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Gesundheitspolitik
Auch für DocMorris gilt das Heilmittelwerberecht
EuGH: Mitgliedstaaten haben eigenen Spielraum, um Arzneimittelwerbung zu begrenzen
Das im Oktober 2016 ergangene Urteil des EuGH, demzufolge sich EU-Versender nicht an die Arzneimittelpreisverordnung halten müssen, sitzt den Apotheken noch immer tief im Nacken – mag inzwischen auch ein Rx-Boniverbot für den GKV-Bereich gelten. Nun haben die Luxemburger Richter ein Urteil gesprochen, das aufatmen lässt. Denn sie halten das heilmittelwerberechtliche Verbot von Werbegaben, die keine geringwertigen Kleinigkeiten sind, durchaus für mit europäischem Recht vereinbar. Das heißt: Auch DocMorris & Co. dürfen nicht gänzlich ungehemmt um die Gunst der deutschen Verbraucher buhlen.
BGH: Von Beratung in stationärer Apotheke weggelockt?
Der BGH hatte vom EuGH eigentlich wissen wollen, ob die europäischen Bestimmungen zur Arzneimittelwerbung eine Anwendung des § 7 Abs. 1 HWG auf den Gewinnspiel-Fall entgegenstehen. Er machte in seinem Vorlagebeschluss durchaus deutlich, dass er in der Werbeaktion von DocMorris die Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung sieht: Patienten könnten verleitet sein, bei einer in- oder ausländischen Versandapotheke statt bei einer stationären Apotheke, die eine objektiv benötigte Beratung leisten könne, ihr Arzneimittel zu beziehen. Allerdings enthält die Richtlinie 2001/83, die das Arzneimittelrecht in der EU weitgehend harmonisiert, keine speziellen Vorschriften über die Werbung für ein Arzneimittel in Form einer Verlosung. Zudem gibt es das Urteil des EuGH vom 19. Oktober 2016, wonach es den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Versandapotheken nicht versagt werden kann, mit den Vor-Ort-Apotheken in Deutschland in einen Preiswettbewerb zu treten. Dies sei unter anderem nötig, argumentierten die Luxemburger Richter damals, um auszugleichen, dass die Versender keine individuelle Beratung der Patienten vor Ort leisten könnten. Wie ist vor diesem Hintergrund also eine Anwendung des heilmittelwerberechtlichen Zugabeverbots zu sehen?
AKNR: Verbraucherschutz vor Konzerninteressen
„Ein kleiner Schritt für die Apothekerkammer Nordrhein, aber ein großer Schritt für die Versorgungssicherheit der Menschen mit Arzneimitteln“ – so wertet die Apothekerkammer Nordrhein das von ihr erwirkte Urteil. Es sei ein „Sieg für den Verbraucherschutz“. „Einigen Menschen ist möglicherweise nicht bewusst, wie unverzichtbar und wichtig die Apotheke vor Ort ist oder im späteren Leben für sie werden kann“, erklärte Kammerpräsident Dr. Armin Hoffmann in einer Pressemitteilung. Zu leichtfertig lösten sie Rezepte bei Versendern im EU-Ausland ein – angelockt durch Prämien, Bonuspunkte oder die Teilnahme an Gewinnspielen. Was dabei auf dem Spiel steht, ist ihnen dabei nicht klar. Dabei sei es zum Schutz der Gesundheit des Patienten unerlässlich, dass bei einer ärztlichen Verordnung auch ein Apotheker als Experte für pharmazeutische Fragen im direkten Kontakt mit dem Patienten eine umfassende Beratung bieten kann. Immer wieder komme es vor, dass Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln oder andere Fragen der Unverträglichkeit im direkten Gespräch beantwortet und gesundheitliche Probleme gelöst werden können – teils, bevor sie überhaupt entstehen. Dieser Service sei durch ein Logistik-Unternehmen kaum zu gewährleisten. Für Hoffmann zeigt das Urteil, dass der EuGH den Verbraucherschutz über die wirtschaftlichen Interessen von Konzernen stelle.
EuGH: Kein Fall für den Humanarzneimittelkodex
Der EuGH führt in seinem Urteil zunächst aus, dass eine Werbeaktion wie die vorliegende gar nicht in den Anwendungsbereich der werberechtlichen Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 fällt. Sie gelte nur, wenn es um bestimmte Arzneimittel gehe, nicht aber, wenn wie hier, ein ganzes Sortiment betroffen ist. Doch damit ist nicht Schluss – denn der EuGH hat durchaus die Aufgabe, dem nationalen Gericht, das ihn anruft, „eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens zweckdienliche Antwort zu geben“, wie es im Urteil heißt.
Beschränkte Warenverkehrsfreiheit?
Und so stellt der EuGH im Weiteren fest, dass mangels einer harmonisierten EU-Regelung die Mitgliedstaaten selbst zuständig sind, wenn sie Gewinnspiele im Zusammenhang mit dem Verkauf von Arzneimitteln im Versandhandel regeln wollen. Dabei hätten sie „insbesondere die im AEU-Vertrag verbürgten Grundfreiheiten zu beachten“.
Und da ist im vorliegenden Fall an den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Warenverkehr zu denken – beide Grundfreiheiten könnten eingeschränkt sein. Hier sei der freie Warenverkehr aber die entscheidende, so die Richter. Denn das Heilmittelwerbegesetz betreffe nicht die Ausübung der Tätigkeit der Apotheker oder die Dienstleistung des Versandhandels als solche. Vielmehr regle das Gesetz eine bestimmte Form der Werbeaktion für angebotene Arzneimittel.
DocMorris: Rx-Boni bleiben unberührt
DocMorris kommentierte die Entscheidung mit einem Verweis auf das EuGH-Urteil von 2016, das Rx-Boni von EU-Versendern für zulässig befand. Der EuGH stelle im aktuellen Urteil klar, dass dieses die frühere Entscheidung nicht berühre. „Damit dürfen Rx-Boni von EU Versandapotheken aus Sicht des EU-Rechts weiterhin gewährt werden“, betont DocMorris. Hier sieht man sich nun sogar bestärkt, „dass die Festschreibung des Bonusverbots im SGB V durch das Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOASG) europarechtswidrig ist“.
Deutsche Apotheken genauso betroffen
Ist das Verbot von Werbegaben nun also eine Maßnahme, die den freien Warenverkehr so sehr behindert wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung? Dafür gibt es klare Maßstäbe im Europarecht. Unter anderem ist in der Rechtsprechung klar: Die Einschränkung bestimmter Verkaufsmodalitäten behindert den innereuropäischen Handel nicht derart, wenn diese Maßnahmen „für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren“. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, versperren sie nicht den Marktzugang für diese Erzeugnisse oder behindern ihn nicht mehr als dies für inländische Erzeugnisse der Fall ist.
Hier stellt der EuGH fest, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind. So gelte das Heilmittelwerbegesetz unterschiedslos für alle Apotheken, die in Deutschland Arzneimittel verkaufen – unabhängig davon, ob sie in der Bundesrepublik Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind.
Kurzum: Weder der EU-Arzneimittelkodex noch Art. 34 AEUV, der das Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung regelt, stehen der Anwendung des Heilmittelwerberechts im vorliegenden Fall entgegen.
Kein Widerspruch zum Urteil von 2016
Ausdrücklich stellt der EuGH in seinem Urteil klar, dass dieses Ergebnis auch nicht im Widerspruch zum Urteil vom 19. Oktober 2016 stehe: Das Verbot von Gewinnspielen zur Förderung des Verkaufs von Arzneimitteln habe für die Versandapotheken nämlich wesentlich geringere Auswirkungen als das absolute Verbot eines Preiswettbewerbs, um das es seinerzeit ging. Damit kann der Bundesgerichtshof nun seine abschließende Entscheidung über ein an eine Rezepteinlösung gekoppeltes Gewinnspiel treffen.
(Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 15. Juli 2021, Rs. C-190/20) |
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