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Securpharm
Kraftakt der Pharmaindustrie
Wie sich Unternehmen auf die Umsetzung der EU-Fälschungsschutzrichtlinie vorbereitet haben
Es sind große Zahlen, die der Fachapotheker für Pharmazeutische Technologie, Martin Braun, in die Runde wirft: Mehrere tausend Arbeitsstunden waren nötig, die Kosten summierten sich auf über zwei Millionen Euro, zirka 1,7 Millionen Packungen pro Jahr sind betroffen. Braun, der bei dem Karlsruher Phytopharmaka-Unternehmen Dr. Willmar Schwabe die Hauptabteilung Herstellung leitet, fasst damit in knappen Worten und Zahlen zusammen, welchen Aufwand der Arzneimittelhersteller betrieben hat, um sich auf die Delegierte Verordnung (EU) 2016/161 vorzubereiten, die am 9. Februar in Kraft tritt. Dahinter verbirgt sich die EU-Fälschungsschutzrichtlinie, deren Ziel es ist, das Kopieren und Fälschen von Arzneimitteln zu erschweren, im Idealfall sogar unmöglich zu machen.
Mit Start der Richtlinie dürfen pharmazeutische Unternehmen fast alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel nur noch dann für den Verkehr freigeben, wenn sie bestimmte Sicherheitsmerkmale tragen. Dabei erzeugt der Hersteller für jede Packung eine packungsindividuelle Nummer und speist diese in eine zentrale Datenbank ein, sobald er das Arzneimittel in Verkehr bringt. Großhändler prüfen die Sicherheitsmerkmale bei allen Packungsrückgaben sowie bei Arzneimitteln, die nicht vom Hersteller geliefert werden. Am Ende der Kette buchen Apotheker die Präparate vor Abgabe an die Patienten wieder aus dem System aus.
Ein Thema, das seit 2013 beschäftigt
Was sinnvoll klingt, hat vielen Marktteilnehmern in der pharmazeutischen Nahrungskette über Jahre hinweg allerdings jede Menge Kopfschmerzen bereitet und hohe Kosten verursacht. So auch bei Schwabe, wo das Thema 2013 erstmals auf die Agenda gesetzt worden ist. Zu der Zeit, so Fachapotheker Braun, der auch Vorstandsmitglied der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg ist, sei man noch davon ausgegangen, dass die Verordnung letztlich auch für OTC-Produkte gelten werde. Vieles sei zu Beginn noch schwammig und unklar gewesen, beispielsweise die Frage, wie die Codes, die auf die Fertigpackungen gedruckt werden, überhaupt gestaltet sein sollen. Nach den Worten von Braun habe Schwabe sich von Beginn an dafür eingesetzt, dass die Verordnung in der Praxis Hand und Fuß bekam.
Wenngleich die EU-Kommission im Laufe des Prozesses klarstellte, dass die Verordnung grundsätzlich doch nur für verschreibungspflichtige Arzneimittel gelten wird (Ausnahme: Omeprazol Hartkapseln 20 und 40 mg), machten die Karlsruher weiter. Zum einen sind von den weltweit bis zu 90 Millionen jährlich verkauften Arzneimittelpackungen des Unternehmens etwa 1,7 Millionen verschreibungspflichtige Produkte, davon ein kleiner Teil für den deutschen Markt. Für die gilt die Richtlinie. Zum anderen ist man bei Schwabe überzeugt, dass die Vorschrift eines Tages auch auf OTC-Produkte angewendet werden wird. Darauf will man vorbereitet sein.
Aktuell ist die Lage allerdings noch völlig anders – laut Gesetz dürfen auf OTC gar keine Fälschungsschutz-Merkmale angebracht werden. Bei Braun stößt das auf Unverständnis: „Apothekenpflichtige Arzneimittel sind keine Arzneimittel zweiter Klasse. Müssen erst Fälschungen auftauchen, bis den pharmazeutischen Unternehmen die Möglichkeit der freiwilligen Aufbringung von Sicherheitsmerkmalen eingeräumt wird?“
Neue Systeme, neue Prozesse, hohe Ausgaben
Die Vorbereitungen und Umstellungen auf die EU-Richtlinie bei Schwabe waren jedenfalls komplex. So musste das Unternehmen sechs Konfektionierungslinien nachrüsten, Software auf den aktuellen Stand bringen, Schnittstellen entwickeln und neue Bedruckungssysteme einführen. Mit dem sogenannten Onboarding schloss sich das Unternehmen vertraglich und technisch an einen EU-Hub sowie an nationale Hubs von Securpharm an, der deutschen Initiative zum Schutz des Arzneimittelvertriebs vor gefälschten Arzneimitteln. Zulassungsbehörden mussten über die Änderungen der Packmittel informiert werden, es waren Anpassungen in der Dokumentation fällig, und Mitarbeiter mussten geschult werden. Immer wieder, so Braun, sei man dabei vor Herausforderungen gestanden – beispielsweise der Frage, wie man es schafft, bei einer Produktion von 400 Arzneimittelpackungen pro Minute innerhalb von Millisekunden den Serialisierungscode auf die Schachteln zu drucken. Das erfordert nicht nur eine feine IT-Abstimmung, sondern auch spezielle Tinte, die schnell trocknet, und einen Karton, der die Tinte rasch aufnimmt.
Darüber hinaus stellt die Richtlinie erhebliche Herausforderungen an die unternehmensinterne Logistik. Immerhin, so Braun, seien zahlreiche unterschiedliche Arzneimittelverpackungen in verschiedenen Ländern Europas davon betroffen. Allein in der Produktion fielen auf diese Weise 6000 Mannstunden an, in der IT waren es weitere 2000. Auch in anderen Bereichen wie Qualitätskontrolle, Logistik, Vertrieb und Rechtsabteilung mussten die Mitarbeiter viele hundert Stunden aufwenden, um sich fit für den 9. Februar 2019 zu machen.
Parallel schnellten die Kosten in die Höhe. Die Neuanschaffung von Hard- und Software stellte mit über einer Million Euro den dicksten Brocken dar. Die Implementierung des Serialisierungssystems kostete Schwabe weitere rund 450.000 Euro, die Personalkosten zur Umsetzung der Fälschungsrichtlinie summieren sich bislang auf zirka 500.000 Euro. Hinzu kommen jede Menge Gebühren, beispielsweise für das Onboarding der Verifikationssysteme, sowie laufende Kosten für die Nutzung und den Betrieb der IT-Systeme. Nicht zuletzt verbucht das Unternehmen wiederkehrende Kosten wie für die Verklebung, Bedruckung oder einen erhöhten Ausschuss bei den Packungen.
All diese Kosten werden Schwabe wie auch andere Pharmaunternehmen nach Einschätzung Brauns selbst tragen müssen. Im Rx-Bereich seien Preiserhöhungen aufgrund des laufenden Moratoriums nicht möglich. Und im OTC-Bereich sei der Preiswettbewerb derart intensiv, dass Preissteigerungen nicht durchsetzbar seien.
Kostenexplosion bei Recipharm
Auch der schwedische Arzneimittelhersteller Recipharm hat in Vorbereitung auf den Tag X eine Lernkurve durchgemacht. 2013 rechnete das Unternehmen noch damit, dass die Kosten bei etwa 14 Millionen Euro liegen würden. 2018, mehr als fünf Jahre später, lief das Projekt immer noch, doch die Ausgaben summierten sich mittlerweile auf 30 Millionen Euro, verriet Staffan Widengren, Director Corporate Projects bei dem Stockholmer Unternehmen, im Sommer 2018 auf einer Serialisierungskonferenz in München. Bei einem Jahresumsatz von rund 550 Millionen Euro ist das ein durchaus stattlicher Betrag.
Darüber hinaus gestalteten sich die organisatorischen Herausforderungen bei dem Auftragsproduzenten komplex, immerhin stellt das Unternehmen jährlich mehr als 500 verschiedene Arzneimittel in 2700 unterschiedlichen Verpackungen her. Um sich nicht zu verzetteln, verfolgte Recipharm ein einfaches, aber wirkungsvolles Konzept: Das Unternehmen entwickelte ein Standardprogramm, das es auf sämtliche betroffenen Standorte ausrollte. „Keep it simple, but compliant“, beschrieb Widengren die Architektur der hauseigenen Lösung – einfach, aber gesetzeskonform sollte sie sein.
Dennoch zeigten sich, ähnlich wie bei Schwabe, im Detail zahlreiche Herausforderungen. So standen die Schweden immer wieder vor der Frage: Wer erzeugt die Seriennummern eigentlich – Recipharm oder der Kunde? Unklarheit herrschte laut Widengren auch bei der Frage, ob die Nummern versendet werden können, bevor die Arzneimittel das Produktionsgebäude verlassen. Und was ist, fragte der Schwede auf der Münchener Konferenz, wenn eine Firma 10.000 Arzneimittelpackungen in den Markt gibt, aber versehentlich 12.000 Codes produziert hat?
Einig sind sich die Verantwortlichen in den Pharmaunternehmen, dass eine rechtzeitige Vorbereitung auf die EU-Fälschungsrichtlinie enorm wichtig gewesen ist. Wer meinte, erst innerhalb der vergangenen sechs Monate seine Maschinen, Prozesse und die IT umstellen zu können, dürfte es schwer gehabt haben. Widengren mahnte zudem an, sich einen kompetenten Technologiepartner zu suchen, die Verantwortlichkeiten innerhalb des Unternehmens klar zu regeln und auch das eigene Management eng in den Prozess zu involvieren, damit dieses ein gutes Verständnis von der Materie bekommt.
Nüchterne Bilanz einer teuren Vorgabe
Doch die Spannung ist auch mit Start der EU-Richtlinie noch nicht raus. In den nächsten Wochen wird sich nach Einschätzung des Schwabe-Pharmazeuten Braun zeigen, wie das Gesamtsystem in der Praxis läuft. Im Testbetrieb habe man jedenfalls festgestellt, dass in der europäischen Anti-Fälschungs-Architektur immer wieder mal Verbindungsprobleme auftreten. Das könnte vor allem bei Apothekern Unmut auslösen, wenn die beim Ausscannen von abzugebenden Packungen Fehlermeldungen erhalten. Dabei geht es nicht um Peanuts, immerhin werden laut Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) in deutschen Apotheken jährlich etwa 1,48 Milliarden Arzneimittelpackungen abgegeben, davon etwa die Hälfte Rx-Arzneien. Sofern nur 0,001 Prozent davon einen Fehler signalisieren, auch wenn tatsächlich keine Fälschung vorliegt, dürfte manchem Pharmazeuten der Kopf rauchen.
Darüber hinaus treibt Braun eine ganz generelle Frage um – nämlich ob das kleine Plus an Sicherheit durch die neue EU-Verordnung tatsächlich im Verhältnis steht zum immensen Aufwand für Pharmazeutische Unternehmer und Apotheken. Im Grunde hält der Manager die neue Regelung für nicht notwendig und verweist darauf, dass Deutschland schon bisher eines der weltweit besten und sichersten Systeme der Arzneimittelversorgung habe. Erst mit dem Aufkommen von teils verschlungenen Lieferwegen innerhalb Europas, beispielsweise Re- und Parallelimporten, habe sich eine Tür für das Einschleusen von Fälschungen in die ansonsten sichere Lieferkette vom Hersteller über den Großhandel zur Apotheke geöffnet – diese aber werde auch mit der neuen EU-Richtlinie nicht geschlossen, so der Schwabe-Manager.
Darüber hinaus könnten Betrüger auch über unseriöse Online-Portale ihre Produkte in Umlauf bringen. Auch in diesen Fällen greife die neue Richtlinie nicht. Braun: „Für alle Beteiligten in der Pharmaindustrie und im Pharmavertrieb bedeutet die neue Richtlinie einen Aufwand, der möglicherweise in die Milliarden geht. Am Ende wird das aber zu keinem erheblich besseren Ergebnis führen.“ |
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