Gesundheitspolitik

Der nächste Angriff aufs Preisrecht

Kein einheitlicher Herstellerabgabepreis für EU-Versender?

BERLIN (ks) | EU-Versandapotheken müssen sich seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. Oktober 2016 bekanntlich nicht an die deutsche Rx-Preisbindung halten. Die kurzfristigen Effekte dieses Urteils waren und sind für alle Apotheken unmittelbar zu spüren. Nun zeichnet sich ab, dass die Auswirkungen noch weiter gehen. Eine Befürchtung, die Rechtsexperten schon 2016 äußerten, scheint sich zu bewahrheiten. Auch die Preisbindung der anderen Handelsstufen steht auf dem Spiel – können auch Hersteller und Großhändler vom einheitlichen Abgabepreis abgehen, wenn sie an DocMorris und Co. liefern? Darauf deutet eine noch nicht veröffentlichte Entscheidung des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf hin, die derzeit alle Beteiligten der Arzneimittellieferkette in Unruhe versetzt. Dabei handelt es sich um just den Senat, der seinerzeit für die EuGH-Vorlage gesorgt hat. Es geht es um einen Rechtsstreit zwischen zwei Botox-Herstellern.

Worum geht es genau? Galderma war im vergangenen Jahr im Eilverfahren gegen seinen Wettbewerber Merz vorgegangen. Beide Unternehmen bieten verschreibungspflichtige Botulinumtoxin-Arzneimittel („Botox“) an: Azza­lure® und Bocouture®. Doch bei Galderma hatte man spätestens im Sommer 2018 mitbekommen, dass Merz beim Verkauf von Bocouture® an ausländische Versandhändler, die ihrerseits nach Deutschland liefern, den einheit­lichen Abgabepreis offenbar nicht einhält. Dabei müssen pharma­zeutische Unternehmen nach deutschem Recht einen einheitlichen Abgabepreis sicherstellen (§ 78 Abs. 3 Satz 1 AMG i. V. m. § 1 Abs. 1, 4 AMPreisV). Von diesem dürfen sie gegenüber einzelnen Abnehmern – etwa Apotheken – nicht abweichen und keine individuellen Rabatte gewähren. Galderma mahnte daher die Konkurrenz ab – ohne Erfolg. Daraufhin beantragte die Firma beim Landgericht (LG) Düsseldorf die einstweilige Verfügung. Man war überzeugt, dass sich Merz im Wettbewerb einen Vorsprung durch Rechtsbruch verschaffe. Es liege ein Verstoß gegen das geltende Arzneimittel- und Heilmittelwerberecht vor.

Abgesehen davon, dass Merz schon das angerufene Gericht für nicht zuständig hielt, sah das Unternehmen sich auch in der Sache nicht veranlasst, die ihm vorgehaltene Geschäftspraktik aufzugeben. Es sei zu bezweifeln, ob die Regelung zum einheitlichen Abgabepreis überhaupt auf einen Auslandssachverhalt angewendet werden könne, hielt Merz entgegen. Zudem gebe es nach der Rechtsprechung des EuGH zu den Ab­gabepreisen von im EU-Ausland ansässigen Versandhändlern keine Rechtfertigung mehr, die Berufsausübungsfreiheit der Pharmaunternehmen durch einheitliche Herstellerabgabepreise zu beschränken – jedenfalls nicht, soweit sie ausländische Versandapotheken beliefern, die ihrerseits nicht an einheitliche Apothekenpreise gebunden sind.

LG: Wer Rabatte geben darf, muss dafür Spielraum haben

Das LG Düsseldorf wies den Antrag auf Einstweilige Verfügung im Dezember vergangenen Jahres zurück (Urteil vom 6. Dezember 2019, Az. 14c O 105/18). Er sei bereits nicht zulässig, weil das Gericht „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt örtlich zuständig“ sei. Allerdings setzte es sich auch mit dem geltend gemachten Anspruch als solches auseinander. Und zwar mit folgendem Ergebnis: Die Bindung an den deutschen Herstellerabgabepreis, wie er in der Lauerliste festgelegt ist, stelle im gegebenen Fall einen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit dar. Der EuGH habe festgestellt, dass EU-Versender auf den Preiswettbewerb angewiesen seien, wenn sie mit deutschen Apotheken konkurrieren wollten – denn schließlich hätten sie nur über den Versandhandel Zugang zum deutschen Markt. Weiter führt das Land­gericht aus: „Ein Wettbewerb hierzulande ist den im EU-Ausland ansässigen Versandapotheken indes nur möglich, wenn sie auch rabattierte Arzneimittel, die für den deutschen Markt bestimmt sind (...), beziehen können und sie – was ihren eigenen Einkaufspreis angeht – insofern nicht an den einheitlichen Herstellerabgabepreis gebunden sind.“ Zwar könnten die Versender nach der EuGH-Entscheidung ihre Abgabepreise frei bestimmen und somit – im Gegensatz zu den inländischen Apotheken – gegenüber den Endverbrauchern einen Rabatt gewähren. „Allerdings werden sie hiervon unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten dauerhaft nur dann Gebrauch machen können, wenn ihre eigenen Einkaufspreise niedriger als der einheitliche Herstellerabgabepreis sind.“ Eine Rechtfer­tigung des Eingriffs aus Gründen des Gesundheitsschutzes sehen die Richter ebenfalls nicht.

OLG weist Berufung zurück

Dieses landgerichtliche Urteil hat das OLG Düsseldorf nun bestätigt. Bislang ist lediglich der Tenor bekannt: Die Berufung wurde zurückgewiesen. Wie die Gründe ausfallen, ist abzuwarten. Aber der 20. Zivilsenat des OLG dürfte erfahrungsgemäß nicht zimperlich mit seiner Argumentation sein.

Für den Gesundheitsrechtsexperten Prof. Dr. Hilko Meyer kommt die Entscheidung nicht überraschend. Bei der Jahrestagung der klinik- und heimversorgenden Apotheker am 28. Mai in Mainz verwies er auf seine eigenen Ausführungen unmittelbar nach dem EuGH-Urteil im Oktober 2016. Schon damals habe er auf die mittelfristigen Auswirkungen hingewiesen – nämlich, dass auch „weitere Interessenten“ versuchen könnten, die Grenzen des geltenden Preissystems auszutesten: nicht nur deutsche Versandapotheken, sondern auch ausländische Großhändler, Hersteller und Reimporteure. Die Rechtsprechung des EuGH sei auf die Arzneimittelpreisverordnung insgesamt anwendbar, mahnte Meyer damals wie heute.

Scharfe Worte findet auch der Freiburger Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas. Er ist überzeugt, dass die aktuelle OLG-Entscheidung sogar noch weitergehende Folgen haben kann. Sie werde „zu erheblichem Druck der Apotheker auf die Hersteller und den pharmazeutischen Großhandel in Deutschland führen“. Douglas sieht auf den ersten Blick keine sachliche Rechtfertigung dafür, die Preisspannen auf den Handelsstufen in Deutschland weiter zu begrenzen, wenn ausländischen Anbietern vollumfänglich Rabatte gewährt werden dürfen. „Es stellt sich dann nicht mehr die Frage, ob 0,70 Euro rabattierfähig sind oder nicht“, so Douglas. „Es stellt sich dann die Frage, ob nicht die Apotheken ihre Preise mit den pharmazeutischen Herstellern frei verhandeln können.“ Sollte die Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf bestätigt werden, werde das gesamte System des Arzneimittel-Preisrechts obsolet.

Klar ist also: Der politische Handlungsbedarf ist größer denn je. |

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