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Apotheker wollen mehr Kompetenzen

Selbstmedikation: Erste Switch-Konferenz des BAH

BONN (hb) | Entlassungen von Arzneimitteln aus der Verschreibungspflicht - sogenannte Switches – stärken die Selbstmedikation und damit auch den Apotheker als kompetenten heilberuflichen Berater. Außerdem helfen sie Kosten senken. Das sind die Kernergebnisse der ersten Switch-Konferenz des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller e. V. (BAH) am 6. Juni 2017 in Bonn. Deswegen könnten es durchaus noch ein paar Switches mehr sein.

Bei der ersten Switch-Konferenz des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller berichtete Dr. Natalie Gauld, Vorstandsmitglied der Pharmazeutischen Gesellschaft von Neuseeland, von den Erfahrungen mit Switches in „Down Under“. Die Region Neuseeland/Australien gehört in dieser Hinsicht bekanntermaßen zu den internationalen Trendsettern. Gauld hat in ihrem Land in den letzten Jahren zehn bahnbrechende Switch-Projekte begleitet, unter anderem für Sildenafil, Impfstoffe gegen Grippe, Cholera, Meningokokken und enterotoxische Escherichia coli (ETEC), Trimethoprim und bestimmte orale Kontrazeptiva. Sie hat damit in der Apothekerschaft ausschließlich gute Erfahrungen gemacht. Gauld stellte bei der Veranstaltung den Screening-Bogen vor, mit dem die Apotheker diejenigen Frauen herausfiltern, die bei Verdacht auf einen Harnwegsinfekt mit einem Trimethoprim-OTC-Präparat behandelt werden können. Das funktioniere einwandfrei, bekräftigte Gauld.

Foto: BAH
OTC-Switches stärken das Standing der Apotheker, entlasten das Gesundheitswesen, und auch die Patienten begrüßen sie oft. Peter Ditzel moderierte die hochkarätige Diskussionsrunde mit Dr. Natalie Gauld, Fritz Becker, Dr. Tobias Mück, Prof. Dr. Niels Eckstein, Dr. Elmar Kroth, Birgit Naase, Prof. Dr. Karl Broich und Prof. Dr. Uwe May (v. l.) auf der ersten Switch-Konferenz des BAH.

Abgabe nur mit speziellen Schulungen

Für diese Art der Sonderberatung werden die Apotheker in Neuseeland je nach OTC-Wirkstoff speziell geschult. Schulungen werden von Firmen oder von der pharmazeutischen Gesellschaft des Landes angeboten. Im zweiten Fall übernehmen die Apothekenleiter oder auch die Apotheker selbst die Kosten dafür. Neben dem Nutzen für die Versorgung reduzierten mehr Switches die Käufe über das Internet und damit die Gefahren, Fälschungen zu bekommen, teilte Gauld weiter mit. Seit dem Switch von Sildenafil kämen nun mehr Männer in die Apotheke und ließen sich dort fachkundig beraten. Demgegenüber seien die Einfuhren des Mittels gegen erektile Dysfunktion über den Versandhandel seit dem Switch deutlich zurückgegangen.

Switch-Wunschliste der Australier

Nach einer Umfrage in Australien wollen laut Gauld 40 Prozent der Verbraucher niedrig dosierte Lipidsenker, Migränemittel (Triptane), Antibiotika gegen Harnwegsinfekte Magensäure­blocker, Mittel gegen Arthroseschmerzen oder auch Mittel zur Gewichtsre­duktion gerne als OTC-Produkte haben. Bei den oralen Kontrazeptiva und Mitteln gegen erektile Dysfunktion sind es sogar gut über 50 Prozent. Dagegen lehnen etwa 30 Prozent die Freigabe von Lipidsenkern, Mittel gegen Arthroseschmerzen oder Wirkstoffen gegen Osteoporose kategorisch ab.

„Königsdisziplin der Pharmazie“

Der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) Fritz Becker brach ebenfalls eine Lanze für die Selbstmedikation. Sie stärke die Erstversorger- und Lotsenfunktion der Apotheker und erhöhe seine heilberufliche Verantwortung, insbesondere bei aus der Verschreibungspflicht entlassenen Arzneimitteln. „Die Beratung in der Selbstmedikation ist die Königsdisziplin der Pharmazie,“ stellte Becker fest.

Switches von Wirkstoffen wie lbuprofen, Omeprazol, Pantoprazol, Naratriptan, Mometason, Hydrocortison oder der Notfallkontrazeptiva sind seiner Auffassung nach sehr erfolgreich gelaufen. „Dass wir das können, haben wir mit der Pille danach bewiesen,“ betonte Becker. Er glaubt, dass die Apotheker auch für noch mehr Switches bestens gerüstet sind. Indikationen, die aus seiner Sicht für die Ausweitung der Selbstbehandlung infrage kommen, sind akute Blasenentzündungen, bakterielle Bindehautentzündungen und entzündliche Hautreaktionen. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit dem BAH sei bereits angedacht, in der die Apothekerschaft ihre Wunschliste mit der Industrie diskutieren und die Möglichkeiten für Anträge auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht ausloten könne. ließ Becker wissen. Prof. Dr. Niels Eckstein, Experte für Regulatory Affairs von der Hochschule Kaiserslautern, hält es für äußerst wichtig, die Apotheker bei Switches immer mit ins Boot zu holen. Er fordert: „Switches niemals gegen die Apothekerschaft“ und ist überzeugt: „Die kompetente Beratung in der Apotheke macht OTC-Switches sicherer.“

Apotheke als Alternative zum Arztbesuch

Die apothekergestützte Selbstmedikation entlastet auch das Gesundheitssystem und schafft damit neue Spielräume für die Patientenversorgung, glaubt Prof. Dr. Uwe May, der an der Hochschule Fresenius eine Professur für Gesundheitsökonomie mit Schwerpunkt Pharmakoökonomie inne hat. Er hält die Selbstbehandlung für stark unterschätzt. May hat ausgerechnet, dass jeder Euro über die Selbstbehandlung als Alternative 17,57 Euro spart. In einer Expertenbefragung hat der Gesundheitsökonom überdies festgestellt, dass Switches nach der überwiegenden Meinung der Befragten als Instrument zur Stärkung der Selbstmedikation ganz oben angesiedelt sind. Der therapeutische Nutzen und der gesundheitsökonomische Wert der Selbstbehandlung und damit auch der Switches hängen für ihn in hohem Maße von der Beratung und Betreuung in der Apotheke ab. Ohne die Präsenz und die Funktionen der Apotheken wäre die Selbstbehandlung in der heutigen Qualität und Quantität nicht denkbar, meint der Ökonom, und: „Die Menschen sehen die Apotheke durchaus als Alternative zum Arzt­besuch.“

Switch-Verfahren heute erheblich transparenter

Das Verfahren zur Entlassung von Wirkstoffen aus der Verschreibungspflicht, das in Deutschland unter Beteiligung des BfArM und eines Sachverständigenausschusses abläuft, ist nach einhelliger Meinung der Experten aus der Industrie und der Verwaltung im Prinzip recht praktikabel. Birgit Naase aus dem Bundesministerium für Gesundheit bezeichnete es insgesamt als „gut und solide“. Wie der Präsident des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte Prof. Dr. Karl Broich berichtete, hat seine Behörde in den letzten Jahren viel getan, um die Attraktivität von Switch-Verfahren zu erhöhen. Vor allem die Transparenz der Entscheidungen sei deutlich erhöht worden.

Verfahren dauern zu lange

Dennoch sieht die Industrie hier noch einiges an Luft nach oben, wie der erfahrene Switch-Experte von Sanofi-Aventis Deutschland, Dr. Tobias Mück anhand einiger Beispiele aus der Praxis verdeutlichte. Zum einen sind die Fristen für die Einreichung von Anträgen und Nachbesserungen seiner Meinung nach nicht optimal getaktet. Hieraus könnten sich unnötig lange Verzögerungen bei den Verfahren ergeben. Zum anderen wünscht sich die Industrie, dass der Aufwand, den die Firmen für einen Switch oft auch in Form von teuren Studien betreiben müssen, durch eine längere Markt­exklusivität honoriert wird. Bislang gibt es nach dem Gesetz theoretisch nur ein Jahr, und auch das nur unter bestimmten Bedingungen, die aber bislang noch in keinem Verfahren erfüllt wurden.

Vorreiter in Sachen Switches

Trotz dieser Hindernisse bezeichnete der Geschäftsführer Wissenschaft des BAH, Dr. Elmar Kroth Deutschland als Vorreiter in Sachen Switches. Im Jahr 1989 sei das Schmerzmittel lbuprofen hierzulande erstmals weltweit aus der Verschreibungspflicht entlassen worden. Als weitere „first-in-world“-Switches führte Kroth die beiden Triptane Naratripan (2006) und Almotriptan (2009) zur Migränebehandlung an. Heute reihe sich Deutschland bei den Entlassungen aus der Rezeptpflicht international betrachtet etwa im Mittelfeld sein.

Impfen? So weit sind wir noch nicht

In einer abschließenden Diskussion, die von DAZ-Herausgeber Peter Ditzel moderiert wurde, kam bei der ersten Switch-Konferenz des BAH auch das Thema Impfen zur Sprache. In anderen Ländern wie der Schweiz, Irland oder Portugal dürfen Apotheker bereits bestimmte Impfungen verabreichen. Während ein Teil der Experten kein Problem damit hätte, sich in der Apotheke impfen zu lassen, gab sich DAV-Präsident Becker skeptisch: „Wir sind in Deutschland einfach noch nicht so weit,“ meinte er. „Da müssen wir viel stärker vorbereitet sein. Das Impfen sollte noch beim Arzt bleiben.“ Diese Vorbehalte kann die Neuseeländerin Gauld nur schwer nachvollziehen. Sie verwies auf ein Pilotprojekt zur Grippeimpfung in der Apotheke im australischen Queensland, wonach der Service sicher und wirksam ist. 97 Prozent der Teilnehmer hätten angegeben, dass sie ihn weiterempfehlen würden und 10 Prozent haben sich lieber in der Apotheke impfen lassen, obwohl sie die Impfung bei ihrem Arzt umsonst bekommen hätten und in der Apotheke dafür zahlen mussten. |

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