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Interessante Extrapolation

Ein Kommentar von Ilse Zündorf und Theo Dingermann

In den „Stuttgarter Nachrichten“ konnte man in den letzten Tagen eine Nachricht lesen, die sicherlich nicht nur Apothekerinnen und Apotheker mit großem Interesse und verwundertem Staunen wahrgenommen haben. Dort äußerte sich in einem Interview Dr. Ingmar Hoerr, der Mitgründer des Biotech-Unternehmens Curevac, mit der provokanten These, dass „Apotheken einmal überflüssig werden könnten“. Dieses Radikalstatement leitet der Entrepreneur aus dem Produktportfolio der Firma ab, die er im Jahre 2000 selbst gegründet hat und die er seit 2018 als Vorsitzender des Aufsichtsrats kontrolliert. Und seien das nicht schon – je nach Standpunkt – „gute“ oder „schlechte“ Nachrichten genug, prophezeit er gleichzeitig noch die „Entbehrlichkeit der Pharmaindustrie“.

Solche Radikalthesen kann (und muss) man vielleicht äußern, wenn man auf der Suche nach Geld gezielt Investoren adressiert, um diese für eine revolutionäre Produkt-Pipeline des eigenen Unternehmens zu interessieren. Äußert man sich allerdings derart in einem Organ wie den „Stuttgarter Nachrichten“, muss man mit ungläubigem Staunen und in der Folge auch mit einigem Widerspruch rechnen.

Foto: nobeastsofierce – stock.adobe.com

In der Tat ist die Firma Curevac ein durchaus interessantes Unternehmen, das sein Know-how-Portfolio auf die Herstellung und den Einsatz von messenger-RNA (mRNA), also der konkreten Syntheseanweisung für den in der DNA codierten Bauplan eines bestimmten Proteins gründet. Und zumindest der Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Ingmar Hoerr scheint der Meinung zu sein, dass dies die Basis für die Lösung aller Gesundheits­probleme sein könnte, von denen die Menschheit heimgesucht wird. Seine Vorstellung geht dahin, dass mit mRNA als Wirkstoff kranke Menschen in die Lage versetzt werden, quasi mithilfe natürlicher Bordmittel jedes beliebige Gesundheitsproblem „selbstständig“ zu lösen. Das ist natürlich nicht nur einfältig, sondern geradezu provokativ dumm. Da ist es beruhigend, dass das Unternehmen selbst über die firmeneigene Homepage ganz andere Informationen liefert. Dort wird sehr viel präziser informiert, dass bei Curevac RNA-basierte Tumortherapien oder Impfstoffe auf RNA-Basis zum Schutz vor Infektionskrankheiten entwickelt werden und auch schon gewisse Erfolge verbucht werden konnten.

Foto: imago/Ralph Peters

Krebs- und Infektionskrankheiten sind zweifelsohne wichtige Herausforderungen für eine moderne Wirkstoffforschung. Auf diesen Gebieten könnte durchaus realistisch sehr viel z. B. über die RNAs von Curevac und die Nutzung des körpereigenen Immunsystems erreicht werden. Allerdings steht der konkrete Nachweis für einen Erfolg durch diese Geschäftsidee, der im Arzneimittelbereich generell durch die Zulassung durch eine zuständige Behörde zu erbringen ist, bisher noch aus.

Aber alleine darin erschöpft sich natürlich nicht das erforderliche Interventionsangebot für Lösungsansätze bei den verschiedenen Gesundheitsproblemen des modernen Menschen, nach denen die pharmazeutische Industrie mit hohem wissenschaftlichen Aufwand sucht und die durch die Apotheken verwaltet und kontrolliert verteilt werden. Zu diesem Hochleistungssystem ist selbst ein angedachter 3D-Drucker für die Herstellung patientenindividueller Medikamente keine Alternative, sondern bestenfalls eine Ergänzung für einige unkomplizierte Fälle.

Die Thesen des Herrn Hoerr sind mehr provokativ als visionär – warten wir ab, was in 20 Jahren Realität ist. |

Autoren

Prof. Dr. Theo Dingermann ist Universitätsprofessor (em.) am Institut für Pharmazeu­tische Biologie an der Goethe-Univer­sität Frankfurt.

Dr. Ilse Zündorf ist dort als akademische Oberrätin tätig.

Institut für Pharmazeutische Biologie, Biozentrum, Max-von-Laue-Straße 9, 60438 Frankfurt/Main

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