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Leserbriefe
Paul Gottschalk: Ein Apotheker bewahrt deutsches Kulturgut
Vor mehr als 100 Jahren, genauer gesagt 1903, wurde in Köthen/Anhalt von einigen begeisterten Vogelfreunden die „Zwanglose Vereinigung von Freunden der Vogelwelt“ gegründet. Nach mehreren Namensänderungen existiert dieser Verein noch heute als „Ornithologischer Verein ‚Johann Friedrich Naumann‘ Köthen e. V.“. Johann Friedrich Naumann (1780 – 1857) war Landwirt, Wissenschaftler und Künstler und lebte in Ziebigk unweit Köthens. Er gilt heute als der Begründer der wissenschaftlichen Ornithologie in Mitteleuropa. Nach umfangreichen Vorarbeiten seines Vaters Johann Andreas Naumann hatte Johann Friedrich von 1820 bis 1844 ein zwölfbändiges Werk, „Naturgeschichte der Vögel Deutschlands“, herausgegeben (ein 13. Band erschien 1860), das er selbst mit hervorragenden Kupferstichen illustriert hatte. Sollte diese bibliophile Ausgabe heute tatsächlich einmal im Handel auftauchen, so ist sie fast unbezahlbar und erreicht fünfstellige Summen! Naumann hatte sich auch eine selbst präparierte Vogelsammlung angelegt und führte mit den ornithologischen Größen seiner Zeit eine umfangreiche Korrespondenz und tauschte Sammlungsstücke. Bereits 1821 verkaufte er seine Vogelsammlung an den Herzog Friedrich Ferdinand von Anhalt-Cöthen, der sie anfangs im Neuen Schloss, später (1835) im sog. Ferdinandsbau aufstellen ließ. Die Naumann-Sammlung war zunächst Teil des „Herzoglichen Naturhistorischen Kabinetts“.
Im Jahre 1906 übernahm der Köthener Apotheker Paul Gottschalk (1862 – 1930) die Leitung des 1903 gegründeten Vereins, der inzwischen in „Ornithologischer Verein Cöthen“ umbenannt worden war und unter Gottschalk 1907 den Zusatz „Johann Friedrich Naumann“ in seinen Namen aufnahm. Nachdem es um die Jahrhundertwende etwas still um die Sammlung geworden war, begann sich der Verein unter Gottschalk und Otto Börner (1876 – 1953), einem ebenfalls begeisterten Ornithologen, um diese zu kümmern. Unerwartete Hilfe bekamen sie dabei durch den Berliner Bankbeamten Hermann Schalow (1852 – 1925), damals Präsident der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft. 1912 stellte er seine Idee der in Berlin ansässigen, aber mit Mitgliedern in ganz Deutschland vertretenen Gesellschaft vor. Der Herzog überließ dem Köthener Verein 1913 die Sammlung, und gemeinsam gelang es, in Ziebigk noch vorhandene Zeitzeugnisse zu sichern und nach Köthen zu holen. Ohne den aufopferungsvollen Einsatz des Apothekers Gottschalk und des Verlagsdirektors Börner wäre das Unterfangen sicher nicht zustande gekommen. Für den Spätsommer 1914 war schließlich die Eröffnung des „Naumann-Museums“ geplant, doch musste sie wegen des Ersten Weltkrieges um beinahe ein Jahr verschoben werden. Unter überaus primitiven Bedingungen betreute der Köthener Verein unter der Führung von Gottschalk die Sammlung bis zu dessen Tode. Nach mancherlei Wechsel in der Rechtsträgerschaft, wurde das Naumann-Museum 1954 durch Beschluss des Rates des Bezirkes Halle mit dem Heimatmuseum Köthen zusammengeführt und der Stadt Köthen übergeben. 1976 trat Ludwig Baege (Erfurt) die Stelle als Direktor der Museen der Stadt Köthen an. Es gelang dem leidenschaftlichen Ornithologiehistoriker, das Naumann-Museum wieder zu einer eigenständigen Einrichtung zu machen. 1980 konnte er schließlich eine aus heutiger Sicht sehr einfache Schriftenreihe ins Leben rufen, die „Blätter aus dem Naumann-Museum“. Nachdem Baege durch Krankheit ausscheiden musste (1988), wurde der Neubrandenburger Dr. Wolf-Dieter Busching Direktor des Museums. Die politischen Ereignisse der Jahre 1989/1990 gestatteten dann, die Zeitschrift „Blätter ...“ zur weltweit einzigen Schriftenreihe für die Geschichte der Ornithologie zu entwickeln. Völlig überraschend verstarb Dr. Busching, bereits 2010. Die „Blätter …“ konnten nicht mehr fortgeführt werden. Dann nahmen sich zwei Mitglieder des 1994 gegründeten, gemeinnützigen „Vereins der Freunde und Förderer des Naumann-Museums“, der Autor dieser Zeilen und Dr. Christoph Hinkelmann (Lüneburg), der Sache an. Beide schafften es, inzwischen die Hefte 31 (2018) und 32 (2019) der Reihe herauszubringen; Heft 33 ist derzeit im Druck. Beide üben diese Tätigkeit vollkommen ehrenamtlich aus, auch auf die Vergütung der eigenen Auslagen wird verzichtet. Dennoch treten finanzielle Schwierigkeiten auf. Der genannte Verein hat Probleme mit der Finanzierung allein durch Mitgliedsbeiträge, sodass jede Möglichkeit genutzt und um Spenden gebeten werden muss.
Letztendlich haben wir es dem Apotheker Paul Gottschalk zu verdanken, dass der Nachlass Johann Friedrich Naumanns gesammelt und gesichert werden konnte. Köthen verfügt damit seit über 100 Jahren weltweit über das einzige Museum, das einem Ornithologen und seinem wesentlichen Beitrag zur Ornithologie- und damit Wissenschaftsgeschichte gewidmet ist, das zudem auch noch das einzige diesem Wissenschaftszweig gewidmete Periodikum herausgibt. Ohne Gottschalk wäre das einzigartige Kulturgut sicher unrettbar verloren gegangen! Informationen zum „Verein der Freunde und Förderer des Naumann-Museums Köthen“
Joachim Neumann, Neubrandenburg, Infos zum Museum und Verein von ihm: buverne@gmx.de
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