Klinische Pharmazie

Kleine Schritte oder Stagnation?

Ein Gastkommentar

Nun liegt also der dritte „KliPha Check Up“ vor, mit dem der BPhD die Situation der KliPha-Lehre an deutschen Universitäten abbildet, darüber hinaus aber auch die (Un-)Zufriedenheit der Studierenden mit dieser Situation. Viel hat sich nicht getan in den vergangenen fünf Jahren. Es geht in sehr kleinen Schritten voran. In zu kleinen Schritten, wird der Berufsstand sagen. „Seid in der aktuellen bildungspolitischen Lage froh über jede noch so kleine Bewegung“, werden die Universitäten sagen.

Sind wir nicht, können wir auch nicht sein, denn unser angeschlagener Berufsstand braucht Nachwuchs in Gestalt von Menschen, die ApothekerInnen sein wollen und nicht einfach Allgemein-Naturwissenschaftler ohne Bezug zu Patienten und zum Gesundheitswesen. Wenn 45 Prozent der befragten Studierenden nur mäßig zufrieden sind (Note 3 oder 4 von 5) mit dem einzigen Fach, das echten Patientenbezug hat, ist das nach wie vor ein schlechtes Zeugnis für die Unis.

In der Folge meines Beitrags „Der zähe Kampf um die Klinische Pharmazie“ (DAZ 2019, Nr. 39, S. 68) hatte ich einen interessanten Gedankenaustausch mit einem Professor aus dem benachbarten Ausland, der mir seine Probleme mit der Besetzung eines KliPha-Lehrstuhls schilderte. Alle Bewerber, so bemerkte er, seien mit experimentellen, patientenfernen Arbeiten promoviert und habilitiert – und damit „just more of the same“. Das Problem ist nicht neu. Neu ist, dass es von Lehrstuhlinhabern als Problem wahrgenommen wird – zumindest im benachbarten Ausland.

Ein Detail, das die Misere sehr gut illustriert: drei Viertel der Studierenden gaben an, dass die Kommunikation mit Ärzten zu wenig oder gar nicht thematisiert wurde, bei der Kommunikation Apotheker – Patient waren es 45 Prozent. Verallgemeinert heißt die Fragestellung: „Wie vermittle ich mein erlerntes Faktenwissen Menschen, die eine völlig andere Perspektive haben als ich selbst?“ Der amerikanische Psychologe Timothy Leary hat den Begriff des Realitätstunnels geprägt, ein sehr anschauliches Bild: in einem Tunnel stehend, können wir nur wahrnehmen, was innerhalb der Tunnelwände ist, die somit die Grenzen unserer Wahrnehmung bilden. Oft genügt es, einige Schritte zurück aus dem Tunnel herauszutreten, um zu sehen, dass es noch andere Realitätstunnel gibt, den des Arztes, den des Patienten usw. Der ideale Pharmazeut kann von einem Realitäts­tunnel in den anderen wechseln, so wie ein Kind, das mehrsprachig aufgewachsen ist, mühelos von einer Sprache zur anderen wechselt. So kann er jeden Gesprächspartner da abholen, wo er steht. Und das wird ihm beigebracht von einem Professor, der nach Jahrzehnten des Lehrens und (v. a.) Prüfens von der Überzeugung durchwoben ist, sein eigener Realitätstunnel sei der einzig wahre, richtige und akzeptable? Kann das funktionieren?

Wenn wir die Ausbildungsinhalte im Pharmaziestudium als Teile eines Puzzles betrachten, dann ist die Kommunikation im Fach KliPha das Puzzleteil, das die jungen Pharmazeuten mit dem Rest des Gesundheitswesens verbindet. Ohne dieses Missing Link bleiben sie isolierte Partikel des Elfenbeinturms, in dem sie ausgebildet wurden. Und wenn die Unis sagen, dieses Teil des Puzzles sei allein die Aufgabe des dritten Ausbildungsabschnitts, dann do­kumentiert das nur den egozentrischen Isolationismus, der an manchen (nicht allen!) Hochschulen zum Dogma geworden ist.

Hoffnung auf Bewegung kommt von einer ganz anderen Seite. Im Herbst 2019 wurde bekannt, dass das Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) beginnt, sich für das zweite Staatsexamen der Pharmazeuten zu interessieren. Gesetzt den Fall, dies würde zu einer Standardisierung der Fragen und Antworten mit erhöhter Praxisrelevanz im Prüfungsfach KliPha führen, der prüfende Experimentalpharmakologe dürfte also nicht mehr das fragen, was er selbst für relevant hält (basierend auf seiner immensen Erfahrung aus sechs Monaten Patientenkontakt im praktischen Jahr, absolviert irgendwann im 20. Jahrhundert) – was würde dann geschehen? Nun, mit großer Wahrscheinlichkeit würden Eliteuniversitäten wie die LMU München deutlich höhere Durchfallquoten in KliPha produzieren als kleinere Universitäten. Die Blamage der Publikation solcher Daten (eine der nobelsten Aufgaben einer freien Fachpresse) ginge bis auf die Knochen. Und dann würde sich tatsächlich etwas bewegen. Aber wollen wir wirklich so lange warten?

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