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Die Pandemie als psychologische Herausforderung
Buchtipp
„Pandemien sind Ereignisse, bei denen die psychologischen Reaktionen der Bevölkerung auf die Infektion eine wesentliche Rolle sowohl bei der Ausbreitung als auch bei der Eindämmung der Krankheit spielen.“ Das schreibt Steven Taylor, Professor und klinischer Psychologe an der University of British Columbia in Vancouver, Kanada, im einführenden Kapitel seines Buches, das im Oktober 2019 im englischsprachigen Original erschienen ist und seit dem Sommer auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Der Autor hat darin Erkenntnisse zu vielen früheren Pandemien zusammengestellt (z. B. Beulenpest, zwei Russische Grippe-Pandemien, Spanische Grippe, Asiatische Grippe, Hong-Kong-Grippe, HIV/Aids, Schweinegrippe, Zika-Virus-Pandemie). Taylor ging davon aus, dass die nächste Pandemie von einem Influenza-Virus hervorgerufen würde. Die Realität hat – wenige Wochen nach der Veröffentlichung – gezeigt, dass diese Annahme irrig war. Trotzdem bleibt das Buch lesenswert!
Was COVID-19 von früheren Pandemien unterscheidet, ist die in Echtzeit stattfindende Kommunikation über soziale Medien und Internet. Sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse können so ausgetauscht und verbreitet werden wie auch Fake-News und Verschwörungstheorien, die die (teils berechtigten) Ängste der Bevölkerung, aber auch Panik, Diskriminierung und Rassismus verstärken können.
Steven Taylor. Die Pandemie als psychologische Herausforderung – Ansätze für ein psychosoziales Krisenmanagement.
Psychosozial-Verlag, Gießen, 2020, 185 Seiten, broschiert, 19,90 Euro
ISBN 978-3-8379-3035-1
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Taylor befasst sich u. a. mit Persönlichkeitseigenschaften, die für emotionale Verletzlichkeit anfällig machen. Er beschreibt das „Verhaltensimmunsystem“ (VIS), das von Emotionen wie Ekel und Angst angetrieben wird. Dieses Konzept hilft verstehen, warum in Pandemiezeiten Fremdenhass und Stigmatisierungen zunehmen. Das trifft nicht nur Menschen fremder Nationen. Beim Ausbruch von SARS in Taiwan berichtete sogar jeder fünfte Klinikbeschäftigte, von Nachbarn abgelehnt oder stigmatisiert zu werden.
Auch Verschwörungstheorien im Rahmen von Pandemien sind keine neue Erscheinung, denn sie dienen als Erklärungsmuster in bedrohlichen, ungewissen Situationen. So kam während der Spanischen Grippe im Ersten Weltkrieg in den USA das Gerücht auf, Patienten würden von Bayer mit Grippekeimen in Aspirin-Tabletten infiziert. Laut Taylor korreliert die Neigung, an solche Theorien zu glauben, mit diesen Aspekten:
- Misstrauen, magisches Denken, Glaube an das Paranormale
- Narzissmus
- Sorgen über die eigene Gesundheit und Sterblichkeit
- Leichtgläubigkeit und geringere Medienkompetenz, Intelligenz und Bildung
- Ablehnung von wissenschaftlichen Befunden und Theorien zugunsten von Pseudowissenschaften
Der Autor befasst sich auch eingehend mit dem Impfverhalten sowie Faktoren, die ein „Impfzögern“ begünstigen können (Stichwort u. a. Injektionsphobie). Dabei geht es auch um die Frage, ob Pflichtimpfungen generell oder für bestimmte Berufsgruppen sinnvoll sind, um den Infektionsschutz für Risikogruppen zu verbessern. Mit Blick auf die geplanten Modellvorhaben zur Grippeimpfung in Apotheken ein wichtiges Thema!
Das Buch ist auch für psychologische Laien gut verständlich. Diverse Fallberichte aus vergangenen Pandemien sowie der Abgleich von Taylors Prognosen mit der aktuellen Corona-Situation machen es anschaulich und spannend. |
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