Arzneimittel und Therapie

Größter Fortschritt seit 30 Jahren

Ein Kommentar von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen

In Deutschland erleiden etwa 250.000 Personen pro Jahr einen Schlaganfall. Es gibt bisher nur vier wirksame Therapien:

1. Behandlung auf einer Schlaganfall-Spezialstation (Stroke Unit)

2. Systemische Thrombolyse mit rt-PA in einem Zeitfenster von viereinhalb Stunden

3. Hemikraniektomie bei malignem Mediainfarkt

4. Mechanische Thrombektomie.

Bis zum Jahre 2002 gab es keine wirksame und zugelassene medikamentöse Behandlung des akuten ischämischen Schlaganfalls. Zu diesem Zeitpunkt wurde rt-PA (Actilyse®) zur systemischen Thrombolyse zugelassen. Für diese Therapie kommen in deutschen Schlaganfall-Spezialstationen etwa 20 bis 25% der Patienten in Betracht. Die übrigen Patienten kommen entweder außerhalb des therapeutischen Zeitfensters, haben Kontraindikationen für eine Thrombolyse, oder sie sind so gering betroffen, dass eine Thrombolyse keinen Sinn macht. Bei Verschlüssen großer hirnversorgender Arterien ergab sich allerdings das Problem, dass die Rekanalisierungsrate mit systemischer Gabe von rt-PA nur bei etwa 50% liegt. Daher wurde die mechanische Thrombektomie entwickelt, bei der mit modernen Stent­retrievern eine Rekanalisierungsrate von 90% erreicht wird. Diese Therapie wird bei distalen Verschlüssen der Arteria carotis interna und bei proximalen Verschlüssen der Arteria cerebri media eingesetzt. Grundsätzlich eignet sich diese Therapie für etwa 10% aller Schlaganfallpatienten, die schwer betroffen sind, in einem 6-Stunden-Zeitfenster. Die therapeutischen Erfolge sind dramatisch. Bei vielen der behandelten Patienten kann ein sogenannter „Lazarus-Effekt“ beobachtet werden, das heißt, die Patienten kommen mit schweren neurologischen Ausfällen wie einer kompletten Lähmung einer Körperseite in die Klinik und haben nach erfolgreicher Thrombektomie keine neurologischen Ausfälle mehr. Die Thrombektomie stellt mit Sicherheit den größten therapeutischen Fortschritt in der Schlaganfalltherapie in den letzten 30 Jahren dar. Die größte Herausforderung ist jetzt, diese Therapie in Deutschland flächen­deckend zu etablieren, damit sie möglichst allen betroffenen Schlaganfallpatienten zugutekommt.


Lesen Sie dazu den Beitrag "Lichtblick Thrombektomie" in dieser DAZ-Ausgabe

Das könnte Sie auch interessieren

Die neue Hoffnung in der Behandlung des akuten Schlaganfalls

Lichtblick Thrombektomie

Wolfgang Niedecken und der Schlaganfall

Wie ein Schlag aus heiterem Himmel

Fortschritte in der endovaskulären Schlaganfalltherapie

Der Griff nach dem Gerinnsel

Empfehlungen zur Notfalltherapie und Prophylaxe des Schlaganfalls

Wettlauf gegen die Zeit

Fibrinolytikum ist Standardtherapie mit Alteplase nicht unterlegen

Tenecteplase überzeugt bei Schlaganfall

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.