Gesundheitspolitik

Rezeptsammlung im Supermarkt erlaubt

Von Versanderlaubnis gedeckt

ks | Das Bundesverwaltungs­gericht hat am vergangenen Donnerstag entschieden, dass eine Präsenzapotheke, die über eine Versandhandelserlaubnis verfügt, in ihrem örtlichen Einzugsbereich Rezepte und Bestellungen für rezeptfreie Arzneimittel einsammeln darf – auch in einem Supermarkt. Die Medikamente darf sie dann auch per Boten ausliefern. (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. April 2020, Az.: BVerwG 3 C 16.18)

Seit Dezember 2014 hat eine Apothekeninhaberin aus Herne, die auch eine Versandhandelserlaubnis besitzt, eine Sammelbox für Rezepte und OTC-Bestellungen in einem Edeka-Supermarkt aufgestellt. Der Briefkasten wird von der Apothekerin oder einem ihrer Mitarbeiter regelmäßig geleert. Die Auslieferung der Medikamente erfolgt innerhalb des Stadtgebietes versandkostenfrei durch Boten der Apothekerin. Außerhalb des Stadtgebietes werden sie durch einen externen Dienstleister versandt. Doch die Versandoption ist praktisch kaum relevant, zumal relativ hohe Versandkosten berechnet werden.

Die Stadt Herne sah das Angebot als unzulässige Rezeptsammel­stelle und untersagte den Betrieb der Sammelbox im Oktober 2015. Doch das wollte die Apothekerin nicht auf sich sitzen lassen. Sie meint, dass es sich bei ihrer Sammeleinrichtung um eine erlaubnisfreie – und zulässige – „Pick-up-Stelle“ im Rahmen eines von ihr betriebenen Versandhandels handele. Sie ging daher gegen die Verfügung vor und klagte sich vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen über das Oberverwaltungsgericht NRW bis hin zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Vorinstanzen: Versandhandel ist etwas anderes

In den ersten beiden Instanzen wurde ihre Klage abgewiesen. Sie teilten die behördliche Auffassung, dass die Apothekerin mit ihrer Einrichtung zum Einsammeln von Verschreibungen gegen die Bestimmung des § 24 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) verstoße. Nach außen wirke sie wie eine solche Sammelstelle – doch die erforderliche Erlaubnis habe die Apothekerin nicht. Und sie würde sie in ihrer Lage auch nicht bekommen. Auf ihre Versanderlaubnis könne sie sich ebenfalls nicht berufen. Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht 2008 ausgeführt, § 24 ApBetrO sei für die Entgegennahme von Arzneimittelbestellungen im Versandhandel nicht einschlägig (es bejahte seinerzeit die Zulässigkeit der Pick-up-Stellen der Europa Apotheek in dm-Märkten). Ob diese Entscheidung nach der 2012 erfolgten Änderung der Apothekenbetriebsordnung (in­klusive § 24 ApBetrO) überhaupt noch Geltung beanspruchen könne, lassen die Richter dahinstehen. Denn jedenfalls liegt aus ihrer Sicht überhaupt kein Versandhandel vor. Der Apothekerin gehe es vor allem darum, mehr Kunden in ihrem Einzugsgebiet zu gewinnen, ausdrücklich richte sich ihr Angebot nicht an einen unbestimmten Personenkreis. Zudem würden die Arzneimittel an diese Kunden ausnahmslos durch das Personal der Apothekerin ausgeliefert. Merkmal des Versandes sei jedoch die Hinzuziehung externer Dienstleister.

Versandhandelsbegriff umfasst auch Botenlieferung

Doch vor dem Bundesverwaltungsgericht bekam die Herner Apothekerin nun Recht. Die Leipziger Richter hoben die Ordnungsverfügung auf – denn sie sehen die von der Herner Apothekerin betriebene Sammelbox von ihrer Versandhandels­erlaubnis umfasst.

Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor. In einer Pressemitteilung des Gerichts heißt es jedoch, die Vorschriften des Apotheken- und des Arzneimittelrechts über den Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln schlössen eine Zustellung durch eigene Boten der Apotheke weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Regelungszweck aus. Dem Begriff des Versandhandels unterfalle auch ein Vertriebsmodell, das auf einen Versand im örtlichen Einzugsbereich der Apotheke ausgerichtet ist und hierfür eigene Boten der Apotheke einsetzt. Die Arzneimittelsicherheit sei dabei nicht mehr gefährdet als beim Versand über größere Entfernungen mittels externer Versanddienstleister. Dass eine Zulassung dieses Vertriebsmodells zu einem signifikanten Rückgang der Apothekendichte und einer Gefährdung der Arzneimittelversorgung führen könnte, sei ebenfalls nicht ersichtlich.

Douglas: Ein Erfolg für die Vor-Ort-Apotheke

Mit diesem höchstrichterlichen Urteil ist nun klar: Diese Entscheidung hat bundesweite Strahlkraft und gilt nicht nur für die Herner Apothekerin. Zwar sind die genauen Urteilsgründe noch abzuwarten – und damit auch die Reaktionen der Versandapotheken. Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas, der die Pharmazeutin in den Verfahren vertreten hat, scheint jedenfalls keine Bedenken zu haben, dass sich das Urteil nachteilig für die Vor-Ort-Apotheken auswirkt. Er verweist darauf, dass EU-Versender nach dem „dm-Urteil“ des Bundesverwaltungsgerichts von 2008 ohnehin schon Rezepte sammeln dürften – doch große Erfolge hatten sie damit offenbar nie. Nach dem Urteilsspruch erklärte Douglas gegenüber der AZ: „Auch wenn es um die Auslegung des Begriffs des Versandhandels geht, ist dies ein Erfolg der Vor-Ort-Apotheken. Diese werden nunmehr rechtssicher in die Lage versetzt, im lokalen Bereich patientenfreundliche und flexible Ver­sorgungsmodelle zu etablieren. Dies ist ein wichtiger Schritt, um insbesondere den im Ausland ansässigen Versendern etwas ent­gegenzusetzen. Damit können die Vor-Ort-Apotheken nunmehr ihren großen Vorteil noch besser ausspielen: ihre Nähe zum Kunden.“

Ist § 24 ApBetrO obsolet?

Über den konkreten Fall hinaus sieht Douglas jetzt Bedarf für eine Änderung oder gar Aufhebung von § 24 ApoBetrO: „Das Gericht hat klargemacht, dass die bundesrechtlichen Regelungen über den Versand der Apothekenbetriebsordnung vorgehen. Hier wird man sich nun vonseiten des Verordnungs­gebers die Frage stellen müssen, ob es dieser Vorschrift noch bedarf. Aus meiner Sicht ist sie überlebt. Spätestens mit der Einführung der elektronischen Verschreibung wird diese Vorschrift dann end­gültig gegenstandslos.“

Nicht zuletzt sieht der Anwalt auch einen Bezug zur aktuellen Situation. Gegenüber der AZ räumt er ein: „Sicher werden diese Entwicklungen nicht allen Apotheken gefallen. Nur ändert dies nichts an der Tatsache, dass wir uns alle, wie uns im Moment erbarmungslos vor Augen geführt wird, veränderten Rahmenbedingungen stellen müssen. Egal ob Apotheke, Bäcker, Anwalt oder Optiker: Wenn unsere Kunden nicht zu uns kommen können, müssen wir Alternativen anbieten. Für die Apotheke vor Ort bestehen nun mehr Möglichkeiten im Bezug auf diese Alternativen.“ |

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