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Wirtschaft
„Wir waren keine Gestalter, sondern Verhinderer. Das hat sich gewandelt!“
Ende 2021 löst sich das Health Innovation Hub (hih) auf – eine Bilanz
AZ: Herr König, die Amtszeit von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) neigt sich dem Ende zu. Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens hat er viel ins Rollen gebracht. Mit den Auswirkungen wird sich nun seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger befassen müssen. An welchen Stellen muss er oder sie nach Amtsantritt rasch tätig werden?
König: Es wird in erster Linie darum gehen, den vorgezeichneten Fahrplan einzuhalten. Spahn ist mit sehr viel Energie und Durchschlagskraft an das Thema herangegangen. Er hat sich vor dem Minenfeld nicht gescheut, sondern ist mitten hindurch gelaufen. Die Frage ist nun, ob das Ministerium dieser Linie treu bleibt oder es unter neuer Führung wieder einen Knicks vor der Selbstverwaltung macht und in einen Tiefschlaf verfällt, was die Digitalisierung betrifft.
AZ: Sehen Sie diesbezüglich denn Gefahr? Eigentlich steht ja in allen Wahlprogrammen drin, dass die Parteien – insbesondere die möglichen Beteiligten an einer Ampel-Koalition – die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorantreiben wollen.
König: Während der Amtszeit von Herrn Spahn war das Ministerium zum Beispiel mit Gottfried Ludewig und Christian Klose und deren Team personell so aufgestellt, dass es in dieser Angelegenheit ein echtes Momentum gab. Dieser Geist ist unmittelbar von bestimmten Köpfen abhängig. Man wollte wirklich etwas bewegen – ob sich das in der kommenden Legislaturperiode so fortsetzen wird, werden wir sehen.
AZ: Hat Spahn während seiner Amtszeit auch Themen liegen gelassen?
König: Was noch offen ist, ist die angekündigte Rechtsverordnung, in der insbesondere Fragen zu Schnittstellen geklärt werden sollen, die auch für das E-Rezept wichtig sind. Darauf warten vor allem die Software-Hersteller, Gematik und Plattformen jetzt schon sehr lange und je nachdem, wie diese Verordnung ausgestaltet sein wird, kann es sein, dass die Unternehmen Millionen von Euro an den falschen Stellen investiert haben. Das ist schade, denn es gab ja gar keine neuen Erkenntnisse, diese Verordnung hätte man schon früher erlassen können.
Eine andere Sache ist das Versandhandelsverbot mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (RxVV). Dass Herr Spahn das RxVV, das ja sogar im Koalitionsvertrag verankert ist, nicht umgesetzt hat, wurde auch innerhalb des Ministeriums sicher kontrovers diskutiert. Letztlich war es aber eine persönliche Entscheidung: Für Spahn passte das RxVV einfach nicht mehr in diese Zeit. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, wie viele Visionen er für uns Apotheken hatte: Mit den pharmazeutischen Dienstleistungen hat er das Thema bezahlte Beratungsleistung platziert, in Sachen Grippeimpfung hat er sich gegen den Widerstand der Ärzteschaft und unserer Standesvertretung durchgesetzt und auch zum Beispiel bei der Befüllung der elektronischen Patientenakte (ePA) hat er uns mitgedacht, inklusive Honorar. Gerade das wird für uns noch sehr wichtig werden, denn die ePA soll das zentrale Tool in der digitalen Gesundheitsversorgung werden.
AZ: Auch während der Pandemie haben die Apotheken neue Aufgaben übernommen, oft sehr kurzfristig und fernab ihres Kerngeschäfts. Was bleibt davon übrig?
König: Wir haben ganz besonders mit unserer Initiative beim Ausstellen digitaler Impfzertifikate Eindruck im Ministerium hinterlassen. Als ich vor drei Jahren zum hih nach Berlin kam, hat die Politik mit den Apothekern nicht mehr viel gesprochen, weil die ABDA permanent auf der Bremse stand. Wir waren keine Gestalter, sondern Verhinderer. Das hat sich gewandelt – wir verlassen diese Legislaturperiode mit dem Eindruck, dass Apotheken digitale Aufgaben in der Fläche umsetzen können und in diesem Bereich viel stärker eingebunden werden sollten. Das hat auch mit dem neuen Stil zu tun, den Gabriele Regina Overwiening als ABDA-Präsidentin mitbringt. Es ist schade, dass wir die Früchte jetzt nicht mehr mit dem Ministerium in der aktuellen Besetzung ernten können, aber davon wird sicherlich etwas hängen bleiben.
AZ: Ist es also folgerichtig, jetzt mit GEDISA eine eigene Gesellschaft der Apothekerverbände zu gründen, die das Thema Digitalisierung vorantreiben soll?
König: Ich weiß nicht, ob wir dafür eine eigene Gesellschaft brauchen, die viel Geld kostet – insbesondere weil wir ja schon die NGDA als wirtschaftende ABDA-Tochter haben. Es fällt mir schwer zu beurteilen, ob es da wirklich nur um Digitalisierung geht, oder ob man aus internen standespolitischen Gründen im Spannungsfeld ABDA, DAV, BAK und AVOXA mit ihren Töchtern ein weiteres Vehikel schaffen musste. Bei mir bleibt das Gefühl, dass es in dieser viel zu komplexen Struktur nicht nur um die Apotheke vor Ort, sondern auch um den Selbsterhalt geht. Ich bin gespannt, ob die Ergebnisse eines externen Gutachtens hier umgesetzt werden. Unabhängig davon ist es wichtig, dass wir nun stärker in die Digitalisierung investieren.
AZ: Muss so etwas denn tatsächlich aus dem Berufsstand kommen? Oder wäre privatwirtschaftlicher Wettbewerb die bessere Alternative?
König: Wir können natürlich nicht alles aus der Hand geben. Aber wenn wir merken, dass wir sehr spät dran sind und stark begrenzte Mittel haben, sollten wir über strategische Partnerschaften nachdenken. Um uns am Markt auch gegen große Player behaupten zu können, müssen wir zwingend Kooperationen eingehen.
AZ: Mit seiner Web-App als alleinige Lösung ist der DAV seinerzeit gescheitert, die Gematik hat ihre eigene Anwendung entwickelt. Was ist davon zu halten?
König: Zunächst einmal war es wichtig, dass der DAV versucht hat, sich einzubringen. Das war auch ein Signal an die Politik: Wir sind präsent und machen etwas, das schnell einsetzbar ist. Intern ist es schwer zu kommunizieren, dass die Web-App nicht wie erhofft als alleinige Lösung ausgewählt wurde, deren Entwicklung aber dennoch wichtig und eine gute Entscheidung war.
Bei der Gematik-App gab es einen wichtige Entwicklungsprozess. Zum Beispiel hat man einen „Schalter“, der in der ursprünglichen Version noch zu finden war – Versand oder vor Ort – wieder entfernt. Da hat man gut zugehört, und zwar nicht nur den Verbänden, sondern auch den potenziellen Anwendern. Die Verantwortlichen haben sich den Markt sehr genau erklären lassen mit all seinen Risiken und Chancen und während der Entwicklungsphase viele Hinweise berücksichtigt. Mit dem Ergebnis kann auch die ABDA zufrieden sein.
AZ: Wo sehen Sie im Zuge der Digitalisierung weitere Chancen für die Apotheken, sich einzubringen?
König: Ein Beispiel sind die Digitalen Gesundheitsanwendungen, kurz DiGA. Viele Hersteller hätten sich gewünscht, dass die Apotheken den Anwendern beratend zur Seite stehen. Bei den Impfzertifikaten konnten wir eindrucksvoll demonstrieren, dass es mit dem Apothekennetz hierzulande mehr als 18.000 Betriebsstätten gibt, die die Menschen vor Ort in Sachen Digitalisierung unterstützen können. Unsere Erklärer-Rolle ist dabei sehr gut angekommen. Leider hat die ABDA die Gelegenheit verstreichen lassen, die Apotheken auch bei der Beratung der Versicherten zur Gematik-App zu platzieren. Angedacht war, dass die Offizinen beim Freischalten der App helfen könnten und so etwas wie ein Post-Ident-Verfahren anbieten. Bei der Gelegenheit hätte man den Kunden ja auch gleich zeigen können, wie sie zum Beispiel ihre Stammapotheke in der Anwendung festlegen. Die Standesvertretung hat aber abgelehnt mit der Begründung, das sei keine pharmazeutische Aufgabe. Da wurde meiner Meinung nach eine große Chance vertan.
AZ: Erst kürzlich haben die Gesellschafter der Gematik einen Beschluss gefasst, wonach die Telematikinfrastruktur (TI) ein Update erfahren soll. In der sogenannten TI 2.0 soll es zum Beispiel keine Konnektoren mehr in Praxen und Apotheken geben und auch die Karten, SMC-B und HBA, spielen dann kaum noch eine Rolle. Ist der Zeitpunkt für solch einen Beschluss nicht ungünstig gewählt? Immerhin müssen sich die Heilberufler jetzt erst mal mit der Hardware anfreunden, und das fällt vielen nicht leicht …
König: Der Zeitpunkt für diesen Beschluss ist sicher nicht ideal, aber durch die auslaufende Legislatur zeitlich notwendig gewesen. Er ist grundsätzlich richtig und notwendig, denn das Konnektoren-System kostet viel Geld. Wenn in der nächsten Ausbaustufe nicht nur Praxen, Krankenhäuser und Apotheken, sondern weit mehr Gesundheitseinrichtungen angebunden werden sollen, wird das richtig teuer. Wir brauchen diesen Umbau also dringend. Und Datensicherheit lässt sich auch auf anderem Wege herstellen als über Karten und Konnektoren. Um das neue System aufzubauen, braucht es jedoch Zeit – deswegen war der Beschluss in dieser Phase sicherlich kommunikativ schwierig, aber leider notwendig.
AZ: Hand aufs Herz: Kommt das E-Rezept zum 1. Januar?
König: Es kommt ganz sicher, die Frage ist nur, welchen Anteil an der Gesamtzahl der Verordnungen es ausmachen wird. Denn per Gesetz ist die Einführung zum 1. Januar 2022 Pflicht, allerdings nur, sofern die technischen Voraussetzungen gegeben sind. Das ist damals sehr geschickt formuliert worden. Vermutlich hat man damit zwar eher auf einen möglichen Systemausfall abgezielt, nun passt es aber auch bei der Einführungsphase. Ich sehe es grundsätzlich auch gar nicht kritisch, dass es zum Jahreswechsel nicht die ganz große Umwälzung geben wird: Wenn im Januar der E-Rezept-Anteil 10 Prozent beträgt und im Juli 90 Prozent, dann haben wir schon viel erreicht. Worum wir uns allerdings wirklich dringend kümmern müssen, sind mögliche Ausfallszenarien. Was passiert, wenn meine SMC-B-Karte, mein Konnektor oder das Internet nicht funktionieren? Das abzusichern wird ein ganz wichtiger Punkt sein.
AZ: Der Health Innovation Hub löst sich planmäßig zum Ende des Jahres auf. Wie viel Input konnten Sie tatsächlich einbringen?
König: Als ich damals nach Berlin gekommen bin, war meine schlimmste Vorstellung, das Bundesgesundheitsministerium könnte so funktionieren wie das Nürnberger Bauamt: Niemand ist erreichbar, niemand ist zuständig und gefühlt geht nichts voran. Zum Glück sind meine Erfahrungen mit dem Ministerium völlig anders. Da gibt es wirklich dynamische Abteilungen mit vielen Menschen, die mit hohem persönlichem Einsatz für die gemeinsame Sache arbeiten. Das hat mich begeistert. Auch die Zusammenarbeit mit der Gematik hat sehr gut geklappt. Gerade die Rolle als Brückenbauer zwischen dem Ministerium und vielen Stakeholdern im Gesundheitswesen war eine sehr wichtige Aufgabe. Natürlich wurde nicht alles umgesetzt, was wir angeregt haben. Aber wir konnten viel Input einbringen und sind stets auf offene Ohren gestoßen.
AZ: Gibt es eine Chance auf Verlängerung?
König: Meine Kollegen und ich werden sicher zum Jahresende ausscheiden. Ob der neue Minister oder die neue Ministerin das Format in ähnlicher Form weiterführen wird, bleibt abzuwarten. Es war ja sehr mutig von Spahn, den Hub zu gründen. Am Anfang wurde der Hub kritisiert als zu wirtschaftsnah. Zudem sind wir kein Ministeriumsorgan, keine untergeordnete Abteilung und auch nicht weisungsgebunden. Natürlich haben wir die Gesetzgebung im Haus verfolgt, aber wir waren frei darin, wo und wie wir uns einbringen konnten und wollten. Doch nach allem, was wir auch von hochrangigen Politikern gehört haben, ist das Konzept sehr gut angekommen und möglicherweise ein Vorbild auch für andere Ministerien.
AZ: Herr König, vielen Dank für das Gespräch. |
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