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Wirtschaft
Protest gegen Whitepaper der Gematik
Plattformmodell soll das bisherige System ersetzen / Gesellschafter fühlen sich von unabgestimmtem Vorgehen brüskiert
Die Gematik, zuständig für die Digitalisierung des Gesundheitswesens, will die Telematikinfrastruktur (TI) bis 2025 generalüberholen. Ein Plattformmodell soll das aktuelle System mit Konnektoren, Heilberufsausweisen und Institutionskarten ersetzen, erklärte die Gematik im Januar, als sie ihre Vorstöße in dem Whitepaper „TI 2.0 – Arena für digitale Medizin“ veröffentlichte. Seither gibt es Streit mit den Gesellschaftern, die der Gematik vorwerfen, das Whitepaper nicht abgestimmt zu haben. In einem Schreiben an Gematik-Chef Markus Leyck Dieken, das DAZ.online vorliegt, heißt es: Die Veröffentlichung sei unangekündigt und entgegen einem einstimmig gefassten Beschluss der Gesellschafterversammlung (GSV) vom November 2020 erfolgt. Demnach habe die GSV die Neuausrichtung der TI zwar diskutieren, aber (noch) nicht beschließen wollen. Zudem sollte es zunächst eine Machbarkeitsanalyse geben.
Die „vorschnelle“ Veröffentlichung des Whitepapers habe nun fatale Folgen. „Gerade vor dem Hintergrund der Einführung neuer Anwendungen wie der elektronischen Patientenakte (ePA) und dem E-Rezept, sowie der enormen Anstrengungen, die die Leistungserbringerorganisationen seit Jahren in die Überzeugungsarbeit ihrer Mitglieder stecken, war dieses unabgestimmte Vorgehen völlig kontraproduktiv“, monieren die Verfasser des Briefs. Beispielsweise würden Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) sowie Ärzte- und Zahnärztekammern seit geraumer Zeit bei ihren Mitgliedern darum werben, den elektronischen Heilberufsausweis zeitnah zu beantragen. „Die Veröffentlichung des Whitepapers hat hier mit einem Schlag einen Großteil dieser langsam ihre Wirkung entfaltenden Überzeugungsarbeit zunichte gemacht.“ Ärzte und Zahnärzte riefen nun erbost bei ihren Kammern und K(Z)Ven an und beschwerten sich, „warum sie massiv von ihren eigenen Organisationen zum Kauf von etwas gedrängt werden, was jetzt schon wieder abgekündigt ist und von der Gematik quasi selbst als nicht zeitgemäß und nicht nutzerorientiert eingeschätzt wird“.
Hinweise der Leistungserbringer nicht gewürdigt
„Diese Situation wurde zusätzlich dadurch verschärft, dass das Whitepaper die Behauptung enthält, die Konzepte seien das konsolidierte Ergebnis der Interviews der Gematik mit ihren Gesellschaftern und in einem Strategie-Workshop vorgestellt und diskutiert worden. Dabei hatten gerade die Leistungserbringerorganisationen deutlich gemacht, dass sie dies völlig anders sähen und ihre Hinweise aus den Gesprächen in keiner Weise gewürdigt worden seien“, schreibt Dr. Karl-Georg Pochhammer, Vorstandsvize der KZBV. Unterschrieben haben zudem Bundesärztekammer, Bundeszahnärztekammer, Deutsche Krankenhausgesellschaft, Deutscher Apothekerverband (DAV), KBV, GKV-Spitzenverband und der Verband der Privaten Krankenversicherung.
Mit vier Tagen Verspätung informiert
Auch an der Pressemitteilung „Weichenstellung für mehr Zusammenarbeit im Gesundheitswesen“, die die Gematik am 21. Januar anlässlich der Veröffentlichung des Whitepaper verschickte, stoßen sich die Gesellschafter und fordern, „diese Zusammenarbeit auch mit Ihren eigenen Gesellschaftern umzusetzen“. Von der Gematik erwarten sie die Klarstellung, „dass das veröffentlichte Whitepaper als eine nicht mit den Gesellschaftern abgestimmte Ideensammlung der Gematik zu verstehen ist, die in den nächsten Wochen und Monaten mit den zuständigen Organisationen diskutiert werden wird“.
Aus einem internen E-Mail-Verkehr, der DAZ.online vorliegt, geht hervor, dass die Gematik ihre Gesellschafter erst mit vier Tagen Verspätung über die Pressemitteilung informierte. Grund dafür sei ein „leichtes Update unseres Verteilers“ gewesen. „Daher möchten wir sie Ihnen heute nachträglich per E-Mail zukommen lassen. (...) Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen; bei künftigen Veröffentlichungen werden Sie selbstverständlich wieder direkt beschickt.“
Unterdessen hat Gematik-Chef Leyck Dieken die Vorwürfe der Gesellschafter „entschieden“ zurückgewiesen. „Die Geschäftsführung der Gematik wird bei keinem Gegenstand jemals gegen Beschlüsse der Gesellschafter handeln“, erklärte er in einem Antwortschreiben. Das Whitepaper sei keineswegs als finales Konzept zu lesen, sondern ein „Diskussionspapier, welches insbesondere im Hinblick auf die geforderte Machbarkeitsstudie den Dialog mit vielen Beteiligten im Gesundheitswesen benötigt, um entsprechend allfällig notwendige Adaptionen vorzunehmen, die eine realistische Umsetzung erst ermöglichen“. Die Gesellschafter würden dabei in Workshops, TI-Ausschuss und Gesellschafterversammlung weit intensiver einbezogen als die externen Partner.
Gematik-Chef spielt den Ball zurück
Weiter schreibt der Gematik-Chef: „Das Spannungsfeld, in dem wir uns gemeinsam befinden, ist gekennzeichnet sowohl durch die Nachfragen, die Sie zitieren, wie auch durch die immer lauter werdende Kritik an der nicht mehr zeitgemäßen TI. So darf von uns gemeinsam nicht übersehen werden, dass die derzeitige Struktur auch aus den Reihen der Leistungserbringer immer wieder Kritik erfährt.“ Gemeinsam verabschiedete Produkte wie die ePA würden selbst von den Mitgestaltern öffentlich in Misskredit gebracht und als „Aldi-Tüte des Versicherten“ oder „Scheinriese“ bezeichnet, so Leyck Diekens Seitenhieb auf KBV-Vize Stephan Hofmeister. Dieser hatte den Umsetzungsstand der ePA kürzlich in einer Pressekonferenz kritisiert.
„Eine solche Distanzierung von gemeinsam in der Spezifikation beschlossenen Produkten ist nicht ideal zur Überzeugung unserer Nutzer und widerspricht unserer gemeinsamen Verantwortung“, so Leyck Dieken. Er bittet alle Gesellschafter, „auf dieses Konzept zuzugehen und es erst an den Stellen zu verändern, wo man Besseres einbringt. Das Whitepaper gibt uns gemeinsam Anlass, endlich die lang erwartete Modernisierung der TI am Horizont erkennbar zu machen und auf dem Weg dorthin in den konkreten Ausgestaltungen gemeinsam zu entwerfen. Ich bedaure, dass dieser Schritt zu Irritationen führte, zu dem wir angesichts der Lage eher Zuspruch erwartet hätten. Zu weiteren Gesprächen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.“
Auf Nachfrage von DAZ.online hält sich das Bundesgesundheitsministerium, mit 51 Prozent der größte Gesellschafter, bedeckt und verweist auf die Gematik. Auch der DAV äußert sich nicht näher und kündigt an: „Die nächste Gematik-Gesellschafterversammlung wird sich sicherlich weiter damit befassen.“ Von der Gematik heißt es, dass mehr inhaltliche Diskussionen über die Neuausrichtung der TI wünschenswert wären und dass man mit den Gesellschaftern auch in Zukunft „gut und konstruktiv zusammenarbeiten“ wolle. |
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