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Phytotherapie

Wurzel gegen Stress

Zur Wirkung und Wirksamkeit des Rosenwurzwurzelstocks

Stress ist ein allgegenwärtiges Thema, jeder hat oder macht ihn sich selbst und alle wollen etwas dagegen unternehmen – aktiv oder pharmakotherapeutisch durch die Aufnahme eines „Stresskillers“. Wenn die Stressgeplagten nicht ausschließlich dem Internet vertrauen, sondern ihre Stammapotheke aufsuchen, was könnte der Apotheker/die Apothekerin dann empfehlen? Vielleicht ein Adaptogen - z. B. ein Präparat aus dem Rosenwurzwurzelstock, Rhodiola rosea L. In Deutschland sind Rhodiologes® und Vitango® als traditionelle Arzneimittel mit einem Extrakt aus dieser Droge auf der Basis einer HMPC-Monografie der EMA registriert. Auf welcher medizinisch-naturwissenschaftlichen Grundlage ist eine solche Empfehlung zu begründen? Dazu einige Fakten.  | Von Matthias F. Melzig

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) stuft den oral zu verabreichenden Extrakt aus dem Rosenwurzwurzelstock als traditionelles Arzneimittel zur Behandlung von vorübergehenden Symptomen von Stress, wie Erschöpfung und Schwächegefühlen, ein [1]. Tatsächlich reicht der Gebrauch der Droge weit in die Vergangenheit zurück, vor allem in Skandinavien und Russland spielt sie traditionell als Adaptogen eine Rolle [2]. Bereits 1969 wurde ein Extrakt durch das damalige Sowjetische Gesundheitsministerium für medizinische Zwecke zugelassen, seit 1985 ist ein registriertes pflanzliches Produkt in Schweden auf dem Markt [3].

Das Inhaltsstoffspektrum der Droge Rhodiolae rhizoma et radix zeichnet sich besonders durch das Auftreten von Phenylethanoiden (z. B. p-Tyrosol und Salidrosid), Phenylpropanoiden (z. B. Rosin, Rosarin, Rosavin) sowie Benzyl­alkohol-Derivaten neben Flavonoiden, Flavonolignanen und Proanthocyanidinen aus [4] .

Eine mittlerweile große Zahl an wissenschaftlichen Arbeiten dokumentiert die biologischen Wirkungen des Extraktes bzw. einzelner Inhaltsstoffe. Dazu gehören Anti-Aging-Effekte, Entzündungshemmung, stressabbauende, antioxidative, antivirale und tumorhemmende Aktivitäten ebenso wie immunmodulatorische Wirkungen, eine verbesserte DNA-Reparatur-Kapazität und Anpassungsfähigkeit an Sauerstoffmangelzustände sowie eine Angiogenese-Modulation. Insbesondere einzelne Elemente der hypothalamisch-hypophysär-adrenalen Stressachse werden durch das komplexe Inhaltsstoffspektrum der Droge moduliert, deren molekulare Mechanismen vielfach aufgeklärt wurden [5].

Stressbewältigung

Daneben existiert auch eine Reihe von klinischen Studien zum Nachweis der Stress-abbauenden Wirksamkeit von Rhodiola-Extrakten. Ein Großteil dieser Untersuchungen wurde mit dem standardisierten Rhodiola-Extract SHR-5 (Droge-Extraktverhältnis 4 : 1; Extraktionsmittel 70% Ethanol; Rhodiologes®) durchgeführt, der ca. 2,5% Rhodiolosid (Salidrosid), ca. 3,9% Rosavin und ca. 0,8% Tyrosol enthält [6]. So konnte 2009 in einer randomisierten, Placebo-kontrollierten Doppelblindstudie gezeigt werden, dass die Einnahme des standardisierten SHR-5-Extraktes die mentale Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit signifikant gegenüber Placebo verbesserten, verbunden mit einer verminderten Cortisol-Antwort bei Burnout-Patienten mit Erschöpfungssyndrom [7]. In diese Studie waren 60 Patientinnen und Patienten im Alter zwischen 20 und 55 Jahren eingeschlossen, die sich zur Stressrehabilitation in Schwedischen Kliniken befanden und über vier Wochen täglich 576 mg des standardisierten SHR-5-Extraktes einnahmen. Die Modulation des Cortisol-Spiegels wurde als entscheidender Wirkmechanismus für die deutliche Verbesserung der kognitiven Funktionen unter Schwäche- und Stressbedingungen postuliert. Die psychostimulierende Wirksamkeit unter erhöhter Stressbelastung wurde 2003 an 161 russischen Kadetten im Alter von 19 bis 21 Jahren anhand physiologischer Parameter, wie Puls und Blutdruck sowie psychologischer Aufmerksamkeitstests während der routinemäßigen nächtlichen Wachdienste in einer randomisierten, Placebo-kontrollierten Doppelblindstudie geprüft. Die Probanden nahmen entweder 370 mg oder 555 mg des SHR-5-Extraktes in den frühen Morgenstunden der Nachtwache ein und unterzogen sich davor bzw. danach den physiologischen bzw. mentalpsychologischen Tests. Währende es keine Unterschiede bezüglich der physiologischen Parameter gab, zeigte die Verumgruppe, unabhängig von der Dosierung, einen erhöhten Antimüdigkeits-Index, d. h. weniger Erschöpfungszeichen und eine bessere Konzentrationsfähigkeit als die Placebo-Gruppe [8]. Auch in einer ähnlichen klinischen Studie mit Ärzten im Nachtdienst zeigte sich unter der Einnahme von Rhodiolaextrakten eine Verringerung von Erschöpfungszeichen verbunden mit einer verbesserten Aufmerksamkeit [9]. Bei vergleichbaren Untersuchungen an 40 Studierenden, die unter Prüfungsstress standen, wurde der SHR-5-Rhodiola-Extrakt über 20 Tage in einer geringen Dosierung von 100 mg/Tag gegenüber Placebo untersucht. Ein signifikanter Unterschied im Vergleich zu Placebo wurde bezüglich der Steigerung der Leistungsfähigkeit in neuromotorischen Tests und in der Verringerung der stressbedingten Müdigkeit festgestellt. Ein relevanter Effekt auf die geistige Leistungsfähigkeit, z. B. in Textkorrektur-Tests, konnte allerdings nicht festgestellt werden. Die Autoren verwiesen diesbezüglich auf die geringe Dosierung im Vergleich zu anderen Studien mit dem gleichen Extrakt [10]. Auch zur Behandlung des Burnout-Syndroms wurde ein Rosenwurzwurzelstock-Extrakt in einer offen multizentrischen Studie an 118 Patienten über zwölf Wochen geprüft. Dabei wurden täglich 400 mg Extrakt (WS® 1375, Rosalin = Wirkstoff im Arzneimittel Vitango®, Extrakt aus R.-rosea-Wurzeln 1,5 – 5 : 1, Extraktionsmittel Ethanol 60%) appliziert und die Veränderungen der Symptomatik mittels etablierter Testsysteme gemessen. Im Endergebnis verweisen die Autoren auf eine deutliche Verbesserung der Symptome unter der Medikation und sehen eine gute Voraussetzung für die Durchführung detaillierterer klinischer Studien zum Nachweis der Wirksamkeit auch bei dieser Indikation gegeben [11].

2018 wurden in einer Übersichtsarbeit die publizierten Daten zur Rolle von Rhodiola rosea bei der Stressbewältigung zusammengefasst und daraus abgeleitet, dass der Rosenwurzwurzelstock-Extrakt tatsächlich die Anforderungen an ein Adaptogen für die Indikation „Stress“ erfüllt und nachweislich die Stresshormonsekretion moduliert. Mit einem entsprechenden Extraktpräparat könne man sowohl Stresssymptome behandeln als auch Stress-bedingte Komplikationen bei chronischem Stress verhindern [12].

Leichte bis mittelschwere Depression

Zusätzlich wurden Studien zum Nachweis einer klinischen Wirksamkeit des Drogenextraktes auch bei leichter oder mittelschwerer Depression als Folge von chronischem Stress durchgeführt. So behandelte man in einer randomisierten doppelblinden Placebo-kontrollierten Phase-III-Studie Patienten zwischen 18 und 70 Jahren und einem initialen HAM-D-Score (Hamilton Rating Scale for Depression) zwischen 21 und 31 über sechs Wochen mit entweder 340 mg (n = 31) oder 680 mg (n = 29) SHR-5-Drogenextrakt pro Tag bzw. zwei Placebotabletten (n = 29). Nach 42 Tagen zeigte sich eine signifikante Reduktion der Depressionssymptomatik gegenüber Placebo, gemessen mittels HAM-D-Score, wobei für die 340-mg-Gruppe eine Reduktion von 24,52 auf 15,97 (P < 0,0001) und von 23,79 auf 16,72 (P < 0,0001) für die 680-mg-Gruppe gegenüber Placebo (Veränderung von 24,17 auf 23,41, P = 0,3306) festgestellt wurde. Die Symptomatik bei den beiden Verumgruppen verbesserte sich signifikant, z. B. die Schlafstörungen, die emotionale Instabilität oder auch der gefühlte psychosoziale Stress nahmen ab. Unterschiede zwischen den beiden Dosierungen wurden nicht festgestellt, ebenso wurden keine ernsthaften Nebenwirkungen beobachtet [13]. In einer Vergleichsstudie (57 Studienteilnehmer) mit 50 mg Sertralin pro Tag zeigte sich nach Ansicht der Autoren bei einer Dosierung von 340 mg/Tag SHR-5-Extrakt ein geringfügiger Vorteil gegenüber Placebo: in der Rhodiola-Gruppe konnte eine Reduktion des HAM-D-Score um 5,1 Punkte, in der Placebo-Gruppe um 4,6 und in der Sertralin-Gruppe um 8,2 Punkte verzeichnet werden. Die Autoren betonten zwar das bessere Nutzen-Risiko-Verhältnis für den Rosenwurzwurzelstock-Extrakt bei der Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen [14], hier sollten aber weitere Studien mit v. a. größerer Probandenzahl durchgeführt werden, um eine tatsächliche antidepressive Wirksamkeit nachweisen zu können.

Weitere postulierte Wirkungen

Interessanterweise spielen Drogen, die aus verschiedenen Arten der Gattung Rhodiola gewonnen werden, darunter auch R. rosea L., in China unter dem Namen ‘Hongjingtian’ als Anti-Aging-Mittel eine Rolle. Bisher wurden pharmakologische Effekte allerdings nur in vitro mit der Beeinflussung unterschiedlicher zellulärer Signaltransduktionswege bei der Anwendung bei M. Alzheimer, M. Huntington, Depression, Diabetes, Bluthochdruck etc. in Verbindung gebracht. Relevante klinische Studien aus China liegen dazu allerdings bisher nicht vor [15].

Fazit

Fasst man all diese Daten zu Wirkung und Wirksamkeit zusammen, so gibt es eine nachweisbare Evidenz, dass standardisierte Extrakte aus dem Rosenwurzwurzelstock für die Behandlung von vorübergehenden Symptomen von Stress, wie Erschöpfung, Schwächegefühlen sowie leichten depressiven Verstimmungen, einsetzbar sind. Die Droge ist sicherlich kein Allheilmittel für alle stressgeplagten Menschen, aber in Kombination mit anderen nichtmedikamentösen Verfahren zur Stressreduktion kann eine Anwendung empfohlen werden. |

Literatur

 [1] Community herbal monograph on Rhodiola rosea L., rhizoma et radix. EMA/HMPC/232091/2011;27 March 2012

 [2] Panossian A, Wikman G. Evidence based efficacy of adaptogens in fatigue, and molecular mechanisms related to their stress-protective activity. Curr Clin Pharmacol. 2009;4(3):198-219

 [3] Tao H, Wu X, Cao J, Peng Y, Wang A, Pei J, Xiao J, Wang S, Wang Y. Rhodiola species: A comprehensive review of traditional use, phytochemistry, pharmacology, toxicity, and clinical study. Med Res Rev. 2019 Jan 16. doi: 10.1002/med.21564

 [4] Lichius JJ, Loew D. Rosenwurzwurzelstock. Wichtl-Teedrogen und Phytopharmaka. Blaschek W (Hrgb). 6. Auflage, WVG Stuttgart 2016; 554-555

 [5] Li Y, Pham V, Bui M, Song L, Wu C, Walia A, Uchio E, Smith-Liu F, Zi X. Rhodiola roseaL.: an herb with anti-stress, anti-aging, and immunostimulating properties for cancer chemoprevention. Curr Pharmacol Rep. 2017;3(6):384-395

 [6] Panossian A, Hovhannisyan A, Abrahamyan H, Gabrielyan E, Wikman G. Pharmacokinetic and pharmacodynamic study of interaction of Rhodiola rosea SHR-5 extract with warfarin and theophylline in rats. Phytother Res. 2009;23(3):351-357

 [7] Olsson EM, von Schéele B, Panossian AG. A randomised, double-blind, placebo-controlled, parallel-group study of the standardised extract shr-5 of the roots of Rhodiola rosea in the treatment of subjects with stress-related fatigue. Planta Med. 2009;75(2):105-112

 [8] Shevtsov VA, Zholus BI, Shervarly VI, Vol‘skij VB, Korovin YP, Khristich MP, Roslyakova NA, Wikman G. A randomized trial of two different doses of a SHR-5 Rhodiola rosea extract versus placebo and control of capacity for mental work. Phytomedicine. 2003;10(2-3):95-105

 [9] Darbinyan V, Kteyan A, Panossian A, Gabrielian E, Wikman G, Wagner H. Rhodiola rosea in stress induced fatigue – a double blind cross-over study of a standardized extract SHR-5 with a repeated low-dose regimen on the mental performance of healthy physicians during night duty. Phytomedicine. 2000;7(5):365-371

[10] Spasov AA, Wikman GK, Mandrikov VB, Mironova IA, Neumoin VV. A double-blind, placebo-controlled pilot study of the stimulating and adaptogenic effect of Rhodiola rosea SHR-5 extract on the fatigue of students caused by stress during an examination period with a repeated low-dose regimen. Phytomedicine. 2000;7(2):85-89

[11] Kasper S, Dienel A. Multicenter, open-label, exploratory clinical trial with Rhodiola rosea extract in patients suffering from burnout symptoms. Neuropsychiatr Dis Treat. 2017;13:889-898

[12] Anghelescu IG, Edwards D, Seifritz E, Kasper S. Stress management and the role of Rhodiola rosea: a review. Int J Psychiatry Clin Pract. 2018;11:1-11

[13] Darbinyan V, Aslanyan G, Amroyan E, Gabrielyan E, Malmström C, Panossian A. Clinical trial of Rhodiola rosea L. extract SHR-5 in the treatment of mild to moderate depression. Nord J Psychiatry. 2007;61(5):343-348

[14] Mao JJ, Xie SX, Zee J, Soeller I, Li QS, Rockwell K, Amsterdam JD. Rhodiola rosea versus sertraline for major depressive disorder: A randomized placebo-controlled trial. Phytomedicine. 2015; 22(3):394-399

[15] Zhuang W, Yue L, Dang X, Chen F, Gong Y, Lin X, Luo Y. Rosenroot (Rhodiola): Potential Applications in Aging-related Diseases. Aging Dis. 2019;10(1):134-146

Autor

Prof. Dr. Dr. h.c. Matthias F. Melzig, Professor für Pharmazeutische Biologie an der Humboldt-Universität zu Berlin von 1996 bis 2002, seitdem an der Freien Universität Berlin

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