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Ein Koffer voller Halbwahrheiten und Fehler

AOK-Fachzeitschrift kommentiert die Apothekenreform

Weil die Apothekenreform derzeit in der Schwebe ist, hat sich der AOK-Bundesverband vorgenommen, das Vorhaben noch zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Apothekerin Sabine Beckmann, Leiterin des Arzneimittelbereichs, sowie Dr. Sabine Richard, Leiterin der Versorgungseinheit im AOK-Verband, haben sich in der AOK-kontrollierten Fachzeitschrift „Gesundheit und Gesellschaft“ (G+G) nun mit einem Meinungsbeitrag in die Debatte eingeschaltet, der für eine radikale Umwälzung im Apothekenmarkt plädiert. Beide Autorinnen meinen: Der Politik gehe es nicht um die Stärkung der Versorgung, sondern um die Stärkung der Apotheker. Weil von der AOK selbst kein Kommentar dazu zu erwarten ist, hat DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer einige Aussagen aus diesem Beitrag analysiert.
Foto: imago images/Hübner

Die Bundesverbände der Kranken­kassen lassen keine Möglichkeit aus, sich für Umwälzungen im Apothekenmarkt auszusprechen. Neuestes Beispiel: Ein Meinungsbeitrag von Dr. Sabine Richard, Versorgungschefin des AOK-Bundesverbandes, und Sabine Beckmann, Arzneimittel-Chefin im AOK-Verband, im AOK-Magazin „Gesundheit und Gesellschaft“. Weil das Apotheken-Stärkungsgesetz derzeit bei der EU-Kommission festhängt, sehen die Interessenvertreter im Gesundheitswesen weiterhin die Möglichkeit, das Vorhaben zu beeinflussen – darunter insbesondere die Krankenkassen-Verbände.

Weil von der AOK selbst kein Kommentar zu der aktuellen Veröffentlichung zu erwarten ist, haben wir uns einige Aussagen aus diesem Beitrag angeschaut. Dabei fällt auf: Die beiden Versorgungsexpertinnen Beckmann und Richard haben es hier und da nicht so mit der Wahrheit und verdrehen Fakten zu ihren Gunsten. Es folgt eine kommentierende Analyse.

Versandhandel eingeschränkt?

„Im Juli winkte das Bundeskabinett den Gesetzentwurf ‚Zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken‘ durch. Doch der lässt wesentliche Fragen offen: Dürfen Patienten auch künftig ihre rezeptpflichtigen Medikamente bei Versandapotheken bestellen – und wenn ja, zu welchen Bedingungen?“

Schon in der Einleitung liegen Richard/Beckmann falsch. Denn: An keiner Stelle geht es in Spahns Reform darum, den Versandhandel einzuschränken. Die Frage des Rx-Versandverbots ist vom Tisch, mehrfach hat Jens Spahn das dargestellt – aus juristischen Gründen sei es nicht machbar. Insofern ist die Frage, „ob“ Patienten ihre Arzneimittel künftig noch im Versand bestellen dürfen, nicht nur zugespitzt, sondern falsch. Da sie in Richtung der Patienten adressiert ist, bleibt nur eine Schluss­folgerung: Die AOK-Lobbyistinnen wollen Versand-affinen Patienten Angst machen, dass ihnen etwas weggenommen werden könnte.

Aussagen zum DocMorris-Automaten in Hüffenhardt

„Gleichzeitig sollen sinnvolle, auch digitalisierte Weiterentwicklungen der Arzneimittelabgabe, wie zum Beispiel Abgabeautomaten mit Online-Beratung, verhindert werden. [...] Die persönliche fachkundige Beratung gewährleistet eine Videoschaltung in die Stammapotheke im niederländischen Heerlen. Diese Innovationsfeindlichkeit soll nun im Gesetzes­entwurf festgeklopft werden.“

Mit ihren Aussagen zum Thema Hüffenhardt liegen die AOK-Mitarbeiterinnen komplett daneben. Doch hier überschreiten Richard/Beckmann eine wichtige Grenze: die des Rechtsstaats. Das Bild des von den Apothekern klein lobbyierten Jens Spahn, der jetzt auf einmal Arzneimittel-Automaten verbieten und ihnen die „recht­liche Grundlage“ entziehen will, ist einfach nur falsch. Diese rechtliche Grundlage hat es nie gegeben: Es gibt Gesetze und Verordnungen, die solch ein Angebot schlichtweg verbieten – und das nicht erst seit gestern. So jedenfalls sahen es bislang alle mit der Sache beschäftigten Zivil- und Ver­waltungsgerichte. Das zeigt, wie viel Respekt Richard/Beckmann vor be­stehenden Regularien wie dem Apothekengesetz und der Apothekenbetriebsordnung sowie der Recht­sprechung haben.

Aber damit noch nicht genug. Hier offenbaren die beiden AOK-Expertinnen auch, dass sie den Gesetzentwurf Spahns offenbar gar nicht richtig kennen. Denn in seinem Entwurf will der Minister die Automaten nicht verbieten (sie sind es ja schon!). Er will sogar Regeln für den Betrieb „automatisierter Ausgabestationen“ schaffen – damit würde es Versandhändlern sogar unter gewissen Umständen erlaubt, Ausgabeautomaten zu betreiben.

Das Honorar-Gutachten

„Ein Gutachten im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums kam ein Jahr nach dem EuGH-Urteil zu dem Ergebnis, dass die Apo­theken nicht gefährdet sind.“

Diese Aussage machen Richard/Beckmann in einem Abschnitt, in dem es um die möglichen Auswirkungen des Versandhandels auf die Apothekenstruktur geht. Der Satz ist falsch. Die BMWi-Gutachter geben sogar in ihrem Fazit zu, dass es Tausenden Apotheken wirtschaftlich nicht gut geht. Sie erklären zwar auch, dass der Versandhandel daran rein zeitlich keine Schuld haben könne, weil es ihnen schon vor 2015 schlecht ging, aber Fakt ist: 7600 der Apotheken geht es laut BMWi-Gutachten wirtschaftlich schlecht.

„Denn es ist überhaupt nicht erkennbar, dass der Versandhandel die flächendeckende Versorgung tatsächlich gefährdet. (…) Im Gegenteil: Eine Beschränkung des Versandhandels verschärft das Problem eher. Trotzdem lehnt die Apothekerschaft jede Diskussion ab, die sich um die Weiterentwicklung der ‚Apotheke‘ dreht. Beharrlich verlangen sie, dass eine Apotheke auch in der Zukunft genauso aussieht wie bisher.“

Wie genau der Versandhandel die flächendeckende Versorgung retten soll, erklären die AOK-Expertinnen nicht. Aber die Aussage, dass sich die Apotheker Diskussionen rund um die Weiterentwicklungen der Apotheke versperren, ist erneut falsch. Die Apothekerschaft entwickelt gerade gemeinsam mit den anderen Akteuren der Gematik das E-Rezept und will es in Baden-Württemberg testen. Gemeinsam mit den Herstellern und den Großhändlern haben die Apotheker das EU-Fälschungsschutzsystem (hierzulande: Securpharm) auf die Beine gestellt, während andere Länder von einer flächendeckenden Umsetzung noch träumen. Und übrigens: Gemeinsam mit einer AOK und den Ärzten haben die Apotheker ein innovatives Arzneimittelprojekt bereits umgesetzt (ARMIN), bei dem Ärzte und Apotheker digital zur Medikation ihrer Patienten kommunizieren.

Dass sich die von der AOK vorgeschlagene „Weiterentwicklung“ nicht mit den Ideen der Apotheker deckt, sollte Richard/Beckmann eigentlich wenig überraschen: Denn welcher Berufsstand würde sich schon für seine eigene Abschaffung ins Zeug legen?

Filialen versus Ketten

„Auch eine Ausdehnung des Mehrbesitzverbotes auf mehr als vier Filialen lehnt die ABDA ab. Obwohl seit Jahren immer mehr Einzelapotheken von Filialapotheken mit Angestellten verdrängt werden. Offensichtlich sind Apotheken-Ketten attraktiv.“

Ziemlich dreist ist es, Apotheken­ketten mit Filialapotheken gleich­zusetzen. Es gibt einen Unterschied zwischen einem Apotheker, der die Vorgänge in (bis zu) vier Apotheken überschaut, und einem Konzern, der die Verkäufe in möglicherweise Tausenden Einzelapotheken kontrolliert. Im Übrigen ist die Aussage, dass Filialen Einzelapotheken „verdrängen“, ebenso dreist – Fakten dazu legt die AOK nicht vor. In vielen Fällen ist es genau umgekehrt: Einzelapotheken schließen aus wirtschaftlichen Gründen und können von einem anderen Apotheker im Umkreis „gerettet“ werden, indem sie in den Verbund eingegliedert werden.

Fazit

Einen wunden Nerv des Apotheken-Stärkungsgesetzes treffen Richard/Beckmann allerdings: die pharma­zeutischen Dienstleistungen. Denn in den Entwürfen ist bis jetzt nur ansatzweise beschrieben, für welche konkreten Leistungen die Apotheker in welcher Höhe vergütet werden sollen. Die AOK-Lobbyistinnen gehen hart ins Gericht mit dieser Regelung: „Wohin fließt Geld und wofür wird es genutzt? Welche Vorteile bringt es für die Patientenversorgung?“

Doch insgesamt ist es schade, dass sich die beiden erfahrenen AOK-Mit­arbeiterinnen bei ihrer eigenen „Apothekenreform“ nicht wenigstens an die Fakten gehalten haben. Ebenso schade ist es, dass sich ein Verband, der von Körperschaften öffentlichen Rechts finanziert wird, im Gesundheitswesen für einen ausländischen Wettbewerber stark macht, statt den heimischen Leistungserbringern den Rücken zu stärken. Außerdem stoßen gerade die von der AOK geäußerten Wünsche nach Systemumstellungen bitter auf. Denn sind es nicht gerade die AOKen, die ein Gesetz vermeiden wollten, mit dem die Ortskassen möglicherweise benachteiligt worden wären? |

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