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Schöne neue Arbeitswelt
Digitalisierung – Fluch oder Segen?
Dass selbst moderne Software schnell an Grenzen stößt, hat Amazon am eigenen Leibe gespürt. Dem Unternehmen gelang es nicht, per IT doppelte oder unpassende Produkte aus Empfehlungen zu entfernen. Schließlich gründete der Versandhändler eine Crowdwork-Plattform namens Mechanical Turk (der Begriff spielt auf den „Schachtürken“ von 1769 an, einen angeblichen Roboter, in dem jedoch ein Mensch versteckt war). Über entsprechende Internet-Portale werden Aufgaben wie das Sichten von Angeboten eines Online-Shops nach außen vergeben. Auftragnehmer aus aller Welt können tätig werden. Wer mitarbeiten möchte, braucht lediglich einen Computer und einen Internetzugang, um sich einzuloggen und um zu arbeiten. Das Honorar orientiert sich an der Zahl bearbeiteter Aufgaben.
Crowdwork-Plattformen sind umstritten: Häufig verdienen sich Frauen mit kleinen Kindern oder mit zu pflegenden Angehörigen etwas dazu, weil sie zu jedem Zeitpunkt arbeiten können. Da viele Portale jenseits des deutschen Rechts liegen, werden weder Mindestlöhne noch Sozialabgaben gezahlt.
Frühformen der Ausbeutung
„Mit den neuen Jobs kehren Frühformen kapitalistischer Ausbeutung zurück“, kritisiert die Hans-Böckler-Stiftung. „Millionen Heimarbeiter ohne institutionalisierte soziale Absicherung konkurrieren weltweit um Miniaufträge von Unternehmen. Als Lohn winkt ein karger Stückakkord; die Wenigsten kommen auf den Mindestlohn.“ Da sich Amazon stärker im Arzneimittelhandel positioniert, gewinnt Mechanical Turk zumindest auch für OTC-Präparate und sonstige apothekenübliche Waren an Bedeutung.
Überwachung auf Schritt und Tritt
Während Crowdwork-Plattformen jenseits des Einzelfalls eher Zukunftsszenarien sind, beeinflussen weitere Technologien Angestellte schon heute. Die Böckler-Autoren sprechen von „totaler Überwachung“. Sogenannte Keylogger zeichnen Tastaturanschläge des Arbeitsplatzbildschirms auf, und Screenshot-Tools senden Aufnahmen des Bildschirms an weitere Geräte.
In Deutschland ist der Einsatz von Keyloggern oder sonstigen Überwachungsprogrammen zwar untersagt (§ 202a des Strafgesetzbuches, „Ausspähen von Daten“). Und laut Anhang zur Bildschirmarbeitsverordnung darf „ohne Wissen der Benutzer […] keine Vorrichtung zur qualitativen oder quantitativen Kontrolle verwendet werden“. Die technischen Hürden sind aber vergleichsweise niedrig.
Existiert ein Betriebsrat, haben Angestelltenvertreter die Möglichkeit, durch eine Betriebsvereinbarung mit der Firmenleitung Leistungskontrollen per IT auszuschließen. Allerdings sind Betriebsräte in Kleinbetrieben wie Apotheken eine Seltenheit, denn wenigstens fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer müssen ständig beschäftigt und drei auch zum Betriebsrat wählbar sein.
Chancen nutzen
Die Böckler-Autoren bewerten die moderne Technik aber nicht nur negativ und verweisen auf die „Kommission Arbeit der Zukunft“ mit Experten aus Wissenschaft, Management, Gewerkschaft, Mitbestimmung und Politik, die Vorschläge erarbeitet hat, um Angestellte vor negativen Folgen zu schützen. Einige wichtige Punkte:
- Der Strukturwandel darf keine Arbeitsplätze vernichten. Umso bedeutender werden Weiterbildungen, und zwar für alle Hierarchien im Betrieb. Besonders wichtig sind Programme jedoch für weniger qualifizierte Beschäftigte.
- Rechtliche Mindeststandards müssen auf Jobs „jenseits der Anstellung“, etwa bei Crowdwork-Plattformen, ausgedehnt werden.
- Die „fluide Arbeitswelt“ erfordert neue Spielregeln, um Home Office und Freizeit klarer zu trennen. Neue Gefährdungsbeurteilungen sind unerlässlich. |
Quellen
Böckler Impuls 12/2017; http://bit.ly/2t3ODto
Kerstin Jürgens et al. Arbeit transformieren, Denkanstöße der Kommission Arbeit der Zukunft; http://bit.do/impuls0850
Wronka, Gola, Pötters: Handbuch Arbeitnehmerdatenschutz, 7. Auflage, 2016
Schwerpunktheft der Deutschen Apotheker Zeitung: Alles digital oder was? DAZ 2017, Nr. 13
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