Aus den Ländern

Interdisziplinäres Diskutieren über Arzneimittellieferengpässe

5. Landeskongress Gesundheit Baden-Württemberg in Stuttgart

eda | Parallel zur Fachmesse „Medizin“ und zum Kongress der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg fand der 5. Landeskongress Gesundheit Baden-Württemberg am vergangenen Freitag in den Stuttgarter Messehallen statt. Vertreter der Ärzteschaft, Verbände und Krankenkassen referierten und diskutierten zu aktuellen Themen aus den Bereichen Krankenhausversorgung, Notfallmanagement und Zukunftsperspektiven. Die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg stellte im Rahmen der anschließenden World-Café-Foren die Problematik rund um die Arzneimittellieferengpässe dar.

„Gesundheit ist Ländersache“ – ein Satz, den man immer dann hört, wenn sich Politiker und Minister auf Bundesebene nach Ansicht von Vertretern aus den Bundesländern zu sehr in die Angelegenheiten der Gesundheitsversorgung vor Ort einmischen. Mit Jens Spahn (CDU) amtiert aktuell ein sehr eifriger Bundesgesundheitsminister, der mit seinen zahlreichen Gesetzesentwürfen viele Regelungen im Gesundheitsbereich in Kraft treten lässt, die unweigerlich die Interessen der Länder tangieren.

„Zentralismus macht mich frösteln“

Manne Lucha von den Grünen, Sozialminister Baden-Württemberg, konnte sich in seiner Eröffnungsrede beim 5. Landeskongress Gesundheit in Stuttgart daher nicht verkneifen, immer wieder einige Seitenhiebe in Richtung Bundesregierung auszuteilen. Lucha ließ zwar durchblicken, dass er die fleißige Arbeit des Ministers durchaus anerkenne, doch da, wo es um die Kompetenz und Hoheit der Länder ginge, sollte es auch nach wie vor Ländersache bleiben: „Der Zentralismus dieser Gesetze macht mich frösteln.“ Außerdem würden die vielen Gesetze aus dem Hause Spahn vor allem periphere Themen behandeln. Die „wirklich harten Brocken“ hätte er bisher nicht angepackt.

Das Gesundheitssystem streng aus dem Blickwinkel eines Landespolitikers wie Lucha klammert unweigerlich Themen aus, die tatsächlich in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes liegen, wie zum Beispiel das Apothekenwesen. So lag der Fokus in den ersten vier Stunden der Veranstaltung vor allem auf Krankenhausversorgung, integrierte Notfallversorgung oder Landarztpraxen.

Wirklich das „beste“ Gesundheitssystem der Welt?

Prof. Dr. Ferdinand M. Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, zeigte auf, dass man die Behauptung „Deutschland hat das beste Gesundheitssystem“ mindestens relativieren müsse. Die EU-Kommission hat 2019 ein „Länderprofil Gesundheit“ veröffentlicht und aufgezeigt, dass das deutsche System überdurchschnittlich viel kosten würde und nur zu einer durchschnittlichen Lebenserwartung führen würde. Es gebe zwar nur geringe Selbstbeteiligungen in Form von Zuzahlungen und sehr kurze Wartezeiten auf Facharztter­mine, doch gleichzeitig würde dieser Umstand auch zu einer hohen Inanspruchnahme der Leistungen führen, weil ein effektives Gatekeeping-System fehlen würde. Dazu kommen eine unzureichende Koordination zwischen den Fachrichtungen und Sektoren sowie Defizite in der Digitalisierung. Deutsche Patienten liegen länger und häufiger im Krankenhaus – im EU-Vergleich gibt es 60 Prozent mehr Krankenhausbetten. Laut Gerlach verfügt Deutschland über keinen Ärzte­mangel. Es gebe für die Versorgung aller Patienten eigentlich genug Mediziner, doch seien diese an falschen Stellen im System positioniert, was unweigerlich zu höheren Kosten führen würde. So gebe es nur zwei Facharztrichtungen (Allgemein- und Hausarzt), die eine Art Gatekeeping durchführen könnten, während die mehr als 70 Spezialisierungen der ärztlichen Tätigkeit dazu führen würden, dass Patienten durch ungelenkte Inanspruchnahme höhere Kosten für das System auslösen. Gerlachs vorsichtige Schätzung: Pro Jahr kommt es durchschnittlich zu 29 Arztkontakten pro Einwohner.

Lauterbach: Mehr Ärzte braucht das Land

In vielen Punkten stimmte Prof. Dr. Karl Lauterbach seinem Vorredner Gerlach zu. Doch der Gesundheitsökonom und Bundestagsabgeordnete der SPD hat bekanntlich ganz eigene Ansichten, die er auch den Besuchern des Landeskongresses nicht vorenthalten wollte. Lauterbach will durch die Einführung einer Bürgerversicherung das solidarische System der GKV auch auf Beamte, Selbstständige und Gutverdienende ausweiten, die sich aktuell zu einem großen Teil in privaten Versicherungsverhältnissen befinden. Die Beiträge sollen dann nicht nur aus den Einkommen gewonnen werden, sondern auch auf Miet-, Zins- und ­Kapitaleinkünfte erhoben werden. Bis zur Einführung dieses Krankenkassenmodells favorisiert er die GKV und prophezeit ihr – im Gegensatz zur PKV – auch in Zeiten eines wirtschaftlichen Abschwungs Beitragssatzstabilität, dank Umlageverfahren.

Auch für die Zukunft des eigenen, ärztlichen Berufsstandes vermittelte Lauterbach Optimismus. Digitalisierung und künstliche Intelligenz in der Medizin würden zu großen Fortschritten führen. Gleichzeitig fände aber auch eine Verkomplizierung und Segmentierung aller Fachbereiche statt. Als Beispiel nannte er die Onkologie. Durch die immer genauere und detailliertere Spezifizierung von Tumoren müsste es für jede einzelne Art Experten geben – unabhängig davon, ob Dia­gnoseverfahren zukünftig mit Künstlicher Intelligenz arbeiten oder nicht. Mehr als 5000 Mediziner müssten es seiner Meinung nach sein, die pro Jahr zusätzlich ausgebildet oder ins Land gelassen werden. Mit den aktuellen Hochschulstandorten wäre das nicht umsetzbar. Zur Info: In diesem Jahr wird die Zahl der in Deutschland praktizierenden Ärzte voraussichtlich die Marke von 400.000 knacken.

LAK thematisiert Lieferengpässe

Beim anschließenden World-Café, einer Workshop-Methode, bei der an mehreren Tischen über verschiedene Themen diskutiert wird, brachte die Landesapothekerkammer (LAK) Baden-Württemberg die Arzneimittellieferengpässe auf die Tagesordnung. Unter dem Titel „Arzneimittelversorgung – der Engpass von morgen?“ gab es insgesamt drei Möglichkeiten zu diskutieren. Am ersten Tisch stand als Experte Dr. Karsten Diers, Geschäftsführer der LAK, bereit, und stellte zur Diskussion, ob „teure und anfällige Technik“ sowie „noch mehr Vorschriften“ ein Risiko für die Arzneimittelversorgung darstellen würden. Ein weiterer Tisch präsentierte die Situation im ländlichen Raum. Es ging um die Frage, was die Ursachen und die Lösung für den Rückgang der Apothekenzahl sein könnten. Rede und Antwort stand Dr. Michael Kunkel, ehrenamtlicher Pharmazierat und Inhaber der Stadt-Apotheke in Titisee-Neustadt. Schließlich durfte man sich am dritten Tisch mit Vertretern der AOK Baden-Württemberg mit der Frage auseinandersetzen, ob die Verlagerung der Pharmaindustrie ins Ausland für Liefer- und Versorgungsengpässe hierzulande verantwortlich ist.

Silke Laubscher, Vizepräsidentin der LAK, zog ein durchweg positives Fazit. Das Thema Arzneimittellieferengpässe könne man zwar auch im Rahmen des World-Café des Landeskongresses nicht abschließend erörtern, doch seien wichtige Aspekte genannt und diskutiert worden. Die Apotheken würden täglich alles dafür tun, drohende Versorgungsengpässe zu verhindern. Versandhandel könne das nicht leisten. Doch politisch müssten die Rahmenbedingungen zunehmend verbessert und verändert werden. Die rückläufige Zahl der Apotheken wäre vor allem auf dem Land zu spüren und hier müsste der Gesetzgeber mit konkreten Maßnahmen gegensteuern. |

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