Praxis

Erfolgreicher Auftakt

Wie läuft die Versorgung von Patienten mit Hämophilie-Arzneimitteln in den Apotheken?

Von Jessica Geller | Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) wurde der Grundstein für die Versorgung von Patienten mit Hämophilie-Arzneimitteln auf dem Apotheken-Vertriebsweg gelegt. Insgesamt sind zum Stichtag der Rechtskräftigkeit keine größeren Probleme aufgetreten – die Apotheken waren gut auf diese neue Aufgabe vorbereitet. Das zeigt sich auch beim Rückblick auf die ersten beiden Monate.

Nach einjähriger Übergangsfrist war die im August 2019 beschlossene Änderung des § 47 Arzneimittelgesetz (AMG) zum 1. September 2020 in Kraft getreten. Seitdem dürfen die für die Behandlung von Hämophilie-Erkrankungen benötigten Therapeutika ausschließlich über Apotheken in Verkehr gebracht werden. Die bis dato für diese spezielle Arzneimittelklasse geltende Ausnahme vom Apotheken-Vertriebsweg wurde ersatzlos gestrichen. Patienten und Patientinnen erhalten nun ihre Gerinnungsfaktor-Präparate nicht mehr direkt von den behandelnden Fachärzten, sondern auf dem für verschreibungspflichtige Arzneimittel üblichen Wege – in der Apotheke.

Rund 10.000 Betroffene

Von dieser Gesetzesänderung sind allerdings nicht alle öffentlichen Apotheken unmittelbar betroffen. Aktuell sind rund 8500, meist männliche, Patienten freiwillig im Deutschen Hämophilieregister des Paul-Ehrlich-Instituts gelistet. Generell ist die Prävalenz der Erkrankungen in Deutschland relativ gering. Aktuelle Schätzungen gehen von einer Gesamtzahl von etwa 10.000 Betroffenen aus. Demnach ist nicht zu erwarten, dass jede der derzeit rund 19.000 Apotheken aktiv in die Versorgung mit Hämophilie-Therapeutika eingebunden sein wird. Es ist jedoch für die beteiligten Apotheken erforderlich gewesen, bereits vor dem ersten September über sämtliche anstehenden Änderungen informiert zu sein. Nur so konnten gegebenenfalls notwendige Vorkehrungen rechtzeitig getroffen werden.

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Trotz verändertem Vertriebsweg werden die Hämophilie-Patienten in den Apotheken weiterhin gut versorgt.

Kühl(ketten)pflichtige Fertigarzneimittel

Auch wenn es sich bei Hämophilie-Arzneimitteln grundsätzlich um gewöhnliche Fertigarzneimittel handelt, sind einige Besonderheiten bei dieser Warengruppe zu beachten. Es handelt sich bei den Faktorpräparaten zumeist um kühlpflichtige oder sogar kühlkettenpflichtige Arzneimittel, welche außerdem sehr hochpreisig sind. Hier könnten Fehler im Umgang mit der Ware also zu nicht unerheblichen wirtschaftlichen Folgen sowie Einbußen bei der pharmazeutischen Qualität der Arzneimittel führen. Alleine diese hohen Anforderungen könnten gerade bei kleineren Apotheken außerhalb eines einkommensstarken Filialverbunds zu Problemen führen. Des Weiteren schreibt die Apothekenbetriebsordnung in § 17 Abs. 6a vor, dass zum Zwecke der Rückverfolgung jede Abgabe dieser Arzneimittel zu dokumentieren und eine schnellstmögliche Rückmeldung an die behandelnden Ärzte zu leisten ist. Diese Rückmeldung ist notwendig, da die verordnenden Ärzte auch weiterhin nach § 14 des Transfusionsgesetzes dazu verpflichtet sind, jede erfolgte Arzneimittelanwendung von Hämophilie-Patienten genauestens zu dokumentieren.

Dokumentieren und melden

Außerdem wird auch die Meldung an das Deutsche Hämophilieregister weiterhin durch die Ärzteschaft vorgenommen. Neben einer speziellen Software für die Datenübermittlung zwischen Apotheke und Arztpraxis dürfte daher auch die Durchführung von Mitarbeiterschulungen im Vorfeld für einen reibungslosen Ablauf sinnvoll gewesen sein.

Neben diesen administrativen Herausforderungen musste zunächst auch der Kontakt zu betroffenen Patienten und Patientinnen hergestellt werden. Auch wenn es sich bei der Abgabe von Arzneimitteln um die Kernkompetenz des Apothekerberufs handelt, spielte diese Berufsgruppe bislang für die Hämophilie-Versorgung eher eine untergeordnete Rolle. Neu ist für die Patienten nicht nur der nun zusätzlich notwendige Weg in die Apotheke, sondern auch die zu leistende Zuzahlung je verordneter Packung. Dies dürfte vielerorts zu Beratungs- und Erklärungsbedarf geführt haben. Zentraler stellte sich den Patienten jedoch die Frage, ob die gewohnte Therapie trotz bevorstehender Änderungen qualitativ mindestens gleichwertig bleiben wird. Insbesondere die Versorgung in Notfallsituationen, in welchen es für Hämophilie-­Patienten schnell um Leben und Tod geht, verzeiht keine Verzögerungen oder Fehler. Die Umstellung eines solch kritischen Versorgungsweges muss somit jederzeit lückenlos funktionieren.

Die Notfallzentrale des Verbands der Hämophilie-Apotheken (VHA) ist für Patienten und Patientinnen durchgehend unter der (08 00) 4 10 71 00 zu erreichen. Medizinisches oder pharmazeutisches Fach­personal kann unter der (08 00) 3 37 22 55 Hilfe bei Hämophilie-Notfällen anfordern.

Neuer Verband will Apotheken Hilfestellungen bieten

Um die beteiligten Apotheken von Beginn an bestmöglich auf diese Aufgabe vorbereiten zu können, wurde zum 25. Mai 2020 der Verband der Hämophilie-Apotheken (VHA) gegründet. Dieser Verband, um die Vorsitzende Claudia Neuhaus und den zweiten Vorsitzenden Dirk Düvel, hat es sich zum Ziel gemacht, die Versorgung der Hämophilie-Patientinnen und -Patienten bestmöglich sicherzustellen. Hierzu wurden bereits in der Übergangsphase bis zur Rechtskräftigkeit der Gesetzesänderung diverse Informationsveranstaltungen für Apotheken angeboten. Mehr als 60 Apotheken (Stand: Oktober 2020) haben sich dem Berliner Verband seit seiner Gründung bereits angeschlossen. Laut VHA seien gerade auch durch den engen Kontakt mit den Vereinsmitgliedern sowie den Landesapothekerverbänden die Vorbereitungen sehr erfolgreich verlaufen. Auch Apotheken, die dem Verband nicht angehören, seien rechtzeitig mit allen notwendigen Informationen versorgt worden. Die erfolgreiche Zusammenarbeit mit allen involvierten Stellen sei auch trotz der derzeitigen Pandemie möglich gewesen, sodass es bei der Vorbereitung der Apotheken zu keinen nennenswerten pandemiebedingten Problemen kam.

Insgesamt zieht der Verbandsvorstand einen Monat nach Inkrafttreten des Gesetzes ein positives Resümee. Einzig zum Stichtag der Gesetzesänderung sei es in wenigen Apotheken kurzzeitig zu Beschaffungsproblemen bei den Hämophilie-Arzneimitteln gekommen. Dies sei den Computersystemen der Herstellerfirmen geschuldet gewesen, bei welchen es grundsätzlich zu Verzögerungen von rund 48 Stunden bei Neuanlage eines Kundenstamms komme. Die Versorgung der Patienten dauerte also in diesen Fällen einmalig einige Tage länger. Es gebe aber auch auf Hämophilie-Präparate spezialisierte Pharmagroßhändler, durch welche der Bedarf stets kurzfristig gedeckt werden könne.

Notrufzentrale rund um die Uhr einsatzbereit

Hinsichtlich der Ängste und Unsicherheiten der Patienten und Patientinnen berichtet der VHA, dass bereits eine eigene Hämophilie-Notrufzentrale durch den Verband unterhalten werde, welche jeden Tag rund um die Uhr besetzt sei. An diese Zentrale angeschlossen seien jeweils ein Notfall-­Depot in Berlin und eines in Hamburg. Ferner verfügen einige Mitgliedsapotheken zusätzlich über eigene Notfalldepots. Durch diese Strukturen seien im ersten Monat auch bereits zwei Notfälle erfolgreich behandelt worden. Demzufolge wird also auch weiterhin die Notfall-Betreuung von Hämophilie-Patienten sichergestellt – unabhängig von der Änderung des Vertriebsweges.

Die Übernahme des Hämophilie-­Arzneimittelvertriebs durch die Apotheken begreift der VHA als Entlastung der bislang in diesem Bereich tätig gewesenen Ärztinnen und Ärzte. Hier fallen künftig keine Tätigkeiten zur Warenbeschaffung und -lagerung mehr an. Nicht nur von diesem zeitlichen Zugewinn in den Praxen, sondern auch von den zusätzlichen fachkundigen Ansprechpartnern in der Apotheke sollen die Patienten letztlich profitieren. Der VHA sieht die Rück­holung des Vertriebs der Faktorpräparate in die Apotheke somit für alle Beteiligten als Chance an, deren Auftakt allem Anschein nach sehr erfolgversprechend verlaufen ist.

Spezialisierung einzelner größerer Apothekenverbunde

Hinsichtlich der Frage, in welcher Relation die nun durch die Apotheken zu tragenden wirtschaftlichen Herausforderungen dieser temperaturempfindlichen, teuren Arzneimittel zu dem erhofften Zusatznutzen der Gesetzesänderung stehen, beruft sich der VHA auf den Kontrahierungszwang nach der Apothekenbetriebsordnung. Die Frage der Rentabilität stelle sich demnach nicht.

Ob jedoch wirklich jede Apotheke drohenden Retaxationen in diesem Kontext gewachsen sein kann, bleibt zu bezweifeln. Aktuell ergibt sich vielmehr das Bild einer Spezialisierung einzelner größerer Apothekenverbunde auf diese Warengruppe. Durch die überschaubaren Patientenzahlen und den vielerorts gut etablierten Botendienst ist eine potenzielle Unterversorgung allerdings eher unwahrscheinlich. Wie sich der Markt weiterhin entwickelt und ob in diesem Zuge wieder neue Herausforderungen auf die Apothekerschaft zukommen, wird sich in Zukunft zeigen. |

Autorin

Jessica Geller, Apothekerin, Wissenschaftliche Angestellte im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Bundesopiumstelle

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