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Die Seite 3
Krieg der Zahlen
Es gibt keine Arzneimittel-Lieferengpässe und sollte mal ein Präparat nicht verfügbar sein, dann ist dafür ganz bestimmt nicht die Ausschreibepraxis der Kassen verantwortlich.
Eine solche Aussage kann auf vieles hindeuten – auf eine kühne Wunschvorstellung bis hin zu einem ernsthaften Realitätsverlust. Oder sie dient als Arbeitshypothese für zwei Analysen, die durchgeführt wurden von – dreimal dürfen Sie raten … ganz genau – zwei großen Krankenkassenverbänden. Mitte Oktober kam damit der Verband der Ersatzkassen (vdek) um die Ecke, in der vergangenen Woche war es das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO).
Dankbar müssten wir eigentlich sein, dass der vdek „eine immer wieder vorgetragene Behauptung der Pharma-Lobby“ endlich widerlegt und das WIdO „die immer wieder behaupteten Versorgungsengpässe“ empirisch überprüft hat. Gleichzeitig liefern die Kassen noch das entsprechende Marketing für ihre Ausschreibepraxis mit: „Rabattverträge verhindern Lieferengpässe“ und „Rabattverträge stärken die Arzneimittelversorgung“.
Als Außenstehender würde man sich spätestens jetzt an den Kopf fassen: Über welche Lieferengpässe regen sich die Apotheker eigentlich derzeit so auf? Im Apothekenklima-Index 2019 ist der Ärger über fehlende Präparate sogar auf den zweiten Platz geklettert – nach dem unangefochtenen Dauerbrenner „Bürokratie“.
Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber lachen. Denn Apotheker, Ärzte und nicht zuletzt die Patienten wissen, dass die beiden Analysen der Kassenverbände alles andere als die Realität widerspiegeln. Im Gegenteil, die Veröffentlichungen suggerieren auf fast perfide Weise, dass es eigentlich keine Liefer- oder Versorgungsengpässe geben kann.
Doch dieser Schlussfolgerung steht nicht nur die gefühlte Wahrheit entgegen, sondern auch die objektive und messbare Realität. Sowohl der vdek als auch das WIdO stellen dar, dass der Anteil lieferbarer Arzneimittel (v. a. in Rabattverträgen) bei fast 100 Prozent liegt. Die Datenbasis beruht dabei auf den freiwilligen Meldungen der Pharmaindustrie an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Schon allein, dass vdek und WIdO am Schluss ihrer Analysen ein verpflichtendes Melderegister fordern, zeigt, dass ihr Vertrauen in ein freiwilliges System nur mäßig zu sein scheint. Welcher Hersteller gibt schon gerne vor dem Hintergrund empfindlicher Vertragsstrafen gravierende Produktionsprobleme mit einer Lieferfähigkeit von 0 Prozent zu? Es müssen also nur wenige Arzneimittelpackungen das Werk verlassen und schon bleibt dem jeweiligen Hersteller eine Meldung an das BfArM erspart. Eine flächendeckende Belieferung der Apotheken ist damit aber nicht gewährleistet. Und genau hier liegt das Problem der beiden Analysen: Nicht die Zahl der Meldungen über Lieferengpass-Wirkstoffe ist entscheidend, sondern die Zahl der Patienten, die nicht der Verordnung entsprechend versorgt werden können.
Das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) der ABDA kommt zu dem Ergebnis, dass bereits im vergangenen Jahr die Top-10-Wirkstoffe mehr als die Hälfte der Lieferengpässe ausmachten (4,7 von 9,3 Millionen nicht verfügbaren Packungen), betroffen war insgesamt betrachtet jedes 50. Rabattarzneimittel. Diese Statistik resultiert nicht aus den BfArM-Meldungen, sondern aus der Anzahl der Sonderkennzeichen „Nichtverfügbarkeit von Rabattarzneimitteln“ – also dem Rezeptvermerk, der sich unmittelbar aus dem Kontakt der Apotheker mit den Versicherten ergibt. Den Krankenkassen scheint aber jedes Mittel recht zu sein, ihre Ausschreibepraxis auf Teufel komm raus zu verteidigen. Doch mit der Verharmlosung der Lieferengpässe stehen sie mittlerweile auf verlorenem Posten, denn das Thema ist längst bei den Koalitionspartnern in der Bundesregierung angekommen.
Armin Edalat
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