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- DAZ 18/2019
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Die Seite 3
Vorsicht Leimrute!
Kurz vor der ABDA-Mitgliederversammlung am heutigen Donnerstag haben die beiden Apothekenrechtsexperten Professor Hilko J. Meyer und Elmar Mand ein fulminantes Rechtsgutachten vorgelegt. Das schonungslose Ergebnis der Expertise: Mit seinem Referentenentwurf, das den (euphemistischen) Titel „Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken“ trägt, hat Jens Spahn eine gefährliche Leimrute ausgelegt. Wer auf sie tritt, bleibt daran kleben und verabschiedet sich endgültig von der Wiederherstellung der Gleichpreisigkeit bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Das neue Gesetz bedeutete preisrechtlich nicht nur keine Entschärfung, sondern eine Verschlechterung des Status quo. Während die Begründung des Referentenentwurfs manch salbungsvolle Worte zur Stärkung von Vor-Ort-Apotheken enthält, spiegelt sich davon im vorgesehenen Gesetzestext nichts wider. Besonders skurril: Im Sozialgesetzbuch (§ 129 SGB V) soll jetzt eine Vorschrift verankert werden, die ihrerseits auf arzneimittelrechtliche Regelungen verweist, wobei der für die Gleichpreisigkeit relevante § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG im gleichen Atemzug für ausländische Versandapotheken außer Kraft gesetzt wird. Im Ergebnis wären ausländische Versender danach weder über das allgemeine Preisrecht des Arzneimittelgesetzes noch im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung über § 129 SGB V an einheitliche Apothekenabgabepreise gebunden. Die durch das Urteil des EuGH entstandene Ungleichbehandlung von inländischen Apotheken und ausländischen Versendern würde nicht nur perpetuiert, sondern zulasten der deutschen Apotheken sogar verschärft. Hinzu kommt, und auch darauf weist das Gutachten hin, dass eine Aufnahme des Preisrechts in das Sozialrecht sehr viel weitergehende Zugriffsrechte der Gesetzlichen Krankenversicherungen auf die gesamten Abrechnungen öffentlicher Apotheken nach sich ziehen könnte – mit der Gefahr zunehmender Retaxationen.
Ernüchternd, dass erst Mand & Meyer auf all diese Gesichtspunkte hinweisen mussten.
Mit der vorgesehenen Streichung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG würde der deutsche Gesetzgeber endgültig die Rechtsposition der EU-Kommission zur angeblichen Unionrechtswidrigkeit der Vorschrift anerkennen. Ein bereits im Jahre 2013 eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland könnte damit aus der Welt geschafft werden. Allerdings wäre dieser Weg des geringsten Widerstands verhängnisvoll: Statt selbstbewusst den Anmaßungen der EU-Kommission entgegenzutreten und die gesundheitspolitischen Zuständigkeiten des deutschen Gesetzgebers für Preis- und Erstattungssysteme gegen EU-Eingriffe geltend zu machen, betreiben Jens Spahn und sein Ministerium eine Politik der Willfährigkeit und Selbstaufgabe. Da reibt man sich die Augen. Aber vielleicht kommt dem ansonsten so umtriebigen Minister das angedrohte Vertragsverletzungsverfahren ja ganz gut zupass? Aus der Luft gegriffen scheint dies jedenfalls nicht, wenn man bedenkt, dass sich sein Ministerium beharrlich weigert, auf gerichtliche Anfragen eines Oberlandesgerichts zu antworten, das um Fakten und Daten zum Zusammenhang von Arzneimittelpreisbindung und flächendeckender Arzneimittelversorgung bittet. Seit über einem Jahr: Tatenlosigkeit! Es sind diese Ungereimtheiten und Skandälchen, die seit jeher das Umfeld in Sachen Arzneimittelversand mitprägen. Offensichtlich möchte Spahn die Chance gar nicht nutzen, in einem weiteren (und dann besser vorbereiteten und mit Fakten unterfütterten) EuGH-Verfahren die Preisbindungsregelungen auch für den grenzüberschreitenden Arzneimittelversand unionrechtlich wiederherstellen zu lassen. Die Aussichten hierfür stünden, wie auch der Bundesgerichtshof mit bemerkenswerter Deutlichkeit festgestellt hat, nicht schlecht. Mit der vorgesehenen Streichung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG wäre damit allerdings endgültig Schluss. Auch würden von heute auf morgen alle noch anhängigen Unterlassungsklagen gegen DocMorris & Co. hinfällig. Es wäre das Ende der Gleichpreisigkeit bei Rx-Arzneimitteln.
Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken oder Versandapothekenstärkungsgesetz – Mand & Meyer oder Max Müller? Man darf gespannt sein, welches Konzept bei Jens Spahn Gehör findet. Und man darf gespannt sein, ob die ABDA und ihre Mitgliedsorganisationen willens und in der Lage sind, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Nichts wäre fataler, als sich von Spahn jetzt die „Alles oder nichts“-Pistole auf die Brust setzen zu lassen.
Christian Rotta
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