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Management

Keine Angst!

Wie falsche Sicherheitsstrategien uns ausbremsen können

Große Ängste, kleine Ängste: Von Berufsanfängerinnen* im HV über den Kundenvortrag bis zum Mitarbeiterinnengespräch – es gibt viele Situationen, in ­denen wir uns unnötig bremsen und beunruhigen. Doch dafür finden sich Aus­wege und Lösungen.

In vielen Situationen brauchen wir die Angst, sie warnt uns vor tatsächlichen Gefahren – und das ist gut so, es schützt unser Leben. Schade ist es, wenn sie uns im Alltag behindert, zum Beispiel bei der Kontaktaufnahme zu anderen Menschen. Oder wenn wir uns nicht trauen, „Nein“ zu sagen zu übermäßig lärmenden Jugendlichen, unverschämten Kunden oder einem Außendienstmitarbeiter, der uns immer wieder mehr Ware sendet als bestellt. Im Extrem kennen wir die Angst in Form von Phobien, die verhindern, dass jemand ein normales Leben führt.

Durch mancherlei Erfahrung, falsche Annahmen und übertriebene Sorgen reagieren wir immer wieder auf eine Weise, die uns von einem erfüllten Dasein weit entfernt. Denken wir an eine für viele Menschen unangenehme Situation – Sie sind eingeladen, gehen aber nicht hin, weil Sie niemanden kennen und befürchten: Dass Sie alleine stehen und es alle sehen? Dass Sie sich langweilen, abgelehnt werden, niemand an Ihnen interessiert ist? Wenn Sie zu Hause bleiben, entgeht Ihnen unter Umständen höchst Interessantes wie ein gelungener Austausch zu einem Ihrer Lieblingsthemen, bei dem Sie wichtige Neuigkeiten erfahren, oder die Bekanntschaft einer arbeitssuchenden Kollegin, die perfekt in Ihr unterbesetztes Team passen würde.

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Wer sich aus lauter Angst nicht aus dem Schneckenhaus traut, lässt sich womöglich einige schöne Erfahrungen entgehen. Man kann ja erst mal vorsichtig einen Fühler ausstrecken, statt sich komplett ausbremsen zu lassen.

Falsche Denkweisen entlarven

Was steckt dahinter, wenn wir ausweichen? Häufig genug wird uns gar nicht klar, wie stark eine un­gesunde Angst uns steuert und woraus sie entsteht. Durch diese Angst hindern wir uns jedoch selbst am Wachsen. Lebensbehindernde Denkweisen sind nach der Psychotherapeutin Jennifer Shannon:

  • die Unfähigkeit, Ungewissheit zu ertragen,
  • Perfektionismus sowie
  • übertriebenes Verantwortungsbewusstsein.

Handeln wir nur dann, wenn wir die Gewissheit haben, dass es hindernisfrei gelingt, fangen wir oft gar nicht erst an. Ein Beispiel: eine neue Nicht-N.R.F.-Rezeptur. Ein Kunde überreicht uns ein Rezept für eine Rezeptur mit einem Inhaltsstoff, mit dem wir noch nie gearbeitet haben, und wir sind unsicher, ob, wie und wie schnell wir das Gewünschte anfertigen können. Zeigt jetzt auch noch der Kunde etwas Ungeduld, neigt manche dazu, ihn lieber unter einem Vorwand wegzuschicken. Zweites Beispiel: Wir fühlen uns schon länger nicht mehr wohl in unserer Apotheke und möchten den Arbeitsplatz wechseln. Davon hält uns die Angst ab, dass es anderswo auch nicht besser, sondern womöglich schlimmer ist. Was tun wir? Wir akzeptieren aus Angst eine Situation, die kaum auszuhalten ist, statt so lange zu suchen, bis wir eine Apotheke finden, die zu uns passt.

Perfektionismus blockiert uns, wenn wir Angst haben, nicht sofort 100 Prozent zu erreichen. Und z. B. aus einem übertriebenen Planungsbedürfnis heraus bereits alles im Voraus minutiös festhalten oder Listen über Listen produzieren, weit über das sinnvolle Maß hinaus. Oder indem wir immer und immer wieder nachbessern und damit Zeit verlieren, die wir lieber anderweitig investieren sollten.

Woran erkennt man, dass man zu viel Verantwortung übernimmt? Wenn Sie selbst auf der Strecke bleiben im Einsatz für andere, immer wieder die Probleme anderer lösen oder die Schuld für Dinge übernehmen, die Sie gar nicht verursacht haben – all dies führt am Ende zum Burn-out oder zu sonstigen Krankheiten. Hier haben wir es mit einem zu hohen Pflichtgefühl zu tun aus der Angst heraus, andere Menschen zu enttäuschen.

Der Weg zur Freiheit

Ein erster großer Schritt liegt im Erkennen der eigenen Sicherheitsstrategie. Warum melden Sie sich nicht für ein Seminar im Bereich Kommunikation an? Zu teuer? Nein, viele von uns fürchten das aktive Tun, womöglich ein Rollenspiel? Oh je, lieber nicht, man könnte sich ja blamieren! Dabei ist es nur gut, wenn im geschützten Trainingsraum ungünstige Ver­haltensweisen auftauchen – wie soll man sie sonst erkennen?

Hinterfragen Sie sich, wenn Ihnen etwas „unheimlich“ ist, gemischte Gefühle auftauchen. Eventuell nehmen Sie es auch auf der körperlichen Ebene wahr: Sie atmen schneller und flacher, der Magen oder Darm grummelt etc. Einfach ist das nicht. Shannon: „Sicherheitsstrategien sind derart fest in unseren täglichen Routineverrichtungen verankert und so weit verbreitet in unserer Kultur, dass sie sich nur schwer ausmachen lassen.“

Kennzeichnend ist, wenn wir immer wieder gegen unsere lang­fristigen Interessen handeln, um kurzfristig Angst zu umgehen. Ein Beispiel: Die Inhaberin möchte der neuen Approbierten nach kurzer Zeit ein paar Kritikpunkte und ihre Wünsche dazu nennen. Die Kollegin agiert allerdings recht selbstbewusst, hat innerhalb von zwei Jahren drei Apotheken „ausprobiert“ und nun befürchtet die Chefin, dass ihr neuer, eben engagierter Schatz beleidigt reagiert und sich empfiehlt. Aus lauter Angst überlegt sie lange, wie sie es anpacken soll, schöpft immer wieder Hoffnung, dass es sich mit der Zeit vielleicht von alleine bessert und schweigt. Das Team und sogar mancher Kunde wundern sich, dass sie die Neue nicht „zur Ordnung ruft“. Diese realisiert die Unzufriedenheit nicht und ist irritiert über eine unterschwellige Unfreundlichkeit ihr gegenüber, die nicht zu fassen ist.

Angst nicht zu spüren, bedeutet nicht, keine Angst zu haben.

Robert Kühl

Irrige Annahmen umpolen

Ein zweiter Schritt besteht im Umpolen der irrigen Annahmen. Auch diese Aufgabe ist nicht einfach zu erledigen. Statt „Ich muss perfekt sein“ gilt „Auch ich darf mal einen Fehler machen“, statt „Ich bin für jeden verantwortlich“ sagen wir uns „Ich bin nur für mich verantwortlich“. Ausnahmen bestätigen die Regel; im ersten Fall darf zum Beispiel bei der Arzneimittelabgabe kein Fehler passieren, im zweiten Fall sind zum Beispiel Apothekenleiterinnen in gewissem Umfang auch für ihre Mitarbeiterinnen verantwortlich.

Das Umgewöhnen ist nur durch positive Erfahrungen möglich, die wir machen, wenn wir uns etwas auszuprobieren trauen. Zu Beginn wird die Angst eventuell noch stärker, wenn wir in die Situation hineingehen. Wir merken dann zunehmend, dass es viel weniger unangenehm wird als gedacht. Der Nörgelkunde, den keiner bedienen wollte, wird plötzlich erträglich, die Rezeptur ist viel unkomplizierter als befürchtet und das neue Computerprogramm erweist sich als übersichtlicher und bequemer als das nur ungern verabschiedete alte. Fangen Sie klein an, da, wo die Angst gering ist, nicht mit Ihren „dicksten Brummern“!

Manch einer schiebt anderen Menschen die Schuld für seine eigenen Schwierigkeiten zu und erwartet dauerhaft eine Besserung von außen. Der Angsttherapeut Dietmar Hansch benennt eine helfende Grundeinstellung: „Ich bin für mein Verhalten, meine Gedanken, meine Gefühle und mein Glück selbst verantwortlich. Meine Gefühle entstehen in mir, ich kann potenziell Kontrolle darüber gewinnen.“ Hansch erklärt in seinem „Praxisbuch“ (s. Literatur) das gesamte Spektrum von gesunder Angst bis zu Angststörungen, erläutert den Umgang damit und gibt Übungsaufgaben wie das Ansprechen fremder Leute oder Sich-Beschweren im Restaurant, Tipps gegen Vortragsangst etc.

Natürlich können wir uns auch im Team austauschen und Anregungen geben. Das, was die eine befürchtet, macht der anderen gar nichts aus und umgekehrt. So kommt jede für sich weiter, wir können auch schwierige Situationen theoretisch besprechen oder praktisch trainieren.

Wir leiden mehr in der Vor­stellung als in der Realität!

Seneca

Was kann im schlimmsten Fall passieren?

Noch eine Möglichkeit: Senecas praemeditatio malorum – frei übersetzt: Was kann als Schlimmstes geschehen? Wenn ich „es“ mal probiere, also den Kunden oder die Kollegin auf eine Schief­lage anspreche zum Beispiel? Mein Gegenüber kann beleidigt reagieren, erbost, verärgert usw. Und wie würde ich dann damit umgehen? Tatsächlich – die Lage ist doch durchaus zu retten!

Wenn wir unsere negativen Gefühle annehmen, weil sie zu unserem Entwicklungsprozess gehören und wir mit ihnen arbeiten möchten, lernen wir, dass wir ihnen nicht hilflos ausgeliefert sind. Dadurch können wir eine unangenehme Situation immer besser meistern und lassen uns nicht mehr durch Ängste von unseren Werten und Zielen abbringen. Ängste und Sorgen sind also eher als Weckruf zu werten, den wir hören sollten, anstatt mit Vermeidungsstrategien zu reagieren und unsere Fortentwicklung dadurch dauerhaft zu hemmen. Die Erfolgsaussichten sind am größten, wenn wir mit kleineren Herausforderungen unser Antiangsttraining beginnen. Loben Sie sich auch für klitzekleine Fortschritte und nehmen Sie sie als Ansporn wahr. |

Ute Jürgens ist Kommunikationstrainerin mit Spezialisierung auf die Heilberufler,
Dipl. Erwachsenenpädagogin und PTA, www.kommed-coaching.de

Literatur

Jennifer Shannon

Lieber Kopf, wir müssen reden – wie Sie sich von Sorgen und Stress befreien.

Scorpio Verlag 2017

ISBN 978-3-958-03146-3





Dietmar Hansch

Angst selbst bewältigen – Das Praxisbuch.
Die Sybergiemethode entwickelt aus der aktuellen Angst­forschung.

Knaur Menssana 2017. ISBN 978-3-426-65803-1


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