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Infektiologie
Tripper auf dem Vormarsch
Die Zahl an Gonokokken-Infektionen in Europa steigt stark
In denjenigen europäischen Ländern, die eine nationale Meldepflicht für Gonorrhö haben (Deutschland gehört nicht dazu), sind im Jahr 2017 insgesamt 89.239 Erkrankungen bekannt geworden, 17% mehr als im Vorjahr. Der stärkste Anstieg ist derzeit mit 44% in Finnland zu verzeichnen, Malta, die Slowakei, Slowenien und Schweden liegen mit einem Anstieg von rund 40% nur knapp dahinter. In Frankreich und Portugal haben sich die Erkrankungszahlen versechsfacht, in Dänemark und Irland fast vervierfacht. Entscheidend für die Weiterverbreitung der Gonorrhö ist der häufig symptomlose Verlauf der Erkrankung.
Erreger und Übertragung
Gonorrhö, im Volksmund meist Tripper genannt, ist eine weltweit verbreitete, ausschließlich beim Menschen vorkommende Infektionskrankheit. Sie wird durch den Erreger Neisseria gonorrhoeae (Gonokokkus) hervorgerufen, der 1879 von dem Dermatologen Albert Neisser entdeckt wurde (Abb. 1). Bei Gonokokken handelt es sich um gramnegative, unbewegliche, nierenförmige, meist paarweise gelagerte Kokken (Diplokokken) mit einem Durchmesser von 0,6 bis 0,8 µm (Abb. 2). Sie sind strikt aerob wachsende Organismen, welche Temperaturen von 36 bis 38° C und eine hohe Luftfeuchtigkeit bevorzugen. Eine Übertragung erfolgt ausschließlich durch direkten Schleimhautkontakt z. B. beim Geschlechtsverkehr oder beim Geburtsvorgang. Die Inkubationszeit beträgt 1 bis 14 Tage. Ansteckungsgefahr besteht sowohl bei symptomatischen als auch bei asymptomatischen Verläufen bis zu 24 Stunden nach erfolgter Gabe eines Antibiotikums.
Formen der Gonorrhö
Vom klinischen Bild her unterscheidet man die genitale Gonorrhö von Formen der extragenitalen Gonorrhö, sowie die disseminierte Gonokokken-Infektion.
Der Verlauf der genitalen Form zeigt deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Die Mehrzahl der Männer entwickelt innerhalb von zwei bis sechs Tagen nach Ansteckung einen meist sehr starken urethralen Ausfluss (Harnröhrenausfluss) sowie eine Dysurie, das heißt eine erschwerte, gestörte und teils schmerzhafte Blasenentleerung. Bleibt die Infektion unbehandelt, kann es zu einem Aufsteigen der Erreger kommen, was eine Prostatitis (Prostataentzündung), Vesikulitis (Entzündung der Bläschendrüsen), Funikulitis (Entzündung des Samenstrangs) und Epididymitis (Entzündung des Nebenhodens) zur Folge haben kann. Nur etwa 10% aller infizierten Männer zeigen einen völlig asymptomatischen Verlauf. Hingegen haben rund 50% aller Frauen mit urogenitaler Gonorrhö keine subjektiven Beschwerden, was ein entscheidender Faktor für die Weiterverbreitung der Gonorrhö darstellt. Befallen ist bei Frauen meist der Muttermund mit dem Zervikalkanal. Treten Symptome auf, steht vermehrter Fluor als Leitsymptom im Vordergrund. Bei ca. 90% der Frauen tritt als Begleitsymptom eine Urethritis auf. Des Weiteren können Zwischenblutungen und verstärkte sowie verlängerte Menstruationsblutungen auftreten, was auf eine Beteiligung des Endometriums hinweist. Steigen die Erreger weiter auf, breitet sich die Erkrankung über das Endometrium und die Eileiter zu den Eierstöcken aus und resultiert in einer Entzündung des gesamten Beckens. Langfristig kann eine Entzündung der Eileiter (Salpingitis) zu Unfruchtbarkeit, Extrauterinschwangerschaften und chronischen Unterleibsschmerzen führen.
Kommt es zur Infektion bei einer schwangeren Frau, kann dies zu massiven Komplikationen wie septischem Abort oder einem niedrigen Geburtsgewicht (small for gestational age [SGA]-Kind) führen. Dagegen ließ sich die in älteren Arbeiten beobachtete gehäufte Frühgeburtlichkeit bei Gonorrhö in neueren retrospektiven Untersuchungen nicht bestätigen. Bleibt die Erkrankung bei der Mutter unbehandelt, besteht beim Neugeborenen das Risiko einer Infektion von Augen (siehe auch Blennorrhoea gonorrhoica neonatorum) und Oropharynx (Bereiche ab dem weichen Teil des Gaumens, die Mandeln und der Zungengrund). Schwangere mit einem erhöhten Risiko für sexuell übertragbare Infektionen sollten auf Gonokokken getestet werden.
Auch bei Kindern kann es zum Auftreten einer Gonokokken-Infektion mit Beteiligung aller Anteile des Harn- und Geschlechtsapparates kommen. Wird Gonorrhö bei einem Kind nachgewiesen, besteht der dringende Verdacht auf sexuellen Missbrauch.
Bei extragenitalen Formen der Gonorrhö unterscheidet man rektale, pharyngeale Gonorrhö und Blennorrhoea gonorrhoica neonatorum.
Die rektale Gonokokkeninfektion entsteht bei Frauen außer durch Analverkehr auch durch Kontamination mit abfließenden Genitalsekreten. Bei Männern mit sexuellen Kontakten zu Männern ist das Rektum oft primärer Infektionsort. Bei Frauen zeigt sich bei dieser Lokalisation meist ein asymptomatischer Verlauf. Männer haben häufiger Symptome einer Proktitis mit Schmerzen, schmerzhaftem Stuhl- und Harndrang und gelegentlich auch Fluor. Asymptomatische Verläufe der rektalen Gonorrhö sind aber auch bei Männern nicht selten und stellen insbesondere für Männer, die Sex mit Männern haben, ein Infektionsreservoir dar.
Die pharyngeale Form der Gonorrhö erfolgt meist über orogenitale Kontakte, wobei es sich hierbei oft um eine Mitbeteiligung bei genitalem oder analem Befall handelt. Da die pharyngeale Gonorrhö in der Regel asymptomatisch verläuft, besteht hier ein wichtiges Infektionsreservoir.
Als Blennorrhoea gonorrhoica neonatorum bezeichnet man eine eitrige Bindehautentzündung bei Neugeborenen. Diese entwickelt sich meist infolge einer Infektion unter der Geburt zwei bis fünf Tage nach der Entbindung und kann mit weiteren Manifestationen der Erkrankung wie z. B. Stomatitis (Entzündung der Mundschleimhaut), Arthritis und Meningitis einhergehen. Unbehandelt kann es zur Erblindung des Neugeborenen kommen. Durch die Einführung prophylaktischer Maßnahmen und der Möglichkeit zur antibiotischen Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung ist sie in den entwickelten Ländern sehr selten geworden.
Verlauf
Etwa zwei bis zwei bis drei Wochen nach der Primärinfektion kann es zur disseminierten Gonokokken-Infektion kommen. Dies bedeutet, dass sich die Infektion über den Körper oder über eine Körperregion verteilt. Verlässliche Daten zur Häufigkeit der disseminierten Gonokokken-Infektion wurden in den letzten Jahren kaum publiziert. Dies hängt auch damit zusammen, dass der Nachweis einer disseminierten Gonokokken-Infektion durch eine Blutkultur schwierig und wegen der schubweisen Bakteriämie nur in ca. 20 bis 0% der Fälle erfolgreich ist. Eher gelingt der Erregernachweis aus dem primären Infektionsort. Vorwiegend betroffen sind Frauen. Die ersten Symptome treten meistens innerhalb von acht Tagen nach der letzten Menstruation, nach Entbindung oder Abort auf.
Die urogenitalen, pharyngealen oder rektalen Symptome sind bei der disseminierten Gonokokken-Infektion meist nur recht mild. Stattdessen kommt es zu undulierenden Fieberschüben, das heißt, mehrtägige Fieberperioden wechseln sich mit ähnlich langen fieberfreien Intervallen ab, akuter Polyarthritis und vaskulitischen Hauterscheinungen an Fingern, Zehen, Händen, Füßen, Nase, Kinn und Ohren.
Diagnostik
Die Diagnostik der Gonorrhö beruht auf dem Nachweis der Bakterien in Sekreten des Genitaltrakts, des Rektums, des Pharynx, der Konjunktiven oder in Urinproben. Im Gegensatz zu urethralen Infektionen bei Männern verlaufen rektale und pharyngeale Infektionen sowie zervikale Infektionen bei Frauen überwiegend asymptomatisch und würden bei einer Symptom-basierten Untersuchung übersehen werden. Der Nachweis von N. gonorrhoeae ist durch Mikroskopie, Anlegen einer Kultur und Nukleinsäure-Amplifikationstests möglich. Andere Verfahren wie Hybridisierungstests, Antigentests (einschließlich immunchromatografischer Schnelltests) und serologische Tests zum Nachweis von Antikörpern sind aufgrund unzureichender Sensitivität und/oder Spezifität nicht geeignet. In der Leitlinie wird betont, dass Nukleinsäure-Amplifikationstests unter allen Nachweisverfahren am sensitivsten sind. Sie liefern Ergebnisse schneller als die Kultur und können in praktisch allen Untersuchungsmaterialien durchgeführt werden.
Therapie
Neisseria gonorrhoeae ist ein genetisch sehr variables Bakterium mit der natürlichen Fähigkeit zu DNA-Austausch und Mutationen. Somit können Gonokokken neue Gene aufnehmen und weitergeben. Dieser Vorgang spielt bei der Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen eine entscheidende Rolle. Neisseria gonorrhoeae hat in den letzten Jahrzehnten gegen alle üblicherweise eingesetzten Antibiotika Resistenzen entwickelt. Außerdem besteht eine Tendenz zur Ausprägung von high-level- und multiplen Resistenzen. Die Gründe für die rasche Resistenzentwicklung sind vielfältig. Inadäquater Antibiotika-Einsatz (z. B. rezeptfreier Verkauf von Antibiotika in manchen Ländern), zu niedrige Dosierung besonders bei Ciprofloxacin, langjähriger Einsatz einzelner Substanzen, zu lange Gültigkeit von Leitlinien sowie unzureichende Resistenzdaten sind ursächlich dafür verantwortlich. Nach WHO-Empfehlung sollte ein Antibiotikum zur Behandlung der Gonorrhö einen Therapieerfolg von 95% garantieren. Das bedeutet, dass ein therapeutischer Einsatz nicht mehr sinnvoll ist, wenn mehr als 5% der Isolate in einer bestimmten Region resistent sind. Globale Resistenzen bestehen gegen Penicilline (seit den 70er-Jahren), Tetracycline (seit den 80er-Jahren) und Ciprofloxacin (seit Beginn der 2000er-Jahre). In den letzten Jahren mehren sich auch Resistenzen gegen Azithromycin, vor allem in Asien und gegen Cephalosporine der Gruppe 3 wie z. B. das oral applizierbare Cefixim.
Mittel der Wahl ist derzeit eine Kombination aus einem Cephalosporin, meist Ceftriaxon (1 bis 2 g i. v. oder i. m.) und Azithromycin (1,5 g p. o.) als Einmaldosis.
Aufgrund der zunehmenden Resistenzentwicklung wurde in einer kürzlich im Lancet publizierten Studie die Wirksamkeit von Gentamicin anstelle von Ceftriaxon untersucht [Ross et al. 2019]. Dabei erhielten 720 Gonorrhö-Patienten im Alter zwischen 16 und 70 Jahren mit einer unkomplizierten Form der genitalen, pharyngealen oder rektalen Gonorrhö in 14 englischen Kliniken entweder Gentamicin oder Ceftriaxon plus jeweils Azithromycin als Einmaldosis. Die Wirksamkeit von Gentamicin zeigte eine Unterlegenheit gegenüber Ceftriaxon, insbesondere bei rektaler und pharyngealer Form. Gentamicin sollte deshalb nicht anstelle von Ceftriaxon als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden. Allerdings kann Gentamicin eine sinnvolle Alternative bei Patienten mit isolierter Genitalinfektion darstellen, ebenso bei Patienten mit Unverträglichkeit oder resistenten Erregern gegenüber Ceftriaxon.
Die Entwicklung neuer Antibiotika ist zur Behandlung der Gonorrhö unerlässlich, allerdings ist kurzfristig nicht mit neuen Arzneimitteln zu rechnen. Ein hoffnungsvoller Kandidat ist der Topoisomerase-Inhibitor Zoliflodacin. Nach erfolgreich abgeschlossener Phase-II-Studie soll nun im Herbst 2019 die Phase-III-Studie beginnen. Ebenfalls in der Entwicklung befindet sich Gepotidacin, ein Topoisomerase-IV-Inhibitor, der in einer Phase-II-Studie vielversprechende Ergebnisse zeigte.
Präventiv- und Bekämpfungsmaßnahmen
Einer urethralen, zervikalen und rektalen Infektion kann mit Kondomen vorgebeugt werden. Zu beachten bleibt aber, dass bei bestehender pharyngealer Gonorrhö eine Ansteckung sowohl oral-oral als auch oral-genital möglich ist. Einen vollständigen Schutz vor Ansteckung gibt es nicht. Je früher Gonokokken-Infektionen erkannt und behandelt werden, desto geringer ist das Risiko von aufsteigenden Infektionen. Es sollte deshalb bereits beim ersten Verdacht ein Arzt zur Diagnostik und Therapie aufgesucht werden. Sexuelle Karenz ist auch nach Abschluss der Behandlung und Symptomfreiheit über eine Woche absolut erforderlich. Bei einem positiven Test auf Gonokokken sollte auch auf weitere sexuell übertragbare Infektionen getestet werden. Darüber hinaus sollten alle Sexualpartner informiert, untersucht und gegebenenfalls antibiotisch behandelt werden. Bei symptomatischen Patienten betrifft dies alle Sexualpartner der letzten acht Wochen vor Auftreten der Infektion, bei asymptomatischen Patienten erstreckt sich die Informationsnotwendigkeit auf alle Sexualpartner der letzten sechs Monate bzw. gegebenenfalls auf die letzten Partner überhaupt. |
Literatur
Diagnostik und Therapie der Gonorrhoe. S2k-Leitlinie. AWMF-Registernummer 059 – 004, Stand: 21. Dezember 2018, www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/059-004.html
Gonorrhö (Tripper). RKI-Ratgeber für Ärzte. Informationen des Robert Koch-Instituts, Stand: 8. Mai 2013, www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Gonorrhoe.html;jsessionid=1EEF09806438C4F4850E6FD82157BF01.1_cid390
Informationen der U.S. National Library of Medicine (NLM), clinicaltrials.gov
Neue Antibiotika und Impfstoffe gegen Bakterien in Entwicklung. Informationen des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa), Stand 28. Juni 2019, www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/neue-antibiotika-den-vorsprung-wahren.html/antibakterielle-pipeline.html
NN. Gonorrhö in Europa wieder auf dem Vormarsch. Dtsch Ärztebl vom 29. April 2019, www.aerzteblatt.de/nachrichten/102725/Gonorrhoe-in-Europa-wieder-auf-dem-Vormarsch
Ross JDC, Brittain C, Cole M, Dewsnap C et al. on behalf of the G-ToG trial team. Gentamicin compared with ceftriaxone for the treatment of gonorrhoea (G-ToG): a randomised non-inferiority trial. Lancet 2019;393(10190):2511-2520, http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(18)32817-4
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