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Arzneimittelzulassung
Antimykotikum wird zum Orphan Drug
Die wechselvolle regulatorische Geschichte von Ketoconazol
Seit über 30 Jahren werden Pilzinfektionen mit dem Imidazol-Antimykotikum Ketoconazol (Abb. 2) behandelt, das allerdings stetig an Bedeutung verlor zugunsten von neueren Antimykotika mit geringeren Nebenwirkungen. Die Zulassung für die systemische Therapie von Mykosen wurde 2013 nach einem europäischen Risiko-Bewertungsverfahren (Referral) ausgesetzt. 2014 kam die Zulassung zur systemischen Behandlung des sehr seltenen endogenen Cushing-Syndroms hinzu. Zudem ist es weiterhin als lokales Antimykotikum zugelassen.
Die Hemmung der Ergosterol-Synthese in Pilzen und – bei höherer Konzentration – der Cholesterol-Synthese im Menschen durch Ketoconazol bedingen seine beiden sehr unterschiedlichen Indikationen. Dementsprechend unterscheiden sich die Applikationsarten, die Therapiedauer und Sicherheitsprofile deutlich voneinander.
Die antimykotische Wirkung von Ketoconazol beruht auf der Hemmung der Synthese von Ergosterol, einem essenziellen Baustein der Zellmembran von Pilzen. Die Hemmung erfolgt über das Enzym Lanosterol-Demethylase (auch CYP51 genannt; Abb. 3). Aufgrund des Ergosterol-Mangels wird die Zellmembran permeabel, sodass für den Pilz lebenswichtige Moleküle nun ungehindert aus der Zelle diffundieren können. Je nach Pilzspezies wird dadurch das Wachstum gehemmt (fungistatisch) oder der Pilz abgetötet (fungizid) [1].
Als eines der ersten Azol-Antimykotika wurde Ketoconazol (Nizoral®) 1982 bei Pilzinfektionen der Haut und Nägel zugelassen. Behandelt wurde lokal mit Cremes und Shampoos, die auf die Haut bzw. die Nägel aufgetragen wurden. Im Fall einer Organmykose wurde Ketoconazol oral als Tablette verabreicht, damit es systemisch wirkt. Dabei hemmt Ketoconazol neben CYP51 jedoch weitere CYP-Enzyme, darunter auch CYP3A4, sodass es unbeabsichtigte Wirkungen entfaltet (Off-target-Effekte). Die CYP3A4-Hemmung von Ketoconazol wurde jahrelang in Arzneimittelinteraktionsstudien genutzt.
Arzneimittelinteraktionsstudien
Bei der gleichzeitigen Anwendung mehrerer Arzneimittel können die Wirkungen der einzelnen Arzneimittel sowohl pharmakokinetisch als auch pharmakodynamisch verändert sein (z. B. Verminderung der blutdrucksenkenden Wirkung eines Betablockers bei gleichzeitiger Einnahme eines nichtsteroidalen Antirheumatikums). Das Immunsuppressivum Ciclosporin, das häufig nach einer Organtransplantation verabreicht wird, wird über das Enzym CYP3A4 metabolisiert. Nimmt der Patient neben Ciclosporin ein Arzneimittel ein, das CYP3A4 inhibiert (z. B. Ketoconazol), so wird Ciclosporin langsamer metabolisiert, folglich verbleibt eine größere Menge im Körper zurück, was zu toxischen Effekten führen kann [3].
Um gefährliche Arzneimittelinteraktionen zu identifizieren, empfiehlt die Richtlinie „guideline on the investigation of drug interactions“ entsprechende Studien (in vitro und in vivo). Die aktuelle Version ist 2013 in Kraft getreten und befindet sich derzeit in Revision [4]. Da es einer Sisyphusarbeit gleichkäme, jede relevante Arzneimittelkombination auf Interaktionen zu testen, werden mechanistische Interaktionsstudien durchgeführt. Hierbei werden die für die ADME-Prozesse des Wirkstoffs relevanten Strukturen untersucht. Dazu gehören z. B. Enzyme, die mehr als 25% des Wirkstoffs metabolisieren.
Das Enzym CYP3A4 metabolisiert sehr viele Wirkstoffe, die daher ein besonders großes Interaktionspotenzial bieten. Um zu ermitteln, ob ein bestimmtes Arzneimittel mit CYP3A4 interagiert, wird es zusammen mit CYP3A4-Inhibitoren (z. B. Ketoconazol) bzw. CYP3A4-Induktoren (z. B. Rifampicin) getestet. Da Ketoconazol schwere Nebenwirkungen aufweisen kann, werden heute an seiner Stelle andere starke CYP3A4-Inhibitoren wie Itraconazol und Clarithromycin empfohlen [4, 5].
Aussetzen der Zulassung oraler Präparate
Nach systemischer Behandlung von Pilzinfektionen mit Ketoconazol häuften sich Leberschädigungen bei Patienten [6], weshalb Ärzte bei langer systemischer Therapie die Leberfunktionswerte überwachen sollten. Nach der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) initiierte auch die französische Zulassungsbehörde Agence nationale de sécurité du médicament et des produits de santé (ANSM) Untersuchungen zur Hepatotoxizität von Ketoconazol; diese ergaben, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis bei systemischer Behandlung von Pilzinfektionen negativ ist. Das heißt, das potenzielle Risiko einer Leberschädigung wiegt schwerer als der Nutzen, die Pilzinfektion zu heilen, denn es gibt andere Antimykotika mit günstigeren Nebenwirkungsprofilen (z. B. Itraconazol). Daher wurde in Frankreich ab 2011 die Zulassung von Ketoconazol für die systemische Anwendung ausgesetzt und eine europäische Bewertung eingeleitet. Das Committee for Human Medicinal Products (CHMP) sprach sich im Juli 2013 für eine Aussetzung der Zulassung oraler Ketoconazol-Präparate aus. Auf diese Empfehlung hin sind seit Oktober 2013 EU-weit orale Ketoconazol-Präparate zur systemischen Behandlung von Pilzinfektionen nicht mehr zugelassen. Die Ketoconazol-Zubereitungen zur lokalen Therapie sind davon nicht betroffen und weiterhin auf dem Markt, da der Wirkstoff die Haut größtenteils nicht durchdringt und daher keine Leberschäden zu erwarten sind [7, 8]. Ende 2014 kamen Ketoconazol-Tabletten wieder auf den Markt, allerdings nicht zur Behandlung von Pilzinfektionen, sondern des endogenen Cushing-Syndroms.
Ketoconazol beim Cushing-Syndrom
Das endogene Cushing-Syndrom ist per Definition der European Medicines Agency (EMA) eine seltene Erkrankung (Orphan Disease; siehe Kasten), die auf eine übermäßige endogene Cortisol-Produktion zurückzuführen ist.
Cortisol, ein Glucocorticoid, beeinflusst u. a. den Glucose-Stoffwechsel des Körpers, indem es
- die Sekretion von Insulin hemmt,
- die Glucose-Aufnahme der Zellen hemmt und
- die Gluconeogenese (Bildung von Glucose aus dem Protein-Abbau) fördert.
Orphan Disease
Eine Erkrankung ist laut EU-Definition eine seltene Erkrankung, wenn weniger als 5 von 10.000 Personen erkrankt sind oder weniger als 230.000 Neuerkrankungen pro Jahr auftreten.
In den USA und Japan gelten andere Definitionen.
Cortisol wird in der Zona fasciculata der Nebennierenrinde (NNR) nach endogener Stimulation synthetisiert: Aus dem Hypothalamus freigesetztes Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) fördert die Ausschüttung von adrenocorticotropem Hormon (ACTH) aus der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse). Das ACTH stimuliert nun seinerseits die Cortisol-Produktion in der NNR. Bei einem erhöhten ACTH- oder Cortisol-Blutspiegel bewirkt eine negative Rückkopplung eine Normalisierung, denn sowohl ACTH als auch Cortisol hemmen die Ausschüttung der übergeordneten Hormone (Abb. 4) [9].
Beim Cushing-Syndrom unterscheidet man zwei Formen:
- Das exogene Cushing-Syndrom entsteht durch die systemische Anwendung von Glucocorticoiden in Dosen oberhalb der sogenannten Cushing-Schwelle (40 mg/Tag [10]).
- Ursache eines endogenen Cushing-Syndroms sind häufig Tumoren, die Cortisol produzieren oder die Cortisol-Produktion stimulieren (z. B. ACTH-produzierende Tumoren, vornehmlich benigne Hypophysen-Adenome).
Die Mortalität eines Cushing-Patienten ist bis zu viermal höher als die eines Gesunden. Sie ist durch die vielseitigen und schwerwiegenden Symptome bedingt [9]:
- Bluthochdruck,
- Gewichtszunahme mit Stammfettsucht,
- Zyklusstörungen bei Frauen,
- psychische Probleme (z. B. Depressionen),
- Vollmondgesicht,
- Osteoporose,
- Muskelschwund,
- diabetische Stoffwechsellage.
Die Erstlinientherapie des endogenen Cushing-Syndroms besteht in der neurochirurgischen Resektion des Tumors. Eine medikamentöse Therapie (Wirkstoffe in Tab. 1) wird erwogen, wenn eine Operation abgelehnt wird, nicht realisierbar ist oder nicht erfolgreich war [11]. Oft erfolgt sie auch direkt nach einer Bestrahlung – also bevor sich ein therapeutischer Erfolg derselben eingestellt hat.
Wirkmechanismus |
Wirkstoff |
weitere Indikationen |
---|---|---|
Hemmung der Cortisol-Biosynthese |
Etomidat |
Injektionsnarkose |
Metyrapon |
Diagnostik |
|
Mitotan |
Tumorerkrankungen |
|
Ketoconazol |
Mykosen (lokal) |
|
Reduktion der ACTH-Ausschüttung |
Cabergolin |
M. Parkinson, zum Abstillen |
Pasireotid |
Akromegalie |
|
Blockade des Glucocorticoid-Rezeptors |
Mifepriston |
Schwangerschaftsabbruch |
Die Wirkungsweise von Ketoconazol beim Cushing-Syndrom beruht auf der Blockade der Enzyme CYP17 und CYP11B1, die an der Biosynthese des Cortisols beteiligt sind (Abb. 5). Dadurch sinkt der Cortisol-Spiegel, und die Symptomatik wird gelindert. In diesem Sinne wurde Ketoconazol zunächst off label angewendet [12, 13]. Nachdem die peroralen Ketoconazol-Präparate 2013 vom Markt genommen worden waren, war der Off-label-Use nicht mehr ohne Weiteres möglich. Folglich musste Ketoconazol für die Indikation „Morbus Cushing“ neu zugelassen werden.
Off-label-Use
Der Off-label-Use bezeichnet die Anwendung eines Arzneimittels außerhalb seiner zugelassenen Indikation(en). Der verschreibende Arzt muss den Patienten vor der Anwendung umfassend aufklären und ist unter Umständen persönlich für die Therapie haftbar.
Weil der Erlös eines pharmazeutischen Unternehmers aus der Vermarktung von Arzneimitteln für seltene Erkrankungen (Orphan Drugs) oftmals geringer ist als bei häufiger vorkommenden Erkrankungen, wurde ein wirtschaftlich interessantes Zulassungsverfahren für Orphan Drugs geschaffen. Die Anerkennung als Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen (Orphan Designation) wird durch das Committee for Orphan Medicinal Products (COMP) erteilt, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
- Das Arzneimittel soll für die Behandlung, Vorbeugung oder Diagnose einer lebensbedrohlichen oder schweren chronischen Erkrankung eingesetzt werden.
- Diese Krankheit muss selten sein (siehe Kasten Orphan Disease), oder die Entwicklungskosten des Arzneimittels sind höher als die zu erwartenden Einnahmen.
- Es gibt bisher keine zufriedenstellende Möglichkeit zur Behandlung, Vorbeugung oder Diagnose dieser Krankheit, oder das neue Arzneimittel hat einen erheblichen Vorteil (significant benefit) für die Patienten [15].
Die Vorteile einer Orphan Designation umfassen
- protocol assistance (besondere Form der wissenschaftlichen Beratung durch die EMA),
- zehn Jahre Marktexklusivität (ähnliche Substanzen dürfen nicht in der gleichen Indikation angewendet werden),
- geringere Gebühren für Zulassungsanträge, Inspektionen und Änderungsanträge,
- finanzielle Zuschüsse durch Förderungsprogramme und
- weitere wirtschaftliche Anreize der einzelnen EU-Staaten [16].
Zugelassen wurden Ketoconazol-Tabletten (Ketoconazole HRA®) im November 2014 zur Behandlung eines endogenen Cushing-Syndroms bei Erwachsenen und Jugendlichen über zwölf Jahren. Das Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) sprach sich für die Zulassung aus, da die Behandlung mit Ketoconazol gut dokumentiert ist und ein Bedarf für weitere medikamentöse Alternativen bestand [13]. Anders als bei Pilzinfektionen ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis von systemischem Ketoconazol beim Cushing-Syndrom positiv. Das liegt einerseits an der Schwere der Erkrankung, andererseits an der geringen Anzahl alternativer Medikamente. Mit einem Rote-Hand-Brief machte der Hersteller (HRA Pharma) noch einmal auf das Risiko der Hepatotoxizität aufmerksam und erläuterte Maßnahmen zur Risikominimierung (z. B. Messung der Leberenzymwerte vor und während der Behandlung) [17]. |
Literatur
[1] Mutschler E, Geisslinger G, Kroemer HK et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen. Lehrbuch der Pharmakologie, der klinischen Pharmakologie und Toxikologie. 10. Aufl. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2013
[2] Aktories K, Forth W, Förstermann U. Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 9. Aufl. München: Elsevier Urban & Fischer; 2005
[3] Lüllmann H, Mohr K, Hein L. Taschenatlas Pharmakologie. 7. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2015
[4] European Medicines Agency. Guideline on the investigation of drug interactions. CPMP/EWP/560/95/Rev. 1 Corr.; 2012
[5] Food and Drug Administration. FDA advises against using oral ketoconazole in drug interaction studies due to serious potential side effects; 16.10.2013
[6] Rodríguez G et al. A cohort study on the risk of acute liver injury among users of ketoconazole and other antifungal drugs. Br J Clin Pharmacol 1999;48:847-852
[7] European Medicines Agency. European Medicines Agency recommends suspension of marketing authorisations for oral ketoconazole. Benefit of oral ketoconazole does not outweigh risk of liver injury in fungal infections; 26.07.2013
[8] European Medicines Agency. Suspension of marketing authorisations for oral ketoconazole. Benefit of oral ketoconazole does not outweigh risk of liver injury in fungal infections; 11.10.2013
[9] Lüllmann H, Mohr K, Wehling M. Pharmakologie und Toxikologie. Arzneimittelwirkungen verstehen – Medikamente gezielt einsetzen. 18. Aufl.; 2016
[10] Roche-Lexikon Medizin. 5. Aufl. München: Urban & Fischer; 2003
[11] Nieman LK et al. Treatment of Cushing’s Syndrome. An Endocrine Society Clinical Practice Guideline. J Clin Endocrinol Metab 2015;100:2807-2831
[12] Eckstein N, Haas B, Hass MDS et al. Systemic therapy of Cushing‘s syndrome. Orphanet J Rare Dis 2014;9:122
[13] European Medicines Agency. Zusammenfassung des EPAR für die Öffentlichkeit. Ketoconazol HRA; 11.2014
[14] Nussey S, Whitehead S. The adrenal gland: BIOS Scientific Publishers; 2001
[15] European Medicines Agency. Orphan designation (04.09.2017); www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/regulation/general/general_content_000029.jsp&mid=WC0b01ac05800240ce
[16] European Medicines Agency. Orphan incentives; www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/regulation/general/general_content_000393.jsp&mid=WC0b01ac058061f017
[17] HRA Pharma. Rote-Hand-Brief. Ketoconazole HRA®: Informationen über das Risiko von Hepatotoxizität; 09.03.2015
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