Aus den Ländern

Liberalisierung des Arzneimittelmarktes

TGL Nordrhein spricht mit der BDA über das Rx-Versandverbot

Am 14. März 2017 hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) eine Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zum Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln an den Bundestagsausschuss für Gesundheit übersandt. Die Tarifgemeinschaft der Apothekenleiter Nordrhein (TGL) nahm das zum Anlass, in einem Gespräch die Anliegen der Patienten und der Mitarbeiter in öffentlichen Apotheken zu verdeutlichen.

Der Titel dieser Stellungnahme: „Arzneimittelmarkt liberalisieren statt Versandhandel verbieten“ ist irreführend. Der Referentenentwurf befasst sich lediglich mit dem Versandhandelsverbot von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (sog. Rx-Präparate). Die Legalisierung des Versandes der Rx-AM durch das EuGH-Urteil vom 19. Oktober 2016 begünstigt einseitig ausländische Versandapotheken, weil Rabatte bzw. Boni bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch inländische deutsche Apotheken aufgrund der Preisspannenverordnung nicht gewährt werden können. Ein Verbot des Versandhandels mit freiverkäuflichen Arzneimitteln stand niemals zur Debatte. Ein Großteil dieser Arzneimittel wird heute auch im Versandwege außerhalb der Apotheke vertrieben.

In der Stellungnahme führt die BDA im Einzelnen aus: „Ein Verbot des Versandhandels würde die Versicherten zusätzlich belasten. Sie hätten dann keine Chance mehr, sich Arzneimittel zu geringeren Preisen im Ausland zu besorgen und auf diese Weise Zuzahlungen zu sparen bzw. zu verringern.“ Gleichzeitig werden die Möglichkeit der Selektivverträge von Krankenkassen mit Apotheken und die Aufhebung des Mehr- und Fremdbesitzverbotes gefordert. Auch zur Zahl der Apotheken in Deutschland wird Stellung genommen: „Zudem wäre auch bei einem deutlichen Rückgang der Zahl der Präsenzapotheken noch eine ortsnahe Versorgung gewährleistet. In Deutschland kommen auf jeden Einwohner vier mal so viele Apotheken wie in Dänemark, wo dennoch die Arzneimittelversorgung gewährleistet ist.“ (Zum Vergleich: Deutschland hat auf 357.000 Quadratkilometern 83 Mio. Einwohner, Dänemark auf 43.000 Quadratkilometern [ohne Grönland] 5,8 Mio. Einwohner; außerdem lebt 1/5 der Bevölkerung Dänemarks in Kopenhagen!)

Initiative der TGL

Die TGL ist Mitglied bei „unternehmer nrw“ (Landesvereinigung der Unternehmerverbände Nordrhein-Westfalen), die gleichzeitig der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) angehört. Nach der Diskussion der BDA-Stellungnahme zum Referentenentwurf der Bundesregierung im Vorstand der TGL wurde die Vorsitzende Dr. Heidrun Hoch beauftragt, mit dem Hauptgeschäftsführer der unternehmer nrw, Dr. Luitwin Mallmann, Kontakt aufzunehmen. Dabei sollten insbesondere die Sichtweise der Mitglieder der TGL zum EuGH-Urteil vom 19. Oktober 2016 sowie die Erwartungen an ein Verbot des Rx-Versandhandels aus der Sicht der Beschäftigten dargelegt werden. In einem weiteren Schritt sollten die flächendeckende Versorgung der Patienten und die Apotheke als Anlaufstelle kranker Menschen vor dem Hintergrund ungleicher Wettbewerbsbedingungen (Preisspannenverordnung gilt nicht für ausländische Versender von Rx-AM) angesprochen werden.

In der Folge konnte auf Initiative von Dr. Mallmann ein Gespräch mit der zuständigen Fachabteilung „Soziale Sicherung“ bei der BDA in Berlin vereinbart werden.

Vorbereitung des Treffens

In Vorbesprechungen hatte sich herausgestellt, dass die Papiere der BDA ohne Mitwirkung pharmazeutisch ausgebildeter Experten verfasst worden waren. Für die Besprechung erarbeiteten die Teilnehmer der TGL Arbeitsmaterialien und übergaben die Publikation: „Versandverbot für verschreibungspflich­tige Arzneimittel – Wettbewerbsökonomische und gesundheitspolitische Begründetheit“ von Uwe May, Cosima Bauer und Heinz-Uwe Dettling, erschienen im Deutschen Apotheker Verlag, an die BDA. An der Besprechung nahmen für die BDA teil: Alexander Hagen, Dr. Volker Hansen (Leitung Soziale Sicherung), Dr. Luitwin Mallmann (Hauptgeschäftsführer unternehmer nrw) und Dominik Naumann. Für die TGL Nordrhein nahmen teil: Dr. Heidrun Hoch (Vorsitzende TGL) und Dr. Holger Goetzendorff.

Foto: BDA
Von links: Alexander Hagen, Dr. Volker Hansen, Dr. Heidrun Hoch, Dominik Naumann, Dr. Holger Goetzendorff und Dr. Luitwin Mallmann.

Fragen an die Vertreter der BDA

Für die Sitzung hatten die Vertreter der Tarifgemeinschaft mehrere Fragen vorbereitet, die neben den bereits erwähnten Arbeitsmaterialien den Fokus auf die flächendeckende Versorgung, die Patientenbedürfnisse sowie auf die die Versorgung leistenden Beschäftigten richten sollten:

  • Sind Sie der Meinung, dass Arzneimittel eine x-beliebige Ware sind, die nach gleichen Kriterien wie andere Waren zu handhaben sind?
  • Neben technischen Voraussetzungen, die gerade für ältere eingeschränkte Personen zum Problem werden könnten, geht mit dem Ende der flächendeckenden Versorgung auch ein sozialer Anlaufpunkt verloren. Wie wollen Sie als Verband die Nichtachtung von alten Menschen begründen, damit nicht das Wort von der sozialen Kälte die Runde macht?
  • Ein Arbeitgeberverband schafft im Sinne des Wortes auch Arbeitsplätze, so verstehen wir uns als Tarifgemeinschaft der Apothekenleiter. Wir sehen nicht nur die Arbeitsplätze unserer Mitarbeiter bedroht, sondern auch die Existenzen unserer Mitglieder. Wollen Sie uns dabei unterstützen, dass nicht in die Taschen ausländischer Konzerne gewirtschaftet wird, sondern die Bundes­republik mit einem in Deutschland gezahlten Steueraufkommen ihren Pflichten gerecht werden kann?
  • Wenn man sich für den ausländischen Versandhandel stark macht, begünstigt man gerade mal zwei ausländische Kapitalgesellschaften versus 20.000 Apotheken, die im Übrigen hier Steuern und Abgaben zahlen, Personal beschäftigen und jeden Tag fast eine halbe Million Patienten versorgen. Welche Gründe gibt es für diese Haltung?
  • Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht die sozial- und familienpolitisch wünschenswerte Erwerbstätigkeit von Frauen, auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels?
  • Ist es nicht an der Zeit, sich in einer alternden Gesellschaft auf die demoskopischen Veränderungen einzustellen? Halten Sie es nicht für unmenschlich, dass der kranke Patient gezwungen wird, im Alter in den Preiswettbewerb einzutreten?
  • Deutschland hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, wollen Sie das zulasten der Bürger und Patienten verändern? Hat der Markt immer Vorrang vor der Versorgungsqualität?
  • Sind Sie der Meinung, dass Betreuung durch Call-Center auf Nachfrage der Patienten, die ihren Beratungsbedarf häufig nicht kennen, den Anforderungen eines Beratungsgesprächs über komplexe Arzneimittelwirkungen, Nebenwirkungen und unerwünschten Wechselwirkungen gerecht wird?

Gleichlange Spieße notwendig

Volker Hansen, auch alternierender Vorsitzender (für die Arbeitgeber) im Aufsichtsrat des AOK-Bundesverbandes, machte deutlich, dass aufgrund wirtschaftlicher Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen Krankenkassen, Krankenhäuser und Apotheken wirtschaftlich geführt werden müssten. Wettbewerbsgleichheit, also gleichlange Spieße, seien notwendig. Dabei müsse aber die Freiheit des Einzelnen erhalten bleiben, alles das zu bestellen, wann und wo er möchte. Neben den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sei es volkswirtschaftlich unumgänglich, dass Anreize zum Mehrverbrauch abgeschafft würden. Digitalisierung und Versandhandelsverbot passten nicht zusammen.

Unter Bezug auf den Rx-Versandhandel wies Luitwin Mallmann darauf hin, dass auch bei einem marktwirtschaftlichen Preiswettbewerb die gleichen Regeln für inländische und ausländische Apotheken gelten müssen. Er regte an, bei einer Überarbeitung der Papiere der BDA neben den Interessen der Patienten auch die Situation der beteiligten Unternehmen (Apotheken) stärker zu berücksichtigen.

Von Holger Goetzendorff wurden die Bedürfnisse der Patienten thematisiert. So sei es dem gesundheitlich eingeschränkten Patienten oft nicht mehr möglich, am Wettbewerb teilzunehmen, deshalb sei für ihn die wohnortnahe Versorgung besonders wichtig. Diese könne nicht durch eine Hotline und Rabattcoupons ersetzt werden. Ausländische Kapitalgesellschaften hätten keinen eigenverantwortlichen Inhaber, sondern Aktionäre, die sich jederzeit (digital) von ihrer Firma trennen könnten. Im Übrigen gebe es bereits einen Wettbewerb zwischen Krankenkassen und Industrie durch die Rabattverträge. Den Wettbewerb auf die Schwächsten im System, die Kranken, auszudehnen, halte er ethisch für nicht vertretbar.

Unter Bezug auf Digitalisierung und Online-Beratung griff Heidrun Hoch kommunikationswissenschaftliche Grundlagen auf und formulierte daraus ein Ergebnis: Durch Blickkontakt, Zuhören sowie gezieltes Nachfragen und dabei die Wahrnehmung des Anderen gelten lassen, komme es erst zum Verstehen. Der Apotheker sei nicht nur Kaufmann, sondern vor allem Heilberufler. Er rate nicht nur zu, sondern, wenn er durch persönlichen Anschein erkenne, dass der Patient nicht richtig handle, auch ab. Deshalb sei die persönliche Beratung vor Ort durch pharmazeutisches Fachpersonal alternativlos. Bei allen Wettbewerbsszenarien bliebe außer Ansatz, dass die Apotheke auch eine soziale Anlaufstelle sei und jeden Tag durch Prüfung der Medikation Irrtümer richtigstelle und damit im System erheblich zur Kostenreduktion beitrage.

Zusammenfassung

Abschließend waren sich die Teilnehmer der Diskussionsrunde darüber einig, dass einseitige Wettbewerbsvorteile ausländischer Versandapotheken nicht hinnehmbar seien. Markt und Versorgung müssten die Beteiligten in Einklang bringen. Ob ein Rx-AM Versandhandelsverbot, die Novellierung der Preisspannenverordnung, die Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes und Selektivverträge zwischen Krankenkassen und Apotheken sinnvoll sind, blieb umstritten.

Aus Apothekersicht wurde bekräftigt, dass ein Preiswettbewerb auf der untersten Ebene zwischen Apotheken und Patienten nicht hingenommen werden könne. Das betreffe ausdrücklich nicht den Handel mit freiverkäuflichen Arzneimitteln. Für verschreibungspflich­tige Arzneimittel dürfe nicht ein Sonderangebotscharakter durch auslän­dische Versandapotheken eingeführt werden. Die Hebung weiterer Wirtschaftlichkeitsreserven im Gesundheitswesen durch die von den Kassen angestrebten Systemveränderungen könne nicht nur zulasten der Patienten gehen. Der wohnortnahen Versorgung sei Priorität einzuräumen. |

Dr. Holger Goetzendorff, TGL

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