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Management
Zum Abgewöhnen!
Wie Sie Ihre ungeliebten Gewohnheiten entmachten können
Unsere Gewohnheiten haben sich im Stammhirn etabliert. Im Prinzip geht es dabei ums Energiesparen, die Handlungen sind automatisiert und uns nicht in den Einzelschritten bewusst. Sie überlegen nicht: „Jetzt kommt ein Kunde, ich muss nach vorne gehen, freundlich grüßen und nach seinem Begehr fragen“, sondern sehen ihn, gehen, grüßen, fragen ganz „automatisch“. So ist es auch mit unangenehmen Angewohnheiten. Das heißt, Sie müssen sich der Unsitten erst einmal bewusst werden und können dann hinterfragen, wann und warum Sie sich diese angewöhnt haben. Welches Bedürfnis steckt dahinter oder was wollten Sie damit ursprünglich vermeiden? Wenn das klar ist, ist der rote Faden sichtbar, der alte Zweck ist heute vielleicht gar nicht mehr aktuell oder kann anders erreicht werden. Ein Beispiel: Ich neige dazu, mit Älteren recht laut zu sprechen. Das ist aber heutzutage gar nicht mehr nötig, weil die meisten entweder mit oder ohne Gerät besser hören als vor 30 Jahren, als ich mit meiner Tätigkeit anfing.
Ein paar Grundlagen zum Abgewöhnen sind für alle gleich, bei anderen scheiden sich die Geister. Denken Sie an die Raucher, die sich bei Ihnen beraten lassen: Einige möchten das Nicotin ausschleichen, indem sie bei uns Ersatz kaufen, der langsam reduziert wird. Übrigens: Den Kaugumminutzern ist auch geholfen, wenn sie zwischendurch mal ein wirkstofffreies Zahnschutzkaugummi kauen, bieten Sie es also ruhig mit an. Ein zweiter Typ schwört auf die Pflaster und der dritte sagt „Ganz oder gar nicht“ und hört von heute auf morgen strikt mit dem Rauchen auf. Viele Ex-Raucher nehmen allerdings an Gewicht zu, was zeigt: Es braucht meist einen Ersatz – und zwar möglichst einen gesunden.
Doch auch wenn genügend Motivation und Einsicht vorhanden sind, setzen wir uns manchmal zu hohe Ziele bzw. üben zu viel Druck aus und werfen die Flinte zu schnell ins Korn. Stattdessen schlägt der Wirtschaftswissenschaftler und Motivationscoach Dr. Martin Krengel vor: „Wir brauchen Orientierungspunkte für die Richtung und kleine, nahbare Strategien, um unsere Ideen mit Erfahrungen zu füttern, um unseren Pfad zu finden.“ Das Schöne daran ist, dass man unterwegs zum Hauptziel immer kleine Glückserlebnisse hat, weil man realisiert, dass „es“ gelingt.
Besonders, wenn Sie unter Stress stehen, hilft es, nicht abstrakt an Ihr neues Ziel zu denken, sondern sich Bilder und Vorbilder dazu zu überlegen. Wann hat es schon einmal geklappt, wie habe ich mich dabei gefühlt? Wie macht es meine Kollegin Klara, da geht es doch immer ganz mühelos? Was würde meine Freundin Eva mir raten, mein Vater oder meine PTA-Schul-Lehrerin Frau Galen?
„Kleiner denken – weiter kommen“
Martin Krengel
Was wollen Sie sich abgewöhnen? Sind Sie selbst von sich und Ihrem Verhalten frustriert oder irritiert, wird etwas nur von anderen missbilligt, sind es kleine Dinge oder etwas Aufwendiges? Mit den Antworten steht und fällt Ihre Motivation, die Zeitdauer und vermutlich auch die Unterstützung, die Sie von den Kolleginnen* dabei bekommen. Werden Sie ungeduldig und laut, wenn ein Kunde oder eine Kollegin „begriffsstutzig“ ist? Begrüßen Sie die Kunden immer ohne Namen? Informieren Sie Ihre Kolleginnen nicht ausreichend über laufende Vorgänge, die Sie nicht selbst zu Ende führen können? Unterbrechen Sie andere beim Sprechen? Treten Sie besserwisserisch auf oder drängen Sie Kunden zu sehr zu einem bestimmten Verhalten oder Arzneimittel? Sprechen Sie zu laut? Kauen Sie Kaugummi, knibbeln Sie an Ihren Fingernägeln während des Beratungsgesprächs?
Eine meiner Kolleginnen arbeitete immer nachlässig in der Rezeptur. Sie legte den benutzten Spatel und die Kartenblätter auf den Tisch statt auf den Spatelschlitten und machte hinterher nichts sauber. Wie oft legte dann die Nächste nichtsahnend dort ein Rezept ins Fett! Nur als wir es immer wieder erwähnten und konsequent darauf bestanden, dass sie JETZT SOFORT saubermachte, alles, was zu Schaden gekommen war, reinigte und ggf. beim Arzt unverzüglich eine Rezeptkopie anforderte, wurde es langsam besser. Hier zogen alle am gleichen Strang.
Der Psychotherapeut Matthias Hammer empfiehlt einige Überlegungen als erste Schritte (siehe Kasten).
Erste Schritte zur Änderung
- Was sind Ursache und Zweck Ihrer schlechten Angewohnheit?
- Gibt es einen auslösenden Reiz?
- Passt sie zu den Werten, zu dem, was wichtig ist in Ihrem Leben?
- Was sind die Folgen nach dem Tun, warum ist es zum Abgewöhnen?
- Was ist Ihnen wichtig im Bereich Arbeit?
- Welches sind die einzelnen Schritte zur Entmachtung des Übels?
- Wie können Sie sich ein freundlicher Coach bei Rückfällen sein?
„Wenn wir uns die Schädigung offen und ehrlich eingestehen, die durch die Gewohnheit entstehen könnte, und sie dann in Verbindung mit dem bringen, was uns eigentlich wichtig ist, ändern wir ganz leicht unser Verhalten. Wir verderben uns gewissermaßen selbst den Spaß an dem, was uns ohnehin nicht guttut“, so Hammer.
Die eigene Vorstellungskraft hilft dabei, sich negative Langzeitfolgen lebhaft auszumalen. Meist gibt es einen Auslöser für das ungewünschte Verhalten, setzen Sie sich darum auch einen Auslöser für Ihre zukünftige gewünschte Gewohnheit. Dafür ist die Wenn-dann-Methode geeignet: „Wenn die Türglocke klingelt, dann denke ich sofort an den Namen dieses Kunden und spreche ihn so an“ oder „Wenn ich durch lautes Sprechen einen leichten Druck in der Kehle spüre, dann senke ich meine Stimme“. Je öfter Sie diese Auslöser trainieren, desto besser wird es. Dabei wirken sinnliche Dinge stärker als abstrakte, z. B. ein Klingeln oder etwas, was Sie tatsächlich sehen – also Laufschuhe anschauen statt „Ich will joggen gehen“ denken. Umgekehrt klappt es auch: Sie möchten während der Arbeit nicht ständig Ihr Handy abfragen? Wenn Sie es nicht mehr in der Kitteltasche fühlen, sondern erst zum Schrank zu Ihrer Handtasche laufen und also auch noch daran denken müssen, ist es einfacher. Hier entfernen Sie den fühlbaren Reiz, das Unerwünschte ist zudem nur noch umständlich durchzuführen und so fällt es leichter, es zu unterlassen.
Handlungsimpulse überspielen
Wenn wir impulsives Tun unterdrücken wollen, kann man eine Ersatzhandlung so lange durchführen, bis der Impuls nachlässt. Sie möchten schnell mal aus dem Haus und an der Hintertür eine rauchen? Gehen Sie stattdessen ins Bad und lassen sich kaltes Wasser über die Hände laufen. Sie spüren Gier nach den Bonbons, die im Sozialraum auf dem Tisch liegen? Drücken Sie die Fingerkuppen beider Hände so lange aneinander, bis der Appetit vorüber ist. Auch die Aufmerksamkeit auf eine gewohnte Tätigkeit zu polen, hilft. Ware einordnen, Tüten nachfüllen, Salbenkruken in die Schublade der Rezeptur räumen – das lenkt ab und ist sinnvoll dazu.
Störfaktoren erkennen und vermeiden
Störfaktoren beim Abgewöhnen sind zum Beispiel Glaubenssätze, die tief in uns verankert sind und es aus der Tiefe sabotieren. Mal handelt es sich dabei um „Das schaffst Du sowieso nicht“, also einen ganz globalen, das Selbstbewusstsein untergrabenden Satz. Oder das in der Kindheit Gelernte: „Dick Butter streichen ist gesund!“ – das macht natürlich Ihren Pausenimbiss in der Apotheke zur Kalorienbombe.
Ein weiterer Störfaktor liegt im Verwechseln von eigenen und fremden Zielen. Es ist menschlich, Anerkennung zu suchen, indem man die Wünsche anderer berücksichtigt, manchmal aber schwierig umzusetzen, wenn es gegen die eigene Überzeugung geht. Ein kleines Beispiel: Ihre Chefin arbeitet gerne am Rezepturtisch statt im Büro, weil sie dann einen besseren Überblick in der Offizin hat. Sie erwartet von Ihnen, dass Sie es akzeptieren. Sie fühlen sich gar nicht wohl dabei, wenn sie dort die Post sortiert, ihr Mittagessen einnimmt oder die Fachzeitung liest. Einerseits möchten Sie Ihrer Chefin den Raum einräumen, andererseits sträubt sich alles, weil Sie IHREN Arbeitsplatz sauber und aufgeräumt halten müssen und möchten. Ihr Unwohlsein legt sich etwas, wenn Ihnen diese Zusammenhänge bzw. Widersprüche klar werden. Vielleicht können Sie das der Chefin auch erklären, sodass diese ihr Dortsein auf das Nötigste beschränkt oder überlegt, wie sie ihre eigenen Wünsche auch anders erreichen kann als ausgerechnet an dieser Stelle. Hier gibt es den Zwei-Seiten-Kompromiss als Abgewöhnungsziel.
Ebenfalls störend ist Perfektionismus satt Pragmatismus. Erkennen Sie klug das Genug! So jagen Sie nicht Unerreichbarem nach, sondern erlangen Zufriedenheit mit dem Realistischen.
Literaturtipps
Dr. Martin Krengel
Dein Ziel ist im Weg – Kleiner denken – weiter kommen.
Verlag Eazybookz, 2020
ISBN 978-3-941193-88-8
Matthias Hammer
Micro Habits – Wie Sie schädliche Gewohnheiten stoppen und gute etablieren.
mvg Verlag 2019
ISBN 978-3-7474-0107-1
Zu beziehen über:
Deutscher Apotheker Verlag, Birkenwaldstraße 44, 70191 Stuttgart
Telefon 0711 2582-341, Telefax 0711 2582-290, E-Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de
Testballons steigen lassen
Falls Sie dazu neigen, die Dinge aufzuschieben, weil Sie die Mühe scheuen, noch nicht recht wissen, wie Sie etwas anpacken wollen oder grundsätzlich mit Neuem fremdeln, hilft ein Test. Wenn Sie sich innerlich sagen, „Ich muss es nur ein einziges Mal machen und sehen, wie ich damit klarkomme“, ist es einfacher, als wenn Sie sich für alle Zeiten zu etwas „ganz furchtbar Schwierigem“ verpflichten und damit unter Druck setzen. Sie schreiben zum Beispiel die Etiketten immer noch mit der Hand, obwohl ein Drucker da ist. Vor Monaten gab es eine Einführung, danach haben Sie sich nicht die Zeit genommen, das Ganze einzuüben, weil Sie das alles umständlich finden etc. Im Grunde genommen ist klar, dass Sie nicht darum herumkommen. Sie sagen sich also: „Okay. Ich schaue mal, wie weit ich komme, vielleicht ist es ja auch gar nicht praktikabel, dann muss ich nicht immer ein schlechtes Gewissen haben, solange ich es nicht tue“, orientieren sich an der Gebrauchsanleitung und Ihren Notizen und erhalten: eine wunderschöne, deutliche Beschriftung, ganz lege artis! Und es war gar nicht so schwer wie befürchtet. Schnell noch ein zweites Etikett für die Rezeptur heute Nachmittag, wieder klappt es ganz vorzüglich, Sie sind erleichtert: Gut, dass Sie sich überwunden haben, nun ist es kein Problem mehr. Die andere Seite: Sie machen einen Versuch, der misslingt. Sie holen Hilfe, jedoch: Auch die technisch versierten Cracks im Team kommen nicht zurecht, oh je. Also die Hotline angerufen, nach einiger Zeit klärt sich der Fehler! Auch in diesem Fall war das Ausprobieren Gold wert, es gab Hindernisse, die das Team gemeinsam überwunden hat und nun ist das Abgewöhnen des handschriftlichen Kritzelns auf dem Minietikett keine Mühe mehr und klappt wie von selbst. Misslingen ist zwar anfangs negativ, bringt uns jedoch auch weiter, weil wir wissen, wie es NICHT geht und Alternativen finden, die funktionieren.
Erfolge registrieren, loben und erinnern
Eine gelungene Unterlassung darf nicht nur, sondern muss unbedingt gewürdigt werden. Führen Sie eine Strichliste, jubeln Sie dreimal, erzählen Sie auch zu Hause von Ihrer Leistung. Wenn wir uns unserer Triumphe bewusst werden, ist das Wasser auf die Mühlen der gewünschten Eigenarten. |
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