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Aus den Ländern
Engelbert Kaempfer und Goethe als Naturforscher
Pharmaziehistoriker tagten in Würzburg
Zehn Jahre medizinische Erfahrung in Asien
Dr. Andreas Mettenleiter, Medizinhistoriker und Leiter des Siebold-Museums, stellte Engelbert Kaempfer (1651 – 1716) als Mensch, Forscher und Autor vor. In Lemgo geboren nahm er nach dem Medizinstudium in Königsberg und Uppsala in den Jahren 1683/84 an einer schwedischen Gesandtschaft nach Persien teil. Dort wechselte er in den Dienst der niederländischen Ostindien-Kompanie und war 1690 – 1692 in Nagasaki stationiert. Glücklich wieder heimgekehrt, schrieb er 1694 seine medizinische Dissertation über zehn seltsame Phänomene des Orients (u. a. die Ölquellen von Baku, der Zitterrochen, Krankheiten wie die Elephantiasis und Therapieverfahren wie Akupunktur und Moxibustion). In seiner Heimat erwarb Kaempfer ein Hofgut und wurde Leibarzt des Fürsten von Lippe-Detmold. Er führte nun bis zu seinem Tod ein standesgemäßes und an Verpflichtungen reiches Leben, das ihm nicht viel Zeit für die Wissenschaft ließ.
Siebold-Museum
Das Würzburger Siebold-Museum zeigt eine Dauerausstellung über Philipp Franz v. Siebold (1796 – 1866), der als Arzt in der niederländischen Handelskolonie in Nagasaki angestellt war, und derzeit (bis 27.8.2017) auch eine Sonderausstellung über Engelbert Kaempfer, einen seiner Vorgänger in Nagasaki. Beide Ärzte haben Japan intensiv erforscht.
1712 publizierte Kaempfer sein Hauptwerk „Amoenitates Exoticae“ (etwa: Merkwürdigkeiten des Orients), das u. a. zahlreiche Abhandlungen zur Naturkunde und Medizin Asiens sowie eine Flora Japonica enthält. Seine „Geschichte und Beschreibung von Japan“ erschien posthum, 1727 auf Englisch und 1777/79 auch auf Deutsch. Sie blieb bis zum Ende der politischen Isolation Japans um 1860 die maßgebliche Landesbeschreibung.
Drei Arzneipflanzen: Moxa …
Dr. Wolfgang Caesar berichtete über drei Arzneipflanzen, deren Anwendung Kaempfer aufgrund eigener Beobachtungen in Japan beschrieben hat: Moxa, Ginseng und Tee.
Moxa (jap. „brennendes Kraut“) sind die getrockneten, pulverisierten Blätter einer Beifuß-Art (Artemisia indica), die zu Kegeln geformt werden (nach heutigen Kriterien sind sie keine Arznei, sondern ein Medizinprodukt). Diese werden angezündet und auf bestimmte Hautstellen gestellt. Die traditionelle chinesische Medizin erklärt die Wirkweise dieser Moxibustion mit der Existenz von Meridianen oder Linien, die die Lebenskraft Qi durch den Körper leiten; die Erhitzung soll die Funktionsfähigkeit der Meridiane an Stellen, wo sich das Qi gestaut hat, wiederherstellen. Kaempfer nahm fälschlich an, dass die „Feuer-Chirurgie“ Blähungen – also Gase – in Bewegung setzt, damit sie auf natürlichem Wege entweichen können. Weil er das Konzept der Meridiane nicht verstanden hatte, wunderte er sich, dass die gebrannten Hautstellen in der Regel weit entfernt von den erkrankten Organen liegen (z. B. brennt man bei Bauchschmerzen Stellen auf der Schulter). Er beobachtete aber mehrmals den „wirklichen Erfolg“ dieser Therapie. Zudem berichtete er, dass die Moxibustion noch häufiger zur Prophylaxe angewendet wird, meistens im Abstand von einem halben Jahr.
Da die Moxibustion nahezu als Allheilmittel galt, probierten die Europäer in Asien sie auch als Mittel gegen die Gicht aus, von der sie aufgrund des übermäßigen Verzehrs von Fleisch und alkoholischen Getränken sehr häufig betroffen waren. Manche Autoren hielten sie für ein „unfehlbares Mittel“. Kaempfer dagegen fand, dass sie zwar im (sub-)tropischen Klima, nicht aber im gemäßigten Klima Europas wirksam sei – vermutlich beruhte dieses Urteil auf seiner eigenen Erfahrung mit Patienten in Lemgo und Detmold.
… Ginseng …
Eine Arzneidroge, die – wie die Moxibustion – mehr prophylaktisch als therapeutisch angewendet wurde, war und ist die Ginsengwurzel (Panax ginseng). Kaempfer berichtete, sie sei die am meisten gerühmte Pflanze Ostasiens – mit Ausnahme des Teestrauchs. Ihrer angeblich stärkenden und lebensverlängernden Wirkung wegen wurde sie in Holland seit den 1640er-Jahren zu horrenden Preisen verkauft, wurde dann preiswerter und umso häufiger angewendet. Im Jahr 1700 fand an der Universität Leiden die erste medizinische Disputation über Ginseng statt, deren Resümee lautete: „Ginseng ist das großartigste Mittel, um alle Krankheiten zu heilen und ihnen vorzubeugen.“ Doch schon bald folgte ein Meinungsumschwung: Herman Boerhaave (1668 – 1738), eine der größten Autoritäten der Medizin, schrieb 1718, er schätze die Wurzel des Ginsengs nicht höher ein als die des Fenchels.
Kaempfer (1712) vermutete, dass vor allem das häufige Vorkommen von unten zweigeteilten Ginsengwurzeln, deren Aussehen an einen Menschen erinnert, die Ursache für den Glauben an ihre wundersamen Wirkungen war. Mit seiner kritischen Ansicht war er seiner Zeit voraus, allerdings mag ihm dabei auch ein Irrtum zu Hilfe gekommen sein: Die von Kaempfer beschriebene und gezeichnete Ginsengpflanze war tatsächlich eine Zuckerwurzel (Sium sisarum), denn der echte koreanische Ginseng wurde damals noch nicht in Japan angebaut; so könnte es sein, dass Kaempfer mit der falschen Arzneidroge Anwendungsbeobachtungen durchgeführt hatte.
Während des kurzen Ginsengbooms hatten neben Kaempfer zahlreiche Personen versucht, Ginseng sowohl im niederländischen Kolonialreich als auch in den Niederlanden selbst zu kultivieren, jedoch ohne Erfolg. Eine gewisse Renaissance erlebte der Ginseng in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
… und Tee
Kaempfers Tee-Monografie ist eine seiner besten überhaupt. Sie umfasst außer der exakten botanischen Beschreibung auch Aspekte wie die Mythologie, den Anbau und die Ernte, die Zubereitung als Getränk und die Pharmakologie. Kaempfer behauptete, dass er unter den Teetrinkern Japans – ein allgemeines Volksgetränk war der Tee damals noch nicht – niemals jemanden mit Gicht oder Steinleiden gesehen habe. Aus Sicht der damaligen europäischen Schulmedizin übte der Tee eine „blutreinigende“ Wirkung aus, die diesen Leiden vorbeugte.
Die Geschichte der Einführung und Akzeptanz von Tee in Holland und anderen Ländern Europas ähnelte bis etwa 1700 derjenigen des Ginsengs. Während es mit dem Ginseng danach wieder bergab ging, stieg die Nachfrage nach Tee bis heute nahezu kontinuierlich an, sodass er als „Kolonialware“ sogar weltpolitische Bedeutung gewann – auch weil der Teestrauch sich gut in Plantagen anbauen ließ. Ein Indiz für die große Nachfrage in Europa war die Suche nach heimischen Surrogaten, die allerdings scheiterte, weil allen vorgeschlagenen Ersatzstoffen der Inhaltsstoff Coffein fehlte. Kaempfer konnte sich darüber ein persönliches Urteil erlauben, denn er leistete sich bis an sein Lebensende den Genuss von echtem Tee.
Goethe als Naturforscher
Dr. Thomas Richter, Apotheker und Germanist, referierte über Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) als Naturforscher und zeigte zunächst zwei Schnittstellen zwischen ihm und Kaempfer auf. Zum einen interessierte Goethe sich für Botanik, insbesondere für die Morphologie von Pflanzen. Aus diesem Grund fiel das Augenmerk des Dichters auch auf den von Kaempfer beschriebenen Ginkgobaum (Ginkgo biloba, s.u.). Zum anderen schöpfte Goethe aus dem Wissensfundus der Aufklärung, in der nicht nur eine Vielzahl philosophischer Schriften entstand, sondern auch enzyklopädisches Wissen aus verschiedenen Kulturen zusammengetragen wurde.
Das Denken Goethes ist nicht ohne seine philosophische Verankerung in der Lehre Baruch Spinozas (1632 – 1677) zu verstehen. Deren Leitmotiv „Deus sive natura“ – „Gott oder die Natur“ – sieht den Schöpfergott nicht mehr als „Creator mundi“ außerhalb der Welt, sondern projiziert Gott in die Natur hinein. Aus diesem Grund sind alle sichtbaren Erscheinungen wie Pflanze, Tier und Mensch Ausdrucksformen der göttlichen Substanz. Weiterhin ist Goethes Denken auch durch Mikrokosmos-Makrokosmos-Analogien und das Gedankengut der Alchemie geprägt, mit der er sich schon in seiner Jugendzeit auseinandergesetzt hat.
Entscheidend für das Verständnis von Goethes Naturforschungen ist die Tatsache, dass der „Dichterfürst“ immer von der Idee ausgeht und dieser die empirischen Erscheinungen in der Natur unterordnet. Prägend für Goethes Naturforschungen war seine Reise nach Italien (1786 – 1788). Die mannigfaltigen Erscheinungen in der belebten Natur, die er dort zu Gesicht bekam, ließen in ihm die Sehnsucht nach dem „großen Ganzen“ manifest werden, was sich im Konzept der Urpflanze widerspiegelt. Diese beinhaltet nicht nur eine Betrachtung des historischen Tiefenpfeiles im Sinne einer „Naturgeschichte“, sondern soll auch ein Modell darstellen, um „Pflanzen ins Unendliche“ zu erfinden.
Ginkgo biloba
Der außergewöhnliche Habitus des Ginkgoblattes hat Goethe zum Gedicht „Ginkgo biloba“ inspiriert, das auch im 21. Jahrhundert noch bekannt und populär ist (s. Kasten). Es findet sich im „West-östlichen Divan“, einer Gedichtsammlung, die Goethe im Winter 1814/15 verfasste. Hintergrund dieses „Alterswerkes“ ist zum einen seine Identifikation mit dem persischen Dichter Hafis (1315 – 1390), zum anderen seine Liebe zu Marianne von Willemer geb. Jung (1784 – 1860). Goethe lernte die Schauspielerin und Tänzerin im Sommer 1814 im Hause seines Freundes, des Bankiers Johann Jakob von Willemer (1760 – 1838), kennen, der sie als Pflegetochter angenommen hatte. Auf Anraten Goethes (!) ehelichte der zweifache Witwer und Familienvater von Willemer die knapp 30-Jährige im September 1814. Nachdem Goethe den Winter 1814/15 in Weimar verbracht hatte, kam er im Sommer 1815 wieder in den Frankfurter Raum und intensivierte die Beziehung zu Marianne. Beide tauschten sich brieflich aus, indem sie unter den Pseudonymen „Hatem“ und „Suleika“ Gedichte füreinander verfassten.
Ginkgo biloba
Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Giebt geheimen Sinn zu kosten,
Wie’s den Wissenden erbaut.
Ist es Ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt,
Sind es zwey, die sich erlesen,
Daß man sie als Eines kennt?
Solche Frage zu erwiedern
Fand ich wohl den rechten Sinn,
Fühlst du nicht an meinen Liedern
Daß ich Eins und doppelt bin?
Die Entstehung des Ginkgo-Gedichtes lässt sich genau datieren und lokalisieren. Der Kunstsammler Sulpiz Boisserée (1783 – 1854) schrieb in sein Tagebuch, dass Goethe an einem schönen „heiteren Abend“ am 15. September 1815 für Marianne Zeilen über ein Ginkgoblatt verfasst habe, das er ihr am Nachmittag von einem Baum gepflückt hatte. Der Ort ihres Zusammentreffens war die in Frankfurt-Oberrad (bei Sachsenhausen) gelegene Gerbermühle, die sich von Willemer als Sommersitz ausgebaut hatte.
Laudatio
Thomas Richter hielt die Laudatio auf Wolfgang Caesar. Er hatte wie Kaempfer zwei Jahre in Japan gelebt, wo er Mitarbeiter eines vegetationskundlichen Projektes war und zudem ein ethnografisches Thema bearbeitete. Danach hat er wesentliche Beiträge zu Kaempfers naturkundlich-medizinischen Schriften geleistet, die früher gegenüber den landeskundlichen Werken vernachlässigt worden waren. Seit 1984 wirkte er am Deutschen Apotheken-Museum in Heidelberg und hat seitdem schwerpunktmäßig über Themen der Pharmaziegeschichte und des Apothekenwesens publiziert. Weitere Forschungsgebiete sind die Geschichte der organischen Chemie (Justus Liebig) und die Genealogie. Nachdem das Apotheken-Museum eine Kooperation mit der Universität Heidelberg eingegangen war, die Caesar ablehnte und die später auch wieder aufgegeben wurde, weil sie sich nicht bewährt hatte, wurde Caesar 1988 Redakteur der Deutschen Apotheker Zeitung. In dieser Funktion hat er ungezählte Autoren bei der Publikation ihrer wissenschaftlichen Beiträge unterstützt und das wissenschaftliche Profil der DAZ wesentlich mitgeprägt. Richter bedauerte, dass Redakteure mit dem breiten und tiefen Wissen sowie der stets konstruktiven Kritik eines Wolfgang Caesar immer seltener werden, und wünschte ihm den Erhalt seiner Schaffenskraft in den nächsten Jahren.
Fazit
Auch wenn Goethes Art, Botanik zu treiben, nicht mehr ins 21. Jahrhundert passt und das Reisen in ferne Länder heute auch nichts Besonderes mehr ist, so sind Goethe und Kaempfer dennoch faszinierende Gestalten. Sie beschäftigten sich in einer Zeit, in der es noch keine Globalisierung gab, mit fremden Kulturen, Gebräuchen sowie Flora und Fauna. Die Tatsache, dass beide Gelehrte, jeder auf unterschiedliche Weise, ihre Beobachtungen zu Papier brachten, zeigt, wie nachhaltig der Vorgang des Betrachtens und Schreibens sein kann. Im digitalen Zeitalter, das sich durch Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit auszeichnet, sind gedruckte Bücher und Zeitschriften ebenfalls bleibende Werte, die es zu erhalten gilt, was uns der Jubilar, zu dessen Ehren das Symposion stattfand, eindrucksvoll in fast 30 Jahren Tätigkeit als Fachjournalist vorgelebt hat.
In seinem Schlusswort bedankte sich der Vorsitzende der DGGP-Landesgruppe Bayern Dr. Gerhard Gensthaler für das Engagement der Referenten. Er betonte die Vielseitigkeit des Faches Pharmaziegeschichte und freute sich über die vielen Anregungen und Impulse, die er an diesem sonnigen Samstagvormittag in Würzburg vermittelt bekommen habe. |
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