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Praxis

Versorgung am Lebensende

Wie können sich Apotheker einbringen?

Die Palliativversorgung hat sich in ihrer vierzigjährigen Geschichte von einer Fünf-Bettstation in Köln zu einem dichten Netz aus ca. 300 Palliativstationen, rund 1500 ambulant tätigen Teams, über 200 Hospizen und aktuell über 10.000 „Palliativmedizinern“ entwickelt. Auch Apothekerinnen und Apotheker können sich mit ihrer Fachkompetenz für Arzneimittel und deren Anwendung in die Versorgung von Patienten am Lebensende einbringen und Teil eines Netzwerkes in der Palliativmedizin werden. Das Pharmaziestudium gibt einem durch seine Lehrinhalte das notwendige Rüstzeug an die Hand, der Berufsalltag das distributive Know-how. | Von Christian Redmann

Bevor man sich als Apothekeninhaber auf die „Palliativpharmazie“ einlässt, steht zunächst die Gewissensfrage nach den zugrunde liegenden Motivationen. Ist es persönliches Interesse, sind es betriebswirtschaftliche Überlegungen oder ist die Suche nach einem Alleinstellungsmerkmal ausschlaggebend?

Die Palliativpharmazie berührt viele Teilgebiete unseres Berufs und kann dabei sehr fordernd und äußerst vielfältig sein. Fachlich wird man mit speziellen Fragestellungen konfrontiert, wie z. B. der Mischbarkeit von Infusionsbestandteilen oder Arzneimittelgebrauch außerhalb ihrer Zulassung (Off-Label-Use), die im normalen Apothekenalltag eher selten vorkommen. In organisatorischer Hinsicht erfordert die Palliativpharmazie ein funktionierendes Botendienstmanagement und großes Engagement aller Beteiligten, wenn z. B. ein 24-Stundenbereitschaftsdienst im Rahmen einer Hospizbelieferung vereinbart wurde oder die ambulante Patientenversorgung innerhalb kurzer Zeit erfolgen muss.

Betriebswirtschaftlich ist die Palliativversorgung ein Bereich, der erst mittel- und langfristig Früchte trägt, dafür aber von Anfang interessant ist und spannend bleibt. Der interessierte Pharmazeut sollte aus diesem Grund, Freude an der Beschäftigung mit pharmakologischen Problemen, Empathie und Mitgefühl für Patienten und Angehörige mitbringen, denn dies gehört ebenso zu den Voraussetzungen wie die erhöhte Leistungsbereitschaft. Es ist also für den Apothekeninhaber essenziell, dass er den Grad und den Umfang seiner Beteiligung früh genug festlegt: Ist er für die Versorgung mit Arznei- und Hilfsmitteln verantwortlich oder will er „umfassender“ versorgen (z. B. durch das Herstellen von Schmerzinfusionen oder im Rahmen einer erweiterten Hilfsmittelversorgung)?

„Ein weites Feld …“

Um sich einen Überblick zu verschaffen, sollte der Interessent zunächst am Zertifikatskurs „Palliativpharmazie“ teilnehmen, der seit Jahren von Apothekerverbänden angeboten wird. In diesem Kurs vermitteln erfahrene Referenten Praxisinhalte und Schwerpunkte der palliativen Versorgung. Darüber hinaus werden auch seelsorgerische und psychologische Aspekte angesprochen, die in der palliativen Versorgung im Umgang mit Angehörigen und Patienten, aber auch für die eigene Verarbeitung, eine wichtige Rolle spielen und denen man unweigerlich begegnen wird.

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Früh genug sollte man den Umfang seiner Beteiligung an der Palliativversorgung festlegen – entweder „nur“ eine Bereitstellung von Arznei- und Hilfsmitteln oder die um­fassendere Versorgung mit z. B. dem Herstellen von Schmerzinfusionen.

Eine Teilnahme an der einmaligen Weiterbildung reicht nicht aus, jeden Aspekt der Palliativmedizin kennenzulernen, sodass die regelmäßige Beschäftigung mit Themen aus dem palliativen Umfeld notwendig ist. Dabei sind die Fort- und Weiterbildungen auch vom jeweiligen Spezialisierungsgrad der Apotheke abhängig. In jedem Fall sollten Fortbildungen zu Schmerztherapie, Neben- und Wechselwirkungen, Analgetika und Koanalgetika besucht werden, um über aktuelles Beratungswissen zu verfügen. Das Fort- und Weiterbildungsangebot der jeweiligen Apothekerkammer eignet sich als Leitfaden. Ergänzend können Intensivfortbildungen zur Betreuung von Tumorpatienten oder Wundmanagement besucht werden, die das Beratungsspektrum sinnvoll erweitern.

Die Kenntnis der Wirkprofile gängiger Arzneistoffe innerhalb der palliativen Therapie sowie symptomorientierte (auch nicht medikamentöse) Therapiemöglichkeiten sind Zusatzkompetenzen, mit denen der Apotheker bei der Zusammenarbeit mit Therapeuten und der Beratung von Angehörigen und Patienten die Position als kompetenter Ansprechpartner stärken kann und sollte. Dies sollte sich auch innerhalb der Apotheke im Team widerspiegeln. Für nicht-approbierte Mitarbeiter gibt es Fortbildungen ähnlichen Inhalts – wobei es sicher sinnvoll ist, in herstellungsintensiven Apotheken Fortbildungen im Bereich der Rezeptur zu besuchen. Auch hier gibt es regelmäßige Angebote der Apothekerkammern.

Bereichsweiterbildungen in Geriatrischer oder Onkologischer Pharmazie sowie die Weiterbildung zum Medikationsmanager (Bayrisches Modell, AMTS, Athina-Apotheker) sind zwar nicht notwendig, erleichtern aber längerfristig die interdisziplinäre Arbeit mit (Fach-)Ärzten und Pflegeeinrichtungen und tragen generell auch in der pharmazeutischen Betreuung zum allgemeinen Therapieverständnis nicht-palliativer Patienten bei. In jedem Fall erhöhen sie die Beratungskompetenz des Einzelnen und können somit als zusätzliches Herausstellungsmerkmal der jeweiligen Vor-Ort-Apotheke dienen.

Ein wiederkehrender Versorgungsaspekt ist die Notwendigkeit, für palliative Patienten Lösungen in Form von individuellen Rezepturen zu finden. Dies bedeutet im Einzelfall in eingängigen Nachschlagewerke oder Onlinedatenbanken, Informationen über, z. B. Stabilität, Inkompatibilitäten oder der galenischen Machbarkeit einzuholen. Der Aufwand hierbei ist variabel und es empfiehlt sich, besondere Rezepturen in der Apothekensoftware zu speichern bzw. die Lösung galenischer Probleme in der Apotheke zu hinterlegen. Für eine immer größer werdende Zahl von Arzneistoffen existieren mittlerweile Handreichungen oder auch Rezepturvorschriften, so z. B. für Klassiker wie Morphingele, -suspensionen oder Omeprazol-Zäpfchen. Sind in der einschlägigen Literatur, z. B. im DAC/NRF, keine Vorschläge zu finden, ist der Apotheker gefordert in wissenschaftlichen Datenbanken selbst zu recherchieren (siehe Tabelle 1).

Tab. 1: Wichtige Datenbanken für die Recherche
PubMed für wissenschaft­liche Publikationen
pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Stabilis – Stabilität und Verträglichkeit (Infundierbarkeit) von Arzneimitteln
Fortbildungen im Bereich Hospizarbeit/Palliative Care
Amino-Datenbank, AG der deutschen Arzneimittel­informationsstellen
Kompetenzzentrum Palliativpharmazie mit Zentralstelle Off-Label-Use und Arzneimittelinformation Palliativmedizin

Fertigt man Zytostatika-Lösungen oder Schmerzmittel-Lösungen an, so sind speziellere Kenntnisse zur Infundierbarkeit gängiger Arzneimittel notwendig, u. a. zu den Problematiken von (In-)Kompatibilitäten, Photo- und Thermosensibilität von Wirkstoffen sowie physikalischen und chemischen Wechselwirkungen innerhalb der Infusionen. Mittlerweile kann man auch hier auf stetig größer werdende Datenbanken zurückgreifen.

Kostenpflichtige Zugänge zu Online-Datenbanken sind in der Regel nicht notwendig. Komplexere Sachverhalte können bei den Arzneimittelinformationsdiensten der Apothekerkammern oder bei in der Palliativpharmazie versierten Kollegen zeitnah erfragt werden.

Was sich auf den ersten Blick vielleicht erschlagend und abschreckend anhört, soll nur verdeutlichen, dass die Palliativpharmazie „ein weites Feld“ darstellt und viele für die öffentliche Apotheke neue Teilbereiche berührt. Um Wissen zu erhalten und zu erweitern, mag es hilfreich sein, speziellere Ergebnisse (Rezepturanweisungen, Bezugsquellen, interessante Artikel zum Thema, gelöste Fragestellungen) in einem eigenen Ordner zu sammeln und somit zu­künftig für das Apothekenteam verfügbar zu halten. So generiert sich im Lauf der Zeit ein individueller Wissensfundus, der ausgebaut und vertieft werden kann.

Dimensionen und Grenzen der Versorgung

Wie bereits angedeutet, ist die Beteiligung innerhalb eines Palliativ-Netzwerkes in Ausmaß und Intensität durchaus variabel und individuell gestaltbar, sodass man keine Sorgen haben muss, mit Anforderungen konfrontiert zu werden, die man fachlich oder organisatorisch nicht leisten kann.

Ist man zum Beispiel ohnehin in der Zytostatika-Herstellung tätig, so können mit relativ wenig Aufwand auch PCA-Pumpenbeutel (patient-controlled analgesia) hergestellt werden – das Know-how und die Anforderungen gleichen sich ebenso wie die Problematiken.

In der Praxis ist es durchaus so, dass Patienten über ihre Stammapotheken weiterhin mit Arznei- und Hilfsmitteln versorgt werden können, eine speziellere Versorgung mit Infusionen oder (par-)enteraler Ernährung von einer anderen – darauf spezialisierten Apotheke oder Einrichtung – stattfindet.

Das Patientenrecht der freien Apothekenwahl gilt auch im Rahmen der Palliativversorgung und muss beachtet werden. Bei Heimpatienten ist Heimversorgung in der Praxis durch Apotheken mittels Heimversorgungsverträgen geregelt. Dieses Vertragsverhältnis soll auch in palliativer Situation nicht gestört werden.

Bei Heimpatienten am Lebensende übernimmt die heimversorgende Apotheke im Rahmen ihrer Möglichkeiten die palliative Betreuung, wobei auch hier weitere Versorger beteiligt werden können. Um Missstimmungen in der Kollegenschaft zu vermeiden, soll die Belieferung durch eine Apotheke „von außen“ nur in Ausnahmefällen und nach vorheriger Rücksprache mit dem Patienten oder der jeweiligen Apotheke erfolgen. Eine bereits existierende Heimversorgung – ebenso wie die Versorgung eines Hospizes – stellt explizit keine Vorbedingung für das palliative Engagement dar.

Lieferfähigkeit und Schnelligkeit – das richtige Warenlager

Neben der fachlichen Kompetenz ist die Versorgung mit Arzneimitteln in angemessenem Zeitrahmen ein ebenso wichtiger Aspekt. Das Warenlager muss diesbezüglich den Anforderungen der Teams der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) Rechnung tragen. Es ist empfehlenswert am Beginn der Palliativversorgung zunächst das Gespräch mit den Verantwortlichen der lokalen SAPV zu suchen, sich und die Apotheke vorzustellen und im Gesprächsverlauf nach einer „Hausliste“ zu fragen oder gemeinsam zu erarbeiten (siehe Tabelle 2). Dies ergibt darüber hinaus verschiedene Vorteile:

  • Menge und Umfang können rational geplant werden (Stärke, Firmen, Packungsgrößen)
  • Investitionen werden kalkulierbar
  • es besteht eine Verfügbarkeitsgarantie für SAPV-Teams und Patienten
  • eine anlaufende Versorgung kann beschleunigt werden
Tab. 2: Orientierungsvorschlag vorrätig zu haltender Arzneimittel in der ambulanten Palliativversorgung (nach Dr. Klaus Ruberg 2012, modifiziert durch AAPV-Netzwerke 2012/13), unten angefügt eigene Ergänzungen aus der Praxis (Dr. Redmann 2020)
Präparat
Darreichungsform
Pck.-Größe
Indikation
Butylscopolamin 20 mg
Lösung (Ampulle)
5 Stück
Rasselatmung, Hypersalivation
Dexamethason 8 mg
Lösung (Ampulle)
5 Stück
Hirndruck, Schwäche, Anorexie, Antiemese
Tablette
20 Stück
Dimenhydrinat 150 mg
Suppositorien
10 Stück
Übelkeit
Dimenhydrinat 62 mg
Lösung (Ampulle)
5 Stück
Haloperidol 5 mg
Lösung (Ampulle)
5 Stück
Übelkeit, Delir
Midazolam 5 mg/ml
Midazolam 15 mg/3 ml
Lösung (Ampulle)
5 Stück
Unruhe, Atemnot, Sedierung, Anxiolyse
Morphin 10 mg/20 mg
Lösung (Ampulle)
10 Stück
Schmerzen, Atemnot
Morphin 2-ig %
Tropfen
50 ml
Schmerzen, Atemnot
Kochsalzlösung 0,9%
Infusion
10 × 250 ml
Trägerlösung
Flüssigkeitszufuhr
Tavor expidet 1,0 mg
Täfelchen
50 Stück
Unruhe, Atemnot, Sedierung
Präparat
Darreichungsform
Pck.-Größe
Indikation
Fentanyl 100 µg
Sublingualtablette
30 Stück
Schmerzen
Fentanyl 12,5 µg/25 µg/50 µg
Pflaster
5 Stück
Freka-Clyss
Lösung (Klistier)
einzeln
Verstopfung
Glucose 5%
Infusion
10 × 250 ml
Trägerlösung
Loperamid
Tablette
10 Stück
Durchfall
Novaminsulfon
Tropfen
50 ml
Schmerzen
Tablette
50 Stück
Lösung (Ampulle)
5 Stück
Ondansetron 4 mg
Sublingualtablette
6 Stück
Übelkeit

Obwohl Apotheker verpflichtet sind, einen gewissen Bedarf gängiger Arzneimittel vorrätig zu halten (vgl. hierzu § 15 ApoBetrO) und der Vorratshaltung von Betäubungsmitteln zur Versorgung von Palliativpatienten im Notdienst vor einigen Jahren besondere Beachtung geschenkt wurde, sollte man sich nach Rücksprache mit den SAPV-Teams auch mit speziellen in der Palliativmedizin benötigten Medizinprodukten und Hilfsmitteln bevorraten.

Bei allem Idealismus muss stets ein Kompromiss zwischen Wirtschaftlichkeit, dem Bedarf vor Ort und der Inanspruchnahme des Botendienstes im Auge behalten werden.

Der Botendienst muss klar und zuverlässig geregelt werden und flexibel genug geplant sein, um auch kurzfristige oder entferntere Belieferungen zu ermöglichen. Hierzu muss der Apothekenleiter zusammen mit dem SAPV-Team überlegen, wie hoch das Lieferaufkommen ist, in welchem Umkreis er die Versorgung übernehmen kann oder will und ob seine Personalkapazitäten dazu ausreichen.

Zusammen ist man weniger allein

In der Palliativversorgung gibt es keine Einzelkämpfer. Palliativmedizin bedeutet ein intensives Teamwork, das durch wertschätzenden, interdisziplinären Austausch zwischen allen Beteiligten Parteien charakterisiert wird und die Arbeit innerhalb eines Palliativ-Netzwerkes auch besonders macht: Fachlicher Austausch findet auf Augenhöhe statt und berücksichtigt die jeweiligen Kompetenzen jeder Netzwerkkomponente zugunsten des Patientenwohls. Dies kann gerade in der heutigen Zeit für Apotheker eine Möglichkeit sein, die Systemrelevanz unseres Berufs nochmals praktisch – sowohl als Fachkompetenz vor Ort als auch als Versorger – unter Beweis zu stellen. |

Autor

Dr. Christian Redmann, Apotheker und Inhaber der Stadt-Apotheke Ebermannstadt, Promotion am Institut für Geschichte der Pharmazie der Philipps-Universität zu Marburg

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