Die Seite 3

Die Besitzstandswahrer

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

Der Rollentausch scheint den Versandapotheken und ihren Interessenvertretern nicht leicht zu fallen: Sie, die vor anderthalb Jahrzehnten als „kreative Zerstörer“ angetreten waren, sehen sich plötzlich in der misslichen Lage, ihr „traditionelles“ Geschäftsmodell verteidigen zu müssen.

„Versandapotheken sind fester Teil deutscher Gesundheitsversorgung“ ist eine Pressemeldung des Bundesverbands der deutschen Versandapotheken BVDVA von Ende Februar überschrieben. „Den Arzneiversand zu verbieten erscheint als Aktion, die die Gewohnheiten der Bevölkerung schlicht missachtet“, zitiert der Text den BVDVA-Vorsitzenden Christian Buse. Deutschlands bekannteste Versandapotheke, DocMorris, animiert (manch einer mag auch sagen: instrumentalisiert) seine Kunden, ihren ­Widerspruch gegen die geplante Veränderung des Arzneimittel-Versandmarktes ihren Unions-Abgeordneten kundzutun. Da man sich als Versandhändler naturgemäß mit dem Aus­legen von Unterschriftenlisten schwertut, gibt es eine Postkarten­aktion (bei der der Versender auch gleich das Versenden der Karten übernimmt). Das ehemals propagierte „Abschneiden alter Zöpfe“ sieht anders aus.

Auf argumentativen Gegenwind reagieren die Verteidiger ihres Geschäftsmodells dabei ausgesprochen dünnhäutig. Apotheker, die sich öffentlich an der Diskussion um die geplante Beschränkung des Arzneimittelversands beteiligen, müssen schwer aufpassen, dass sie keine anwaltliche Post bekommen. Auch die Fachmedien und ihre Journalisten werden angegangen. So verglich DocMorris-Vorstand Max Müller auf Twitter das beliebte sonntägliche DAZ.online-„Tagebuch“ von DAZ-Herausgeber Peter Ditzel mit den unsäglichen, mindestens rechtspopulistischen „Breitbart-News“ des Trump-Beraters Stephen Bannon. Aber das könnte natürlich auch die Reaktion auf das Gefühl sein, dass sich der Allerwerteste unaufhörlich dem Grundeis nähert.

Dabei – und das kann man nicht oft genug wiederholen – soll mitnichten der „Versandhandel mit Arzneimitteln“ verboten werden, auch wenn beispielsweise der BVDVA in hartnäckiger Penetranz immer wieder diesen Eindruck zu erwecken versucht. Der Versand soll beschränkt werden, und zwar auf die nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Übrigens ein Eingriff in den Markt der Versandapotheken, der im Vergleich zu den Veränderungen, denen sich die Vor-Ort-Apotheken 2003/2004 stellen mussten, geradezu minimalinvasiv wirkt. Denn während damals die neue Honorarsystematik, die Entlassung der OTC-Arzneimittel aus der Erstattungsfähigkeit und Preisbindung sowie die Einführung des Versandhandels die wirtschaftliche Basis der Apotheken grundlegend veränderte, betrifft die jetzt geplante Beschränkung gerade einmal ein Prozent der Umsätze mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln!

Natürlich ist es vollkommen legitim, wenn einzelne Unternehmen, die aufgrund freiwillliger(!) unternehmerischer Entscheidungen stärker von geplanten Veränderungen betroffen sind, gegen diese lobbyieren. Aber das gut funktionierende deutsche System der Arzneimittelversorgung zu gefährden, weil ausländische Konzerne auf das falsche Pferd gesetzt haben und es sich offenbar nicht zutrauen, schnell genug auf neue Entwicklungen reagieren zu können, kann eigentlich auch der größte Freund des freien Marktes nicht ernsthaft verlangen.

Dr. Benjamin Wessinger

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