccine for children with egg allergy. BMJ 2015,351:h6656

Saisonale Influenzaimpfung: Häufig gestellte Fragen und Antworten: www.rki.de

Apothekerin Sarah Katzemich

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