DAZ aktuell

Die Anlage 3 zur Hilfstaxe 2020 turnt am Hochreck

Seit 1. März gelten neue Abrechnungsregeln

Von Constanze Püschel und Ulrich Grau | Die Anlage 3 zur Hilfstaxe 2020 ist am 1. März 2020 in Kraft getreten. Diesmal haben sich der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) im Verhandlungsweg – wenn es auch lang gedauert hat – auf neue einzelne Regelungen in den Teilen 1 (Allgemeine Bestimmungen zur Preisbildung), 2 (Zytostatikahaltige und MAK-haltige Lösungen) und 6 (Calcium-/Natriumfolinat-Lösungen) geeinigt.
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Die Hilfstaxe hat mittlerweile eine solche Regelungskomplexität, dass es an der Zeit wäre, das Hochreck im Zuge der nächsten Verhandlung wieder abzubauen, meinen die beiden Medizinrechtler Constanze Püschel und Ulrich Grau.

Seit dem 1. März 2020 liegt der ­Abrechnung aller parenteralen Zu­bereitungen nunmehr wieder eine einheitliche Fassung der Anlage 3 zur Hilfstaxe 2020 (HT 3 2020) zugrunde.

Für den Zeitraum vor dem 1. März 2020 galten zuletzt für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen mit einem onkologischen Anwendungsgebiet die Anlage 3 zur Hilfstaxe vom 1. Oktober 2015 in der Fassung des Beschlusses der Schiedsstelle vom 19./31. Januar 2018 [1] und der Zusatzvereinbarung vom 16. Oktober 2018 gemäß gerichtlichem Vergleich vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg. Für Fertigarzneimittel ohne onkologisches Anwendungsgebiet in parenteralen Zubereitungen galten – mit Ausnahme von Infliximab [2] – die Abschläge des Schiedsspruches samt der Zusatzvereinbarung hingegen nicht [3].

Dieses Auseinanderfallen ist seit dem 1. März 2020 obsolet. Die Vertragsparteien haben Regelungen des Schiedsspruchs aus dem Januar 2018 inkorporiert und korrigiert. Sie haben Regelungen aus der Zusatzvereinbarung vom Oktober 2018 in zum Teil neue, ab dem 1. März 2020 geltende Regelungen gegossen. DAV und GKV-SV haben sich zudem – und das ist wesentlich für den jetzt wieder einheitlichen Anwendungsbereich der HT 3 2020 – darauf verständigt, dass der streitige Auffangabschlag für patentgeschützte Fertigarzneimittel in Höhe von 1,6% für die Zukunft entfällt. Soweit so gut.

Worüber hat man sich verständigt – was ist offen?

Die HT 3 2020 hat einige sowohl die Apotheken als auch die Krankenkassen beschäftigenden Punkte geregelt. Wichtige Fragen sind nach wie vor offen bzw. der nächsten Verhandlungsrunde zwischen DAV und GKV-SV zugewiesen.

Geregelt sind jetzt im Wesentlichen:

  • die zurückreichenden Abschläge für Wirkstoffe und Fertigarzneimittel, die nach dem 1. Februar 2018 und bis zum 29. Februar 2020 neu „generisch“ geworden sind, als neue patentgeschützte Arzneimittel bzw. als neue Biosimilars bzw. deren Referenzarzneimittel im Markt hinzugetreten sind (Anhang 1 und Anhang 2 zu Teil 2 HT 3 2020),
  • die ab dem 1. März 2020 geltenden Abschläge für die vorgenannten Wirkstoffe und Fertigarzneimittel (Anhang 1 und Anhang 2 zu Teil 2 HT 3 2020) und auch für die vom DAV im Juni 2018 gekündigten Wirkstoffe und Fertigarzneimittel,
  • die ab dem 1. März 2020 geltende Aufhebung des 1,6%igen Auffang­abschlages für patentgeschützte Fertigarzneimittel (Ziffer 3.1 Teil 2),
  • das Verfahren zur kurzfristigen Anpassung von Abschlägen für den Fall von patentstreitbedingten Marktveränderungen (Ziffer 4.7 und Ziffer 9 S. 3/4 Teil 2)
  • das neue Verfahren zur Festlegung von zurückreichenden und zukünftigen Abschlägen für neue Arzneimittel, d. h. für neu generisch werdende Wirkstoffe, neue patent­geschützte Fertigarzneimittel, neue Fertigarzneimittel ohne generischen Wettbewerb, neue Biosimilars und deren Referenzarzneimittel, neue Bioidenticals, soweit diese alle ab dem 1. März 2020 neu im Markt hinzutreten (Ziffer 4.1 bis 4.6 Teil 2).
  • die angepassten Kündigungsregelungen für Abschläge zu einzelnen Wirkstoffen, Wirkstoffgruppen oder Fertigarzneimitteln sowie die Option, die Arbeitspreise für die Herstellung von zytostatikahaltigen und MAK-haltigen Lösungen gesondert zu kündigen, um im Falle der Nichteinigung die Schiedsstelle anrufen zu können (Ziffer 9 Teil 2).

Offen sind hingegen nach wie vor folgende Punkte:

  • eine Erhöhung der Arbeitspreise für die herstellenden Apotheken, die den in den vergangenen Jahren erheblichen Kostenanstieg durch veränderte regulatorische Rahmenbedingungen abbildet,
  • eine Neufassung der Verwurfsabrechnungsregeln, die zahlreiche Retaxationen und Einspruchsver­fahren und somit hohen administrativen Aufwand bedeuten,
  • und am wichtigsten angesichts der schon zu Tage getretenen Lieferengpässe für onkologische Wirkstoffe: Regelungen zur kurzfristigen Anpassung der zu gewährenden Abschläge für den Fall, dass die in der Anlage 3 zur Hilfstaxe festgelegte Abschlagshöhe im Falle der Marktverknappung für die Apotheken nicht (mehr) zu erreichen ist.

Wichtige Neuregelungen im Einzelnen

Im Folgenden gehen wir auf einige Änderungen, die die HT 3 2020 für die Apotheken mit sich bringt, näher ein.

1. Abrechnung nicht patent­geschützter Wirkstoffe

Anhang 1 zu Teil 2 Ziffer 2 enthält die Abschläge für 20 nicht patentgeschützte Wirkstoffe. Für vier Wirk­stoffe (Bortezomib, Carmustin, Pemetrexed, Treosulfan) wurden ab dem 1. März 2020 geltende und zurückreichende Abschläge festgelegt, wobei der Abschlag für Carmustin 0% beträgt. Für die anderen 16 Wirkstoffe enthält Anhang 1 die seit dem 1. März 2020 geltenden Abschläge.

Soweit ein generisch verfügbarer Wirkstoff nicht in Anhang 1 ent­halten ist, gilt der 50%ige Auffang­abschlag fort.

Eine Änderung der Abschläge in Anhang 1 kann für die Zukunft nach Kündigung des DAV oder des GKV-SV im Verhandlungsweg fest­gelegt werden.

2. Abrechnung patentgeschützter Wirkstoffe und biotechnologisch hergestellter Wirkstoffe

Systematisch ist klargestellt, dass patentgeschützte Originale, Fertigarzneimittel ohne generischen Wettbewerb bzw. nicht substituierbare Fertigarzneimittel unter die Ziffer 3.1 des Teil 2 und biotechnologisch hergestellte Wirkstoffe bzw. Fertigarzneimittel unter die Ziffer 3.2 Teil 2 fallen.

Anhang 2 enthält für beide Gruppen der vorgenannten Arzneimittel ab dem 1. März 2020 zu gewährende Abschläge. Abschläge unter 1% kommen darin nicht mehr vor. Statt 38 Substanzen sind nunmehr 16 konkrete monoklonale Antikörperpräparate und drei Wirkstoffe mit Abschlägen in den Anhang 2 aufgenommen worden.

Ebenso wie für die nicht patentgeschützten Wirkstoffe sieht Anhang 2 ab dem 1. März 2020 geltende und in sieben Fällen auch zurückreichende Abschläge (mehrere Trastuzumab-Biosimilars, Streptozozin, Zessly®) vor.

Eine Änderung der Abschläge in Anhang 2 kann ebenfalls mit Wirkung für die Zukunft nach Kündigung des DAV oder des GKV-SV im Verhandlungsweg festgelegt werden.

Der von der Schiedsstelle Anfang 2018 festgelegte Auffangabschlag in Höhe von 1,6% fällt seit dem 1. März 2020 auch für die unter Ziffer 3.1 fallende patentgeschützte Originale, Fertigarzneimittel ohne generischen Wettbewerb bzw. nicht substituierbare Fertigarzneimittel weg [4]. Bis zum 29. Februar 2020 bleibt es jedoch für diese Arzneimittel noch beim Auffangabschlag, soweit nicht bislang schon Anhang 2 einen abweichenden Abschlag vorsah.

3. Besondere Regelungen für neue Wirkstoffe ab 1. März 2020

Für ab dem 1. März 2020 neu generisch werdende Wirkstoffe, neue patentgeschützte Arzneimittel, neue Fertigarzneimittel ohne generischen Wettbewerb, neue Biosimilars und neu hinzutretende Bioidenticals gelten besondere Regelungen zur Festlegung eines Abschlages. Die Ziffern 4.1 – 4.6 legen dazu das Verfahren fest.

Die Grundregel lautet: Nach Marktzutritt ab dem 1. März 2020 wird bis zur jeweiligen Vereinbarung über einen Abschlag zwischen DAV und GKV-SV zunächst kein Abschlag gewährt.

Von dieser Grundregel gibt es zwei Ausnahmen: Soweit für einen neu-generisch werdenden Wirkstoff schon ein Abschlag in Anhang 2 Teil 2 festgelegt ist, gilt dieser bis zur Vereinbarung des endgültigen Abschlages zunächst fort. Für ein neu hinzutretendes Bioidentical zu schon in Anhang 2 gelisteten Biosimilars gilt für das neu hinzutretende Bioidentical der Abschlag aus Anhang 2 zunächst ebenfalls fort [5].

Die neuen Abschläge können DAV und GKV-SV entweder auf der Grundlage von Preisabfragen des GKV-SV oder ohne vorgehende Preisabfragen (und somit voraussichtlich zeitnaher zum Markteintrittsdatum) vereinbaren. Gibt es keine Verständigung, ist die Schiedsstelle auf Antrag einer der Vertragsparteien am Zug.

Der Zeitraum bis zu dem der endgültig vereinbarte bzw. festgelegte Abschlag zurückreichen kann, soll nicht länger als 16 Monate – das Schiedsstellen­verfahren nicht eingerechnet – sein. Da für diese mitunter lange Zeit die Apotheken nun doch wieder Rückstellungen bei Marktzutritten ab März 2020 vornehmen müssen, steht zu hoffen, dass sich DAV und GKV-SV häufig, sachgerecht und zügig auf neue Abschläge verständigen können.

Änderungen der auf diesem Weg vereinbarten Abschläge kommen sodann nach Kündigung mit Wirkung für die Zukunft infrage.

4. Schnelle Lösung im Falle von Patentstreitigkeiten in Sicht

Eine relativ unkomplizierte und schnelle Regelung haben DAV und GKV-SV im Falle von Marktaustritten und -eintritten von zunächst bzw. wieder verkehrsfähigen Generika vereinbart: Bleibt nur das Original übrig, ist innerhalb von maximal fünf Werktagen zu klären, ob der in der HT 3 2020 geregelte Abschlag auf das Abschlagsniveau vor Verlust des Unterlagenschutzes anzupassen ist. Andersherum soll ein Abschlag auch wieder aufleben können, wenn mindestens ein weiteres generisches Arzneimittel neben dem Originalpräparat wieder als verkehrsfähig gelistet ist. In diesem Fall gilt die Fünf-Werktage-Regelung zur Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien ebenfalls.

5. Noch weitere zurückreichende Abschläge für Markteintritte ­zwischen dem 1. Februar 2018 und dem 29. Februar 2020?

Unklar ist, ob es zu weiteren Markteintritten im Zeitraum vom 01.02.2018 bis zum 29.02.2020 noch zurückreichende Abschläge zu vereinbaren gibt. Rein vorsorglich haben die Vertragsparteien für solche Substanzen jedenfalls die Fortgeltung der Zusatzvereinbarung vom 16.10.2018 geregelt.

Fazit

Neben den oben schon als „offen“ bezeichneten Punkten steht nach Durchsicht der Neuregelungen jedenfalls auch fest, dass die HT 3 2020 nur noch schwer lesbar ist. Die HT 3 2020 hat mittlerweile eine solche Regelungskomplexität durch Binnenverweise auf z. T. alte Regelungen gewonnen, dass es an der Zeit ist, das Hochreck im Zuge der nächsten Verhandlung wieder abzubauen. |

Fußnoten

[1] Der Schiedsspruch bezieht sich auf § 129 Abs. 5c Satz 2 iVm Satz 4 SGB V und somit auf den Regelungsauftrag, die Fertigarzneimittel mit onkologischem Anwendungsgebiet mit neuem Abschlag zu vereinbaren.

[2] Einzig zu den Infliximab-Präparaten gab es Verhandlungen und nachgehend einen Schiedsstellenbeschluss, obwohl keines der Präparate einen onkologischen Anwendungsbereich hat. Aus diesem Grund bilden die Infliximab-Präparate einen Ausnahmefall des Schiedsspruches.

[3] Streit ist hier u. a. um den Einsatz von Soliris® (Eculizumab), Entyvio® (Vedolizumab) etc. entbrannt. Einige Krankenkassen meinen, den 1,6%igen Auffangabschlag retaxieren zu können, obwohl die genannten Arzneimittel kein onkologischen Anwendungsbiet haben. Einige sozialgerichtliche Verfahren sind schon anhängig.

[4] Für die unter Teil 2 Ziffer 3.2 fallenden ­biotechnologisch hergestellten Wirkstoffe bzw. Fertigarzneimittel war ein Auffang­abschlag von vornherein nicht vorgesehen. Manch eine Krankenkasse hat dies dennoch behauptet und Retaxationen gegenüber Apotheken ausgesprochen.

[5] Das neu hinzutretende Bioidentical muss dazu auch in Anlange 1 des Rahmenvertrages nach § 129 Abs. 2 SGB V aufgenommen worden sein, da es andernfalls kein Bioidentical iSd HT 3 2020 ist.

Autoren

Rechtsanwältin Dr. iur. Constanze Püschel, Fachanwältin für Medizinrecht, Partnerin D+B Rechtsanwälte

Rechtsanwalt Dr. iur. Ulrich Grau, Partner D+B Rechtsanwälte

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