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Pharmazie statt Präqualifizierung

Interview mit Kerstin Kemmritz, Kandidatin für die BAK-Vizepräsidentschaft

cm | Es ist Wahlkampfzeit! Zumindest für das Amt als Vize der Bundesapothekerkammer (BAK) haben zwei Kandidatinnen ihren Hut in den Ring geworfen: Ursula Funke aus Hessen und Dr. Kerstin Kemmritz aus Berlin. Die DAZ sprach vor der am 26. November ansteh­enden Wahl mit beiden Bewerberinnen über ihre Positionen zu ­aktuellen gesundheitspolitischen Themen und ihre jeweiligen Ziele für eine mög­liche Amtszeit. Den Anfang macht die Präsidentin der Apo­thekerkammer Berlin, Kerstin Kemmritz.
Foto: Apothekerkammer Berlin

Dr. Kerstin Kemmritz möchte erfahrene Kollegen und „Neulinge“ in der BAK konstruktiv zusammenwirken lassen.

DAZ: Frau Kemmritz, wie kamen Sie zu der Entscheidung, als BAK-Vize­präsidentin zu kandidieren?

Kemmritz: Für uns Apotheker steht derzeit ein großer Wandel an. Wir müssen uns auf die Digitalisierung ebenso einstellen wie auf neue pharmazeutische Dienstleistungen, die es jetzt zu definieren und auszugestalten gilt. Ich sehe in diesen Entwicklungen große Chancen. Um diese zu nutzen, sind wir nun aber dringend gefordert, Ideen und Visionen in die politische Debatte einzubringen, die einerseits die Versorgung der Menschen vor Ort verbessern und andererseits uns in unseren heilberuflichen Kompetenzen stärken. In diesen Prozess möchte ich mich aktiv einbringen und die Pharmazie in den Apotheken wieder in den Mittelpunkt rücken. In der Corona-Krise haben wir gezeigt, was wir alles leisten können, wenn man uns ein Stück weit von den bürokratischen Lasten befreit, die in unserer täglichen Arbeit leider viel zu viel Raum einnehmen. Diesen Schwung sollten wir nutzen, um auf einen Abbau kleinlicher Regulierungen hinzuwirken und stattdessen unsere Fähigkeiten und unser Fachwissen in der pharmazeutischen Betreuung stärker zu be­tonen als bisher.

DAZ: Sie sind noch relativ frisch auf Bundesebene aktiv und galten zuvor eher als Apothekerin, die dem Mainstream kritisch gegenübersteht. Sind Sie eine sogenannte „Protest-Apothekerin“ und verstehen Sie sich als Alternative zum Establishment?

Kemmritz: Ich bin eine leidenschaft­liche Apothekerin mit Herz und Verstand, die gerne Fragen stellt, aber genauso gerne auch nach Antworten und pragmatischen Lösungen sucht. Von daher bin ich mindestens genauso konstruktiv wie kritisch und möchte meine Bewerbung nicht als Kampfkandidatur verstanden wissen. Mein Ziel ist es, Gutes für den Berufsstand zu bewirken. Das geht nur gemeinsam und in Zusammenarbeit mit den etablierten Kräften, in die ich gerne ein bisschen frischen Wind einbringen will. Ich bin überzeugt, dass wir Apothekerinnen und Apotheker wirklich etwas für die Menschen tun können, wenn unsere pharmazeutische Kompetenz gesehen und genutzt wird. Das voranzutreiben, ist mir ein großes Anliegen. Mein Ziel ist es nicht, eine Revolution anzuzetteln, sondern die Leidenschaft, mit der ich die Pharmazie lebe, in die Arbeit der BAK einzubringen. In Berlin haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, wenn erfahrene Kolleginnen und Kollegen und „Neulinge“ konstruktiv zusammenwirken. Ähnliches stelle ich mir für die BAK vor.

DAZ: Wo sehen Sie mit Blick auf die Arbeit der BAK beziehungsweise der ABDA Verbesserungsbedarf?

Kemmritz: Es ist gut, dass wir die zwei Organisationen BAK und DAV unter einem gemeinsamen Dach vereinen und mit der ABDA eine Klammer setzen. Dennoch sehe ich ungenutztes ­Potenzial, was die inhaltliche Zusammenarbeit betrifft. Die pharmazeutisch-fachliche Expertise der BAK und die wirtschaftliche Kompetenz des DAV sollten stärker ineinandergreifen als bisher. Wenn die BAK zum Beispiel einen Katalog mit neuen pharmazeutischen Dienstleistungen erstellt hat, könnte sie ihn doch einfach direkt dem DAV vorlegen, der ein Preisschild draufklebt. Neben der Effizienz der Arbeit sollten wir auch dringend die Geschwindigkeit erhöhen. Wir können froh sein, uns selbst verwalten zu dürfen, müssen aber in Zeiten, in denen sich die Welt auch bedingt durch die Digitalisierung schneller dreht, als wir es gewohnt sind, aufpassen, nicht abgehängt zu werden und wichtige Entwicklungen zu verpassen, wenn wir in den Gremien zu lange diskutieren. Der dritte Punkt, den ich angehen möchte, ist das Thema Transparenz. Da müssen wir wieder näher ran an die Basis und klar kommunizieren, was wir für den Berufsstand tun. Das ist nämlich sehr viel mehr, als momentan bei den Apothekerinnen und Apothekern ankommt.

DAZ: Könnte dazu auch die geplante Strukturanalyse der ABDA beitragen?

Kemmritz: Absolut. Es geht bei der Analyse ja nicht darum, die ABDA als Institution grundsätzlich infrage zu stellen, sondern zu prüfen, wie sich die Arbeit der Standesvertretung effizienter gestalten lässt. Die Mitgliedsorganisationen waren aufgerufen, Verbesserungsvorschläge einzubringen, und das haben wir getan. Die Kammer Berlin hat sieben Fragestellungen sowie Thesen zur Haushaltsstruktur eingereicht. Leider weiß ich noch nicht, was aus unseren Anregungen geworden ist, aber ich bin sehr ­gespannt darauf, was die Analyse ergeben wird.

Foto: Apothekerkammer Berlin

Leidenschaftliche Apothekerin mit Herz und Verstand – Dr. Kerstin Kemmritz stellt zwar gerne Fragen, doch genauso gerne sucht die Kammerpräsidentin von Berlin nach Antworten und pragmatischen Lösungen, verrät sie im Interview mit der DAZ.

DAZ: Was sind Ihre konkreten inhalt­lichen Ziele?

Kemmritz: An erster Stelle stehen für mich die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen, wobei neu daran vor allem die Etablierung als Leistung der Krankenkassen ist. Seit mehreren Jahrzehnten versuchen wir, sie zu etablieren – auch wenn sie früher „pharmazeutische Betreuung“ oder „pharmaceutical care“ genannt wurden. Jetzt macht uns der Gesetzgeber den Weg frei, sie endlich durchzusetzen. Auch wenn der Honorartopf viel zu klein ist, sollten wir die Gelegenheit nutzen, um den Wert unserer Arbeit für die Menschen spürbar zu machen, indem wir die Gesundheit und Lebensqualität vieler Menschen noch nachhaltiger als bisher verbessern und damit verlässlich zur Gesundheitsver­sorgung beitragen. Mit mehr wertgeschätzter und eben auch entsprechend hono­rierter Pharmazie wird auch der Apothekerberuf insgesamt wieder attraktiver.

„Mein Ziel ist es nicht, eine Revolution anzuzetteln, sondern die Leidenschaft, mit der ich die Pharmazie lebe, in die Arbeit der BAK einzubringen.“

Dr. Kerstin Kemmritz

DAZ: Die ABDA hält mit ihren Vorschlägen für neue pharmazeutische Dienstleistungen derzeit noch hinter dem Berg. Halten Sie das für die richtige Strategie?

Kemmritz: Nein. Um diese Leistungen Politik, Verbänden und Patienten schmackhaft zu machen, sollten wir raus aus der Deckung und klar kommunizieren, mit welchen Angeboten wir dazu beitragen können, die Gesundheitsversorgung in Deutschland zu verbessern. Ich verstehe die Sorge, dass der GKV-Spitzenverband in den Verhandlungen blockieren könnte. Wenn wir aber unsere Konzepte in der Politik und in der Öffentlichkeit aktiv vorstellen, könnte uns dies insgesamt Rückendeckung geben, die wir sicher brauchen werden. Dass ich in Berlin lebe, könnte für unsere politische ­Arbeit dabei übrigens zum Standortvorteil werden. Ich muss nicht erst ­anreisen, sondern habe kurze Wege und kann dadurch schnell und flexibel reagieren, wenn kurzfristig der Austausch mit Abgeordneten oder ­Verbänden nötig wird.

DAZ: Welche Dienstleistungen wünschen Sie sich?

Kemmritz: In einem vom Berliner Kammervorstand initiierten Workshop, zu dem auch einige recht junge Kolleginnen und Kollegen eingeladen waren, haben wir intensiv diskutiert, welche Angebote wir den Kassen und ihren Versicherten machen können. In diesem Zuge haben wir einen Katalog entwickelt, der die Dienstleistungen in drei Kategorien einteilt: Stufe eins kann jede Apotheke sofort und ohne zusätzliche Schulung erbringen, zum Beispiel ein Follow-up-Gespräch, wenn jemand ein neues Arzneimittel verschrieben bekommen hat. Wenn der Apotheker eine Woche nach dem Ansetzen eines neuen Blutdrucksenkers den Patienten anruft und sich erkundigt, wie er mit dem Arzneimittel zurechtkommt und ob der Blutdruck durch die Einnahme tatsächlich gesunken ist, könnte man damit die Thera­pietreue des Versicherten und das Outcome bestimmt in vielen Fällen verbessern.

DAZ: Und Stufe zwei?

Kemmritz: In Stufe zwei sehen wir Leistungen, die zeit- und arbeitsintensiver sind als in Stufe eins und für die möglicherweise eine Fortbildung erforderlich ist, wie etwa für die ­Medikationsanalyse. Dafür muss es dann natürlich auch mehr Geld geben als für Stufe-eins-Angebote. Stufe drei beinhaltet spezielle Leistungen, die wohl nicht mehr jede Apotheke erbringen kann oder will. Ein Beispiel wären Impfungen, auch wenn diese im Grunde keine pharmazeutischen Dienstleistungen mehr sind, sondern medizinische.

DAZ: Das Drei-Stufen-Konzept erinnert an ein Positionspapier des Bundesverbands der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD) aus dem vergangenen Jahr …

Kemmritz: Das ist kein Zufall. Die Kolleginnen und Kollegen vom BPhD haben an dem Workshop, in dem wir unser Konzept entwickelt haben, auch teilgenommen und haben ihren Entwurf auf dieser Diskussion aufgebaut.

DAZ: Offenbar haben Sie großes persönliches Interesse daran, die Nachwuchsapotheker in ihre Arbeit ein­zubinden. Wollen Sie das auch in der BAK umsetzen?

Kemmritz: Ja, unbedingt! Ich schätze den Austausch mit dem Nachwuchs sehr. Wenn wir jetzt die Weichen für die Zukunft stellen, sollten wir darauf achten, auch die jungen Pharmazeutinnen und Pharmazeuten mitzunehmen. Für viele ist der Arbeitsplatz Apotheke nicht mehr reizvoll, weil sie sich mit Präqualifizierung, Retaxationen und anderen bürokratischen ­Hürden herumschlagen müssen. Das sollten wir dringend ändern. Ich bin leidenschaftliche Apothekerin und ­liebe meinen Beruf, aber auch mir wird es manchmal zu viel und ich kann ab­solut nachvollziehen, dass frisch ­Approbierte ernüchtert sind von der Arbeit in einer öffentlichen Apotheke. Auch aus diesem Grund brauchen wir weniger Bürokratie und mehr Pharmazie in den Betrieben. Dass das geht, haben nicht zuletzt die Corona-Sonderregelungen bis hin zum Aut-simile-Austausch gezeigt, die ich als immense ­Erleichterung verstehe und die wir ­daher unbedingt erhalten müssen!

ABDA-Wahlen 2020

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DAZ: Wie wollen Sie die Studierenden und ihre Vorstellungen einbinden in die BAK-Arbeit?

Kemmritz: Ich könnte mir vorstellen, einen Beirat zu etablieren, an dem auch Vertreter des BPhD beteiligt sind. Zudem wäre es denkbar, an dieser Stelle Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis einzubeziehen – auch solche, die sich in Foren und auf den Webseiten der Fachmedien oft kritisch zur Arbeit der BAK und der ABDA äußern.

DAZ: Über ein Thema müssen wir noch sprechen: die Grippeschutzimpfung in der Apotheke. In Nordrhein und im Saarland laufen die Modellprojekte – sicher auch beflügelt durch die Coronavirus-Pandemie – gut an. Wie ist der Stand in Berlin? Warum gibt es noch keine entsprechende Vereinbarung in der Hauptstadt?

Kemmritz: Die Apothekerkammer Berlin hat alle notwendigen Vorbereitungen getroffen, damit auch in Berlin Modellprojekte zur Grippeschutzimpfung starten können. Die Schulungsunterlagen liegen in der Schublade und wir haben Ärzte gefunden, die uns dabei unterstützen. Die Berufs­ordnung haben wir ja schon vor etlichen Monaten angepasst und damit klargestellt, dass Grippeimpfungen in der Apotheke berufsrechtlich möglich sind. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts können wir jedoch im Rahmen dieses Modellprojekts nach der gesetzlichen Regelung keine konkreten Verträge verhandeln. Wenn uns jemand als Kooperationspartner für die Schulungen wählt, stehen wir aber natürlich dafür bereit. Alles andere liegt nicht in unserer Hand. Ich hoffe sehr, dass bald auch die Apotheken in der Hauptstadt Grippeimpfungen anbieten können.

DAZ: Frau Dr. Kemmritz, vielen Dank für das Gespräch. |

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