Wirtschaft

Warum ist AvP in die Insolvenz geraten?

Gutachten weist auf „schwarze Kassen“ hin / Fingierte Erlöse aus Rabattverfall

eda | Seit mehr als zwei Monaten beschäftigt die Insolvenz des Apothekenrechenzentrums AvP die Branche und die Politik. Zunehmend rückt die Frage in den Fokus, wie es zu der folgenschweren Pleite kommen konnte. Denn von dieser Antwort werden auch die politischen Maßnahmen abhängen, die man zukünftig einleiten muss, um solch ein Ereignis verhindern zu können.

Die wirtschaftlichen Schwierig­keiten, in die das Rechenzentrum AvP geriet und die zur jetzigen Situation führten, resultieren offenbar aus vorsätzlichen bis kriminellen Handlungen. Das geht aus dem Gutachten von Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos hervor, das der Redaktion vorliegt.

Demnach hatte es innerhalb der AvP-Unternehmensgruppe seit „geraumer Zeit“ finanzielle Un­regelmäßigkeiten gegeben. Nach außen getreten waren diese im Jahr 2018, als es zu strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf gegen den Geschäftsführer Rolf Clemens kam. Diesem vorausgegangen waren auffällige Überweisungen von Konten der AvP Deutschland GmbH auf ein bei der Stadtsparkasse Düsseldorf geführtes Konto der Dialog im Gesundheitswesen GmbH. Clemens war zeitweise auch Geschäftsführer dieser Schwestergesellschaft gewesen. Doch das Konto fand in keinen Büchern Erwähnung und die Gelder wurden für keines der Unternehmen in der AvP-Gruppe betriebsbezogen verwendet.

1,8 Mio. Euro abgezweigt

Vielmehr nutzte Rolf Clemens das Konto für private Zwecke – also gewissermaßen als „schwarze Kasse“. Dies ergaben Ermittlungen der Stadtsparkasse Düsseldorf, woraufhin man am 19. August 2018 Geldwäscheanzeige erstattete. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen wurden erst mehr als ein halbes Jahr später öffentlich, als am 11. April 2019 Geschäftsräume bei der AvP Deutschland GmbH und der Dialog im Gesundheitswesen GmbH durchsucht wurden. Die Staatsanwaltschaft brachte zutage, dass zwischen 2009 und 2018 rund 1,8 Mio. Euro von den Abrechnungskonten in die „schwarze Kasse“ abgezweigt wurden. Clemens soll sich ab 2010 bis zur Auflösung des Kontos im Jahr 2018 an rund 1,6 Mio. Euro bedient haben. Nachträglich abgeschlossene Darlehensverträge dienten der Vertuschung.

Ende 2019 kam es dann zu einem Wechsel der bei der AvP Deutschland GmbH tätigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Die neue Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hinterfragte die Bilanzierungspraxis bei AvP und holte ein Gutachten ein. Dieses bestätigte den Verdacht, dass die Jahresabschlüsse 2018 und 2019 nichtig und neu zu erstellen waren. Kernkritik: Die Forderungen gegen Krankenkassen sowie die Guthaben der Abrechnungskonten wurden nicht unter Aktiva aufgeführt, die Verbindlichkeiten aus einem Konsortialkredit, der für die Abschlagszahlungen genutzt wurde, nicht unter Passiva. Hinzu kam eine nicht ordnungsgemäße Debitoren- und Kreditorenbuchhaltung im Hinblick auf die Abrechnungs­konten. Infolgedessen konnten die Einzahlungen der Krankenkassen nicht mit den Rezeptforderungen abgeglichen werden.

Nachdem die Jahresabschlüsse für 2018 und 2019 korrigiert bzw. neu aufgestellt wurden, kristallisierte sich heraus, dass bei AvP über Jahre hinweg Forderungen aus sogenannten Rabattverfallen gebucht wurden, ohne dass diese von den Krankenkassen tatsächlich gezahlt wurden (DAZ 2020, Nr. 47, S. 21). Für den Zeitraum zwischen 2013 und 2019 beläuft sich die Summe laut Hoos’ Gutachten auf 50 Mio. Euro. Weshalb AvP die Ansprüche gegenüber den Kassen nicht geltend gemacht hat, bleibt auch im Gutachten unklar. Möglicherweise war es der chaotischen Buchhaltung schlicht nicht möglich, dies sauber aufzuarbeiten.

Konsortialkredit als Puffer

Hinzu kommt, dass die erwirtschafteten Gebühren aus dem Abrechnungsgeschäft über Jahre hinweg nicht ausreichten, anfallende Kosten zu decken. Um dieses Defizit zu vertuschen, fingierte man die Rechnungen aus dem Rabattverfall. So konnte man Verluste vor Steuern in Höhe von rund 4 Mio. Euro pro Jahr zwischen 2017 und 2019 verdecken. Warum diese zwielichtige Geschäftspraxis und die damit einhergehende drohende Insolvenz über eine so lange Zeit öffentlich unbemerkt blieb, ist dem Konsortialkredit geschuldet. Dieser stellte für die AvP Deutschland GmbH ein immenses Liquiditätspolster dar und war nicht Bestandteil der Bilanzen. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Rolf Clemens wurden ausgeweitet und am 4. März 2020 fand seine Abberufung als AvP-Geschäftsführer statt. Infolgedessen wurde vonseiten der Unternehmensführung, also der AvP Service AG, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistung (BaFin) informiert. Eine vom Bankenkonsortium eingesetzte Beratungsgesellschaft, die Andersch AG aus Frankfurt am Main, teilte jedoch in einer Telefonkonferenz Anfang September mit, dass die strukturellen Defizite in der AvP-Unternehmensgruppe so erheblich seien, dass durch Kosteneinsparungen keine kurzfristige Verbesserung erzielt werden könnte. Als feststand, dass dies aussichtslos war, kündigten die Banken am 4. September den Konsortialkredit. Daraufhin war es der AvP Deutschland GmbH nicht mehr möglich, den Apotheken für den Monat September Abschläge zu zahlen. |

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