Pro & Kontra

Sollen Apotheker impfen

dürfen oder nicht?

Pro

„Die pharmazeutische Fachexpertise in der Primärversorgung vermehrt zu nutzen und zu erweitern, wird unabdingbar.“

Christian Roth, Apotheker und Präsident der Internationalen Vereinigung der Pharmazie­studierenden (IPSF)

Zählen Impfungen auch unbestreitbar zu den medizinischen Durchbrüchen, so sorgen sie noch immer für Kontroversen. Erneut kam es nach den jüngsten Masernausbrüchen zum Aufflammen der Impfpflicht-Debatte in Deutschland. „Impfmüde Deutsche – keine Lust auf den Piks“ titelte die Ärztezeitung über rückläufige Impfquoten. Aber ist die Forderung nach derartiger Bevormundung unserer Patienten und die Maxime des selbstbestimmten, mündigen Patienten denn vereinbar? Wäre es nicht angebrachter weniger radikale Ansätze zu wählen? Die pharmazeutische Fachexpertise in der Primärversorgung vermehrt zu nutzen und zu erweitern, wird unabdingbar. Mit dem unausweichlichen demografischen Wandel konfrontiert, treffen Aufrechterhaltung und Ausweitung der gesellschaftlichen Impfquoten, als effektivste Prävention des Einzelnen und dem Schutz von Risikogruppen, auf vermehrt durch ökonomische Zwänge überlastete Kliniken und Praxen. Dies wird potenziert vom wachsenden Leistungsdruck unserer Gesellschaft. Ein niedrigschwelliger Zugang zu Impfung, Auffrischung und tangierenden Teilbereichen gerät erneut vermehrt in den Fokus. Mit der Apothekerschaft stehen kompetente, kostenintensiv akademisch ausgebildete Gesundheitsfachkräfte zur Verfügung, deren Potenzial ineffizient abgerufen wird. Unverständlich erscheinen einige Bedenken, wo doch oft ein großer Teil an Impfungen in den Praxen nicht von Ärzten selbst appliziert wird. In mehreren Ländern sind Apotheker bereits erfolgreich zum Impfen befugt. Eine Ausweitung der pharmazeutischen Kompetenz für Impfungen (z. B. Grippe, Auffrischungen) erfolgte 2002 in Großbritannien, gefolgt von Portugal (2009), Irland (2011), Schweiz, Frankreich, aber auch den Vereinigten Staaten (1995; generalisiert 2009), Kanada und Australien. In der Schweiz nahmen zehn bis zwanzig Prozent der in Apotheken geimpften Patienten erstmalig die ­Influenzaimpfung überhaupt in ­Anspruch und Reviews zeigen eine ­generelle Erhöhung der Inanspruchnahme von Impfungen durch Einbezug der Apotheker in beratender, ­unterstützender oder verabreichender Tätigkeit. Die Bedürfnisse und Lebensumstände der Patienten sollten leitende Prämisse sein, um Wege und Zeit einzusparen, Praxen zu entlasten und neue Patientengruppen für den Impfschutz zu erschließen. Eine regelmäßige Fortbildung muss Voraussetzung sein. Mit der Novellierung der Apothekenbetriebsordnung wurden bereits verbindliche strukturelle Standards gesetzt und die Notwendigkeit einer angemessenen Honorierung steht ­generell außer Frage. Komplikationen sind eher selten, stellen aber einen zu betrachtenden Aspekt dar. Täglich werden Patienten und Angehörige von uns in der Applikation von Devices in Notsituationen geschult, fundiert beraten und bei Risiken an ärztliche Kollegen verwiesen. Waren Aufschrei und Bedenken einst groß, zählen Blutdruckmessungen heute zu den allgemeinen Dienstleistungen in der Offizin. Mehr Mut zum pharmazeutischen Selbstvertrauen! Die derzeitige und zukünftige Generation steht gut ausgebildet bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen. |



Kontra

„Mit pharmazeutischer Kompetenz hat das nichts zu tun.“

Christoph Gulde, Apotheker und Inhaber der Solitude-Apotheke in Stuttgart, Vizepräsident des Landesapothekerverbandes Baden-Württemberg

Eine Frage, die bei allen pharmazeutischen Zukunftsforen immer wieder auftaucht und als der Ausbau pharmazeutischer Kompetenz erachtet und gefordert wird. Aber ist es wirklich ein Ausbau pharmazeutischer Kompetenz? Betrachten wir den Ist-Zustand:

Ja, es gibt in anderen (europäischen) Ländern ApothekerInnen, die diese Aufgabe übernehmen. Vermutlich erhalten sie dafür eine Vergütung, vermutlich werden sie dafür besonders geschult und können auch mit möglichen allergischen Sofortreaktionen umgehen. Darin sehe ich kein Problem. Warum sollen rein „handwerklich“ ApothekerInnen nicht genauso gut impfen können, wie eine Versorgungswirklichkeit in deutschen Arztpraxen aussieht, nämlich durch die impfende Praxismitarbeiterin mit ihrer jeweiligen Qualifikation. Ich schreibe mit Absicht „eine“ Versorgungswirklichkeit, weil es durchaus auch die impfenden ÄrztInnen gibt.

Also über das Können müssten wir aus meiner Sicht nicht streiten. Aber über das „sollen“ und „dürfen“.

Ich bin der Meinung, dass die Apotheker das so lange nicht sollen und dürfen sollen, solange ohne ihr Mitwirken kein Versorgungsengpass entsteht, solange alle Impfungen, die notwendig oder empfohlen sind, durch die ärztliche Versorgung abgedeckt sind.

Erst wenn es hier zu Versorgungsengpässen käme, wären geschulte ApothekerInnen sicherlich in der Lage, diese Versorgungsengpässe zu verringern, vielleicht dabei sogar präventiv eine höhere Impfungsrate zu ermöglichen.

Mit pharmazeutischer Kompetenz hat das aber aus meiner Sicht nichts zu tun, eher mit Arbeitsteilungen und möglichen Schnittstellen von pharmazeutischen und ärztlichen Bereichen. Und hier sollten wir bei unseren Forderungen immer auch die Sicht unserer ärztlichen KollegInnen einnehmen: Warum mischen sich die Apo­theker in einen Bereich von uns ein? Verlieren wir etwas dabei?

Diese möglichen Fragen sollten wir ernst nehmen, nicht wegen der ärztlichen Reflexforderung „Dispensierrecht“, sondern weil wir Veränderungen am besten gemeinsam besprechen und umsetzen. Was diesen Reflex des „Dispensierrechts“ angeht, bin ich sicher, dass hier aus der Gewohnheit der Abgabe von Ärztemustern die Komplexität der Arzneimittelversorgung auf der ärztlichen Seite krass unterschätzt wird.

Stichworte von A – Z, nicht abschließend: Abrechnung, Dokumentation, Gewerbesteuerpflicht, Kassenführung, Kontrolle, Lagerung, Rabattverträge, Zuzahlungen. Insofern ist diese Reflexforderung kein Argument, die meine Entscheidung beeinflusst.

Vielmehr geht es am Ende unseres gemeinsamen Tuns um unsere gemeinsamen PatientInnen und deren Wohl. Wenn wir die im Blickfeld haben, wird auch klar, warum ich dagegen bin, dass Apotheker impfen dürfen: Es fehlt derzeit schlicht die Notwendigkeit. Auf den Plätzen folgen: Ich betrachte es nicht als pharmazeutische Kernkompetenz und -aufgabe und es stört die Balance im gemeinsamen ärztlichen-pharmazeutischen Aufgabenspektrum.

Sollte vonseiten der Ärzteschaft und/oder der Politik der Wunsch an die Apotheker herangetragen werden, hier aktiv zu werden und die inhaltlichen Voraussetzungen für Impfungen in den Apotheken zu schaffen, können wir das.

Vorher sollten wir keine Energie darauf verschwenden, es gibt viel Wichtigeres in der heutigen und zukünftigen Arzneimittelversorgung. |

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