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Management
Den eigenen Stärken auf der Spur
Aus der Coaching-Praxis: Mit Kernfragen die Ressourcen entdecken und gezielt nutzen
Die Frage: „Was sind meine Stärken?“ lässt sich gar nicht so leicht beantworten. Ganz oben auf der Liste stehen die beruflichen Qualifikationen und die fachlichen Schwerpunkte, es kommen Softskills dazu, wie Teamfähigkeit und Organisationstalent, aber dann gerät das Brainstormen meist schon ins Stocken. (Nicht zuletzt, weil in unseren Köpfen Eigenlob immer noch stinkt und Bescheidenheit eine Zier ist, aber das nur am Rande.) Unter Druck oder Stress fordern die unterschiedlichen Herausforderungen volle Aufmerksamkeit, es wird zunehmend schwieriger, den Blick auf die vorhandenen Kompetenzen zu richten.
Mit der Bewusstheit über Stärken wird der eigene, leichtere Weg zum Ziel gefunden.
Dass im Coaching die Bewusstheit über die eigenen Stärken eine besondere Stellung einnimmt, zeigt schon die Vielzahl der Methoden, die bei der Stärkensuche unterstützen. Ob Appreciative Inquiry, Lösungsfokussiertes Interview nach der Milwaukee-Schule oder andere – immer geht es um die Entdeckung der eigenen Ressourcen und deren gezielte Nutzung. Beim Klienten wird durch das methodische Vorgehen ein Ressourcenzustand installiert. Mit der Bewusstheit über Stärken wird der eigene, leichtere Weg zum Ziel gefunden und nicht die holprige Strecke eingeschlagen, die andere vorgeben. Die folgenden Kernfragen tauchen bei den unterschiedlichen Vorgehensweisen immer wieder auf.
? Was läuft gut und soll auf jeden Fall so bleiben?
Wenn in einem Bereich des Lebens ein Problem auftritt, fordert dieses unsere Aufmerksamkeit. Das Bild, das wir selbst von unserem Leben haben, unsere Realität, ist in einem erheblichen Maß davon abhängig, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Richten wir die Aufmerksamkeit auf das Problem, wird es in unserer Realität immer größer und größer und größer. Wir werden blind dafür, dass in anderen Lebensbereichen alles gut läuft. Wenn es an Unterstützung oder Kraft mangelt, dann sollten wir den Blick auf diese Lebensbereiche richten. Die Beantwortung der obigen Frage macht in vielen Fällen das Problem zahnloser, weil wir uns selbst nicht so sehr darin verbeißen.
In der Positiven Psychologie ist von Charakterstärken die Rede, die Menschen stabilisieren, ihnen ein gutes Gefühl geben und besonders in Krisenzeiten dazu beitragen, dass sie wenigstens teilweise zuversichtlich bleiben. Dazu gehören Dankbarkeit und Großzügigkeit. Wenn wir die schönen Kleinigkeiten erkennen, Menschen zu schätzen wissen, die uns begleiten, wird Dankbarkeit zur Stärke.
? Was fällt Ihnen leicht?
Wenn ich im Coaching diese Frage stelle, folgt darauf meist die Gegenfrage: „Im beruflichen Kontext oder was ist gemeint?“ Gemeint ist wirklich alles, was Ihnen einfällt, aus welchem Zusammenhang auch immer. Zu dieser Aufzählung gehört Stricken genauso wie Surfen oder Stapler fahren. Auf den ersten Blick haben diese Fähigkeiten meist nichts mit der Aufgabe zu tun, die Sie gerade zu lösen versuchen. Eine Dechiffrierung ist nötig. Damit einem beispielsweise Stricken leichtfällt, ist u. a. eine gute Feinmotorik, das Auge fürs Detail und strukturiertes Arbeiten nötig. Die Kompetenzen zu erkennen, die eine Tätigkeit leicht werden lassen, ist der Clou an dieser Frage.
? Was schätzen andere an Ihnen?
Falls es Ihnen schwerfällt, diese Frage zu beantworten: Eine Möglichkeit ist, im Freundeskreis und in der Familie, vielleicht sogar im Rahmen eines Mitarbeitergesprächs zu fragen, was andere an Ihnen schätzen. Wahrscheinlich sind Sie erstaunt und bekommen positive Rückmeldungen, die Sie nicht erwartet hätten. Wenn es Ihnen unangenehm ist zu fragen, dann achten Sie darauf, zu welchen Themen Sie immer wieder befragt werden. In welchem Bereich sind Sie Experte? Seien Sie auch sensibel für Komplimente. Wofür werden Sie gelobt? Meist schenken wir positiven Feedbacks im Alltag keine weitere Beachtung und wischen sie mit einer lockeren Handbewegung weg. Wir finden unsere Leistung gar nicht so herausragend, aber die anderen eben schon. Außenstehenden fällt es viel leichter, die Stärken des Gegenübers zu erkennen, weil sie sie nicht für selbstverständlich erachten.
? Was macht Ihnen Spaß? Worüber freuen Sie sich?
Das, was wir gerne machen, kann etwas sein, was uns leichtfällt. Es kann auch das genaue Gegenteil sein, etwas, was unser Interesse oder unseren Ehrgeiz weckt. Überlegen Sie, was Ihre Lieblingsbeschäftigungen und Lieblingstätigkeiten sind. Was ist es genau, was Sie fasziniert, und zu welcher Stärke gehört es?
Fähigkeiten, Eigenschaften, Kompetenzen oder Ressourcen gehören zu Ihren individuellen Stärken, auf die Sie jederzeit Zugriff haben.
? Was schätzen Sie selbst an sich?
Bei einem gedanklichen Sprung in die Vergangenheit werden Sie über die eine oder andere Herausforderung stolpern, die Sie in Ihrem Leben schon gemeistert haben. Jeder hat seine eigene Art, mit Unwägbarkeiten umzugehen. Wie haben Sie das geschafft? Sicher konnten Sie auf eine Menge an Fähigkeiten, Eigenschaften, Kompetenzen oder Ressourcen zurückgreifen. All das gehört zu Ihren individuellen Stärken, auf die Sie jederzeit Zugriff haben. Es gibt sicher auch Ereignisse, die für andere gar nicht so wichtig waren, aber auf die Sie besonders stolz sind. Etwas, mit dem Sie sich im Nachhinein sehr wohlfühlen. Mit welcher Ihrer Kernkompetenzen steht es im Zusammenhang?
Stärkenprofil erstellen
Nach diesen Fragen, deren Beantwortung u. U. eine intensive Recherche erfordern kann, sollte die Liste der individuellen Stärken um einiges länger geworden sein. Kompetenzen sind neu entdeckt oder wieder ins Bewusstsein befördert worden. Die Stärken, die Ihnen am besten gefallen, sollten Sie mental mit einem Sternchen versehen und versuchen, sie häufiger zu nutzen bis hin zum routinierten Einsatz. Dadurch ergibt sich Ihr eigenes Stärkenprofil.
Mehr Respekt für die Schwächen!
Trotz aller Fragen und Methoden fällt es einigen Klienten viel leichter, ihre Schwächen aufzuzählen, anstatt ihre Stärken zu benennen. Manche fordern das Gespräch über die Schwachstellen regelrecht ein mit der Begründung, dass Schwächen nun mal dazugehören. Stimmt, die Betrachtung von Schwächen ist interessant, aber im Coachingkontext auf eine andere Art, als der Klient vermutet. Es geht nicht darum, die nächste Selbstoptimierungsstrategie auszutüfteln und seine Defizite durch radikales Training auszumerzen. Es geht darum, der vermeintlichen Schwäche mit etwas mehr Respekt zu begegnen. Ob eine Eigenschaft eher als Stärke oder Schwäche gewertet wird, hängt von der Situation ab. Eine Eigenschaft ist im Kontext zu betrachten, denn die meisten Schwächen waren in einem anderen Moment eine absolute Stärke. Zurückhaltung ist ein schönes Beispiel. Ist das eher eine Stärke oder eine Schwäche? Als Kellner – in einem Restaurant mit angenehmem Ambiente und gehobener Küche – ist ein dezentes Auftreten wahrscheinlich ein Plus, hingegen beim ersten Date mit der Traumfrau zu unscheinbar zu wirken, ist vermutlich nicht so glücklich.
Wenn Sie eine Schwäche als störend empfinden, sollten Sie einen Gedanken daran verschwenden, in welcher Situation diese Schwäche Ihnen schon einmal Tür und Tor geöffnet hat. Und sollte es Ihnen viel leichter fallen, Ihre Schwächen zu benennen, dann sammeln Sie diese, aber betrachten Sie jede konsequent unter dem Aspekt: Es könnte eine Stärke sein. |
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