Management

Wenn die Galle überläuft

Antidote für Choleriker / Über den richtigen Umgang mit der Wut

Chefinnen*, Kolleginnen oder Kunden – allen platzt mal die Hutschnur. Passiert dies regelmäßig und heftig, so ist ein solches Gebaren in hohem Maße kontraproduktiv. Wie geht man damit um? Und gibt es vielleicht einen Gewöhnungseffekt, sodass es uns nicht mehr stört?

Nein, es ist kaum möglich, dass es uns vollkommen unberührt lässt, wenn sich jemand so danebenbenimmt. Betrachten wir das Thema daher von zwei Seiten: Welche ­Reaktionsmöglichkeiten besitzen wir, wenn wir angebrüllt werden und uns das nicht gefallen lassen wollen, und wie lernen wir, uns zu kontrollieren, falls wir selbst dazu neigen, laut zu werden?

Ein paar Beispiele: Der Kunde Herr Loder möchte immer ein ganz bestimmtes Arzneimittel: seins. Nicht von irgendeinem Hersteller, sondern immer dasselbe. Fast alle in der Apotheke wissen es und schauen in der Kundendatei. Herr Loder gilt als ungeduldig, reizbar und tritt meist fordernd und eher ungnädig auf. Die PTA Frau Neu allerdings kennt ihn noch nicht und holt zwar im Prinzip das richtige Medikament, aber nicht SEINS. Herr Loder explodiert: „Nicht genug damit, dass ich wieder ewig in der Praxis warten musste und hier ständig neue ­Leute arbeiten, jetzt sind die auch noch unfähig! Das ist ja nicht zu fassen! Wozu bezahle ich eigentlich die teuren Krankenkassen­beiträge, wenn ich doch nicht das bekomme, was mir zusteht?“

Eine andere Situation: Azubi Karla kommt müde zur Arbeit, gestern Abend war sie lange in der Disko und hat nur zwei Stunden geschlafen. Zuerst vergisst sie die Bestellung beim Großhandel, die Kunden werden also mittags vergebens ein zweites Mal kommen. Als Nächstes bringt sie den dringend angeforderten Sprechstundenbedarf in die falsche Praxis, die richtige fragt an, wo denn die Spritzen bleiben, der Patient warte jetzt seit einer dreiviertel Stunde. Zu guter Letzt spritzt sie beim Abwaschen des Becherglases, in dem Eosinlösung angesetzt wurde, das rote Wasser auf den Kittel der Approbierten, die gerade neben ihr steht. Diese hatte bisher wortlos und mit rotem Kopf die unterlaufenen Missgeschicke registriert und ereifert sich nun umso heftiger: Sie beschimpft die Azubi auf das Übelste in einer beleidigenden und ­unfairen Weise, Karla bricht daraufhin in Tränen aus und sucht ihr Heil in der Flucht.

Abschließend ein ganz typisches Geschehen: Die Chefin Frau Energiereich kommt zu spät. Der dichte Verkehr ist schuld, wie so oft. Wenn sie nicht rechtzeitig da ist, weiß schon das ganze Team, dass sie schlechte Laune hat und der kleinste Wassertropfen das Fass zum Überlaufen bringen wird, sie steigert sich dann in regelrechte Zornwellen hinein und findet am laufenden Band Dinge, die das Feuer noch schüren. Keine Kollegin wagt, die Chefin anzusprechen, sie fährt in dieser Stimmung selbst Kunden unhöflich an. Einige von ihnen haben sich schon eine andere Apotheke gesucht und das auch deutlich gesagt. Typisch hieran ist, dass ein Choleriker, der aus irgendeinem Grund schon schlechte Laune hat, diese auch an daran vollkommen unbeteiligten Mitmenschen, in diesem Falle seinen Angestellten, auslässt.

Foto: Luis Louro – stock.adobe.com

Gleich geht er hoch Entfesselter Druck kann zur heißen Dusche werden – für den Choleriker, genauso wie für den, der grade im Weg steht. Die gute Nachricht: Im Gegensatz zum Geysir können wir mit konsequenter Übung unsere „Entladungen“ in den Griff kriegen.

Die Basis des Zorns

Wir Menschen sind unterschiedlich aggressiv, dafür sind verschiedene Gründe verantwortlich. Einige davon sind „genetische, ­organisch bedingte, soziologisch bedingte, stammesgeschichtliche und kulturgeschichtliche Faktoren“, so die Wirtschaftspsychologin und Psychotherapeutin Evelyn Summhammer. Jeder nimmt die Dinge anders wahr, mancher neigt dazu, sich über vieles zu ­ärgern, weil er nur die für ihn ­negative Seite anschaut. Nicht Verarbeitetes steigt jedes Mal wieder mit auf wie der cartesia­nische Teufel (Taucher).

Leider existiert auch die Lust am Ärger, ein engagiertes Sich-Hineinsteigern, ein Suchen und Finden von Gründen, sehr zum Leidwesen der Beteiligten, an denen der Zorn ausgelassen wird. Bei ­allen startet die Arbeit zu einem besseren Management bei sich selbst. Summhammer spricht von der Erhöhung der Gesundheit und Lebensqualität um ein Viel­faches: „Glücklich sind wir nicht, wenn wir aneinander vorbeireden oder uns anschreien, sondern wenn wir miteinander zielorientiert kommunizieren.“ Die Lebenserwartung von Menschen, die ihrer Wut Luft verschaffen, ist ­geringer als die derer, die mit den Ursachen ihres Ärgers ar­beiten und diese nach und nach besser akzeptieren können.

Was tun, damit es besser wird?

Zur Erhöhung ihrer Selbstkontrolle hilft es „Wüterichen“, den oft dauerhaft existierenden Druck durch Ersatzhandlungen abzubauen. Hierzu zählt alles, was uns guttut – das sollte natürlich auch gesund sein, also nicht etwa rücksichtsloses Autofahren oder maß­loses Vor-dem- Fernseher-Hocken, sondern eher Spazierengehen, ­Yoga oder ein entspannendes Buch lesen. Soweit möglich, sollte man emotional belastende Situationen und Personen vermeiden. Zwischendurch baut man immer wieder Entlastendes ein, wie Gespräche mit angenehmen Personen, das Anhören von Musik oder das Nutzen von Apps oder CDs mit Entspannungsübungen, Fantasie­reisen etc.

„Wir sehen nicht die Dinge, wie sie sind, sondern wir sehen sie, wie wir sind.“

(Talmud)

Erwarten Sie hier nicht zu viel von sich, indem Sie neuen Druck aufbauen und sich nicht zu schaffende Programme vornehmen, sondern starten Sie mit kleinen Einheiten von fünf oder zehn Minuten vor dem Schlafengehen etc. Apropos Schlaf: „In die Verbannung ­geschickte Gefühle sind nie verschollen“ (Summhammer), oft wollen sie bearbeitet werden, wenn wir zur Ruhe kommen und uns nicht mehr mit irgendetwas ab­lenken. Oder sie setzen sich im Körper fest und verursachen im besten Falle Verspannungen, auf Dauer Krankheiten.

Eine hohe Selbstkontrolle ist zwar anfänglich anstrengend, aber fruchtbar. Die Umgebung bekommt Vertrauen und fühlt Sicherheit, so lässt es sich arbeiten. Ohne Selbstkontrolle entsteht Respektlosigkeit, weil sich jemand danebenbenimmt. Außerdem herrschen Angst und Distanz, keine gute Atmosphäre, um sich auf seine Aufgaben zu konzentrieren und die Kundschaft freundlich zu bedienen.

Auf das Ziel konzentrieren

Unseren Fokus legen wir am besten auf das, was in uns vorgeht, und dann versuchen wir, uns nicht von unseren Emotionen, sondern von unserem Ziel steuern zu lassen. Wenn mein Ziel die Deeskalation bei einem wütenden Kunden ist, konzentriere ich mich also nur auf die Aspekte einer Situation, die diesem Ziel dienen, und nicht auf irgendeinen Teilbereich, der zwar emotional bei mir gerade obenauf liegt, wie zum Beispiel Ärger über ihn, aber alles noch mehr blockiert. Das hört sich einfach an, ist einsichtig und wirkungsvoll, aber will gelernt sein. Je eher wir anfangen damit, desto früher klappt’s.

Wichtig ist es auch für alle – Choleriker und deren Adressaten –, sich nicht als Opfer zu fühlen und die Macht aus der Hand zu geben, sondern Verantwortung für sich zu übernehmen und zu klären, welche Reaktionsmöglichkeit man hat, und dann aktiv zu werden. Wie schlimm ist das Problem? Von einem nicht funktionierenden Gerät brauchen wir uns nicht den ganzen Tag verderben zu ­lassen. Wenn es um eine Person geht, hilft die Frage weiter: Macht sie es nur mit mir oder bei allen und wie oft entsteht die Situation? Es ist zum Beispiel entlastender, wenn Herr Loder mit allen im Team auf die gleiche Weise umgeht, als wenn er seinen Ärger immer nur an einer Person auslässt. Im ersten Fall gelingt es eher, die Angriffe und Klagen nicht persönlich zu nehmen und ganz gelassen als Problem des Kunden anzuschauen.

Wenn wir sowohl als Choleriker als auch als Adressat stets das letzte Wort und Recht haben wollen, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir immer wieder beide zusammen in die Bredouille geraten. Einfach mal schweigen und die Meinung des anderen für sich stehen zu lassen, deeskaliert bereits. Locker lassen können wir auch bei der Interpretation der Handlungen anderer: Zu oft fassen wir etwas als Angriff, Unterstellung etc. auf, was gar nicht so gemeint ist. Und selbst wenn: Wir müssen nicht auf alles reagieren, sondern können auch mal was überhören und das Gegenüber so ins Leere auslaufen lassen, anstatt wild in den Widerstand zu gehen. Wenn in uns unangenehme Emotionen hochwallen, hilft die Frage: Was macht dieses Gebaren meines Mitmenschen mit mir? Welche Gefühle entstehen? Mit der Antwort ist es wichtig, nicht weiter zu bewerten, sondern bei sich zu bleiben und die Verhältnismäßigkeit zu betrachten. Zum Beispiel wenn die Chefin laut wird: Bekomme ich Angst, Wut, sind Tränen da, weil ich mich in meiner ganzen Existenz vollständig abgelehnt fühle? Der Gedanke „Sie mag mich nicht und möchte mich hier nicht haben“, ist unbedingt zu hinterfragen: Kommt nicht oft genug auch ein wertschätzendes Verhalten, Anerkennung, ein ruhiges Miteinander-Sein und harmonisches Arbeiten vor? Wenn ich mir das klarmache, lösen sich unangenehme Gefühle vielleicht nicht vollständig auf, aber werden geringer und besser zu ertragen. Summhammer: „Es ist niemals die Situation, die uns beunruhigt, sondern immer eine Bewertung, die wir ihr geben. Mit jedem Ärger, mit jeder Wut, mit jeder aggressiven Handlung bringst Du Deinen Körper in einen Überlebensmodus und kämpfst dann als Resultat mit ­Deiner selbstgemachten inneren Situation.“ Das gilt natürlich für beide Seiten: Für die Cholerikerin genauso wie für die Adressatin.

Literaturtipp

Evelyn Summhammer: Komm doch mal runter! Vom ­souveränen Umgang mit Ärger, Wut und Aggressionen.

Goldegg Verlag 2019, ISBN: 978-3-99060-101-3

Zu beziehen über:

Deutscher Apotheker Verlag

Birkenwaldstraße 44, 70191 Stuttgart

Tel. 0711 2582-341, Fax 0711 2582-290

E-Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de

Das Ärger-Protokoll

Das Ärger-Protokoll ist ein gediegenes Werkzeug, um bei der Er­höhung der Selbstkontrolle voranzukommen. Abends setzt man sich zehn Minuten hin und überlegt:

  • Worüber habe ich mich ge­ärgert?
  • Wie groß (1 – 10) war der Ärger?
  • Wie habe ich ihn im Körper ­gespürt?
  • Welche Gedanken hatte ich?
  • Wo gab‘s schon Einsicht – akzeptierende Gedanken während des Geschehens?
  • Inwiefern haben die geholfen?
  • Konnte ich mich emotional ­distanzieren und einen Logenplatz einnehmen, statt mich von meinen Gefühlen über­rollen zu lassen?
  • Habe ich eskalierend oder ­de­eskalierend reagiert?
  • Was kann ich das nächste Mal besser machen?

Im Grunde genommen kann sich der Adressat der Wut die gleichen Fragen stellen, seine Aufgabe besteht darin, selbst ruhig zu bleiben/zu werden. Auch hier hilft mehr Selbstkontrolle. Herrschte IN der Situation Angst vor statt Ärger, wäre die Frage: Wann hatte ich heute Angst, wie groß war sie etc.

Weitere Tipps zur Erhöhung der Selbstkontrolle:

  • Sich häufig das Ganze von außen, vom Logenplatz auf einer gedachten Leinwand anschauen, möglichst schnell sich selbst seine Ungeschicklichkeiten, das Fehlverhalten etc. eingestehen.
  • Mit viel Geduld viel üben.
  • Direkt vor der Konfrontation sich kaltes Wasser über die ­Hände laufen lassen, einen Igelball fest drücken etc.
  • Als Choleriker VOR dem Anfangen dreimal tief atmen und sich klarmachen, dass lautes Schreien und ungerechte (?) Anschuldigungen die Beziehung zum Gegenüber stark schädigen.
  • Dauerhaft und in immer neuen Anläufen Selbstwahrnehmungsübungen durchführen.

Für die Adressaten:

  • Sich als Reaktion Standardsätze zurechtlegen, die immer passen: „Ich möchte hier abbrechen, überlegen und morgen noch einmal darauf zurückkommen“ oder „Das möchte ich so nicht stehenlassen und gerne noch einmal in Ruhe mit Ihnen darüber sprechen, jetzt gerade nicht“.
  • Am nächsten Tag deutlich machen, dass es einem zu viel war und man nicht mit dermaßen lauter Stimme und persönlich beleidigenden (?) Sätzen traktiert werden möchte.
  • Nonverbale Signale senden: Blickkontakt, aufrechte Haltung etc. statt Wegducken.
  • Wenn Sie viel Vertrauen zu ­Ihrem im Grunde genommen humorvollen Gegenüber haben: „Wenn Sie weiter so schreien, stelle ich mein Hörgerät ab/ gebe ich Ihnen ein Megafon, damit Sie sich auf die Straße stellen können …“ etc.
  • Für Ausgleich sorgen und liebevoll und gesund mit sich selbst umgehen. |

Ute Jürgens

Ute Jürgens ist Kommunikationstrainerin mit Spezialisierung auf die Heilberufler, Dipl. Erwachsenenpädagogin und PTA, www.kommed-coaching.de

* Da die überwiegende Anzahl der Apothekenmitarbeiter weiblich ist, schreibe ich in der weiblichen Form. Männliche Kollegen dürfen sich gerne mit angesprochen fühlen.

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