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Gesundheitspolitik
Jens Spahn und die Pressefreiheit
Die Zusammenarbeit des Bundesgesundheitsministeriums mit der Internet-Suchmaschine Google wurde bereits vom Landgericht München untersagt. Nun werden die richterlichen Verfügungen auch vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags in einem Gutachten bekräftigt. Die Kooperation mit Google würde faktisch zur Monopolstellung eines vom Ministerium betriebenen Gesundheitsportals führen und dies „könnte […] einen ungerechtfertigten Verstoß gegen die Pressefreiheit und insbesondere gegen das Gebot der Staatsferne bedeuten“, resümieren die Bundestags-Gutachter in ihrer 29-seitigen Ausführung, die der Redaktion vorliegt.
Der Zweck heiligt nicht die Mittel
Das Ziel des Bundesgesundheitsministeriums, mithilfe eines Portals zur Gesundheitsaufklärung bzw. zur Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung beizutragen, ist für den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags zwar nachvollziehbar. Doch ob dafür nur staatliche Informationen dienen können, stellen die Gutachter infrage. Für sie ist das mildere Mittel mit gleich hoher Effektivität das „Unterlassen der bevorzugten Darstellung“. Denn: „Es gibt zahlreiche private und öffentliche Gesundheitsinformationsportale, die umfassende Informationen zu gesundheitlichen Themen anbieten. Daher wäre auch ohne die hervorgehobene Darstellungsweise von ,gesund.bund.de‘ sichergestellt, dass Suchende an Gesundheitsinformationen gelangen.“ Damit unterstützt das Gutachten die richterlichen Beschlüsse des Landgerichts München und könnte eine Grundlage für die Argumentation in weiteren Verfahren bilden. Ob dies Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) allerdings beeindrucken wird, bleibt fraglich.
Spahns Ministerium und Google können Rechtsmittel gegen die Urteile des Landgerichts München einlegen, was auch erwartet wird. Aktuell ist eine weitere Klage beim Landgericht Hamburg anhängig. Die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein hat am 17. Dezember 2020 ein Verfahren wegen eines Verstoßes gegen den Medienstaatsvertrag eingeleitet.
Politische Reaktionen
Aus der Bundestagsopposition kommt erwartungsgemäß Kritik. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) hatte das Gutachten in Auftrag gegeben. Sein Fraktionskollege Wieland Schinnenburg äußert sich auf Anfrage wie folgt: „Ich rate Herrn Minister Spahn, das Gutachten sehr sorgfältig zu lesen und alternative Veröffentlichungswege zu prüfen. Es muss verhindert werden, dass weitere Gelder in den Sand gesetzt werden. Schon jetzt hat das Portal mehr als 2 Millionen Euro gekostet.“
Grundbuchamt nennt Spahn Journalistennamen
Über einen weiteren verstörenden Vorfall im Zusammenhang mit Jens Spahn berichtete der „Tagesspiegel“ in der vergangenen Woche. Dem Artikel zufolge sollen Anwälte des CDU-Politikers vom Grundbuchamt beim Amtsgericht Schöneberg die Nennung von Journalistennamen und -anfragen verlangt haben. Das Amt ist laut dem Bericht dieser Aufforderung nachgekommen. Konkret geht es um „Spiegel“-, „Bild“-, „Stern“- und „Tagesspiegel“-Journalisten, die beim Grundbuchamt zu Details über den Hauskauf von Jens Spahn mit Ehepartner Daniel Funke in Berlin-Dahlem recherchierten. Über diesen mehrere Millionen Euro teuren Immobiliendeal wird seit letzten Sommer berichtet. Spahn versucht, über seine Anwälte die öffentlichen Diskussionen zu verbieten, und besteht darauf, dass es sich um eine Privatangelegenheit handelt. Für Kritik hatte gesorgt, dass sich ein Bundesminister auf dem Höhepunkt der größten Gesundheits- und Wirtschaftskrise des Landes, von der weite Teile der Bevölkerung betroffen sind, ein Luxus-Anwesen leistet.
Nachdem Presseberichte über den Kauf der Dahlemer Villa erschienen waren, wandten sich Spahns Anwälte an das Amtsgericht und forderten Informationen über die Journalisten und ihre Anfragen. Daraufhin soll das Gericht tatsächlich „Kopien der E-Mail-Anfragen des Reporters der ,Bild‘-Zeitung (…), das Einsichtsgesuch des Journalisten des ,Business Insider Deutschland GmbH‘ (…), des Korrespondenten der Zeitung ,Der Tagesspiegel‘“ an den Minister und seine Anwälte geschickt haben.
Auch über die Presseanfragen zu weiteren Immobilien-Deals von Spahn soll das Gericht den Anwälten Bericht erstattet haben: „Die beigefügten Kopien enthalten alle bis zum heutigen Tag eingegangenen Anfragen von Pressevertretern nebst Antwortschreiben“, heißt es in einer Mitteilung an Spahns Anwaltsbüro, aus der der „Tagesspiegel“ zitiert.
Ungeklärt bleibt, auf welcher Rechtsgrundlage der E-Mail-Schriftwechsel zu laufenden Recherchen von Journalisten Eingang in die Grundbuchakten gefunden hat. Der „Tagesspiegel“ weist im Artikel abschließend darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht zur Vorsicht mahnt, Grundstückseigentümer leichtfertig über Auskunftsverlangen der Presse in Kenntnis zu setzen: Die Presse sei in ihren Recherchen häufig darauf angewiesen, mosaiksteinartig einzelne Teilinformationen in verschiedenen Feldern zusammenzutragen – so der Beschluss zum Grundbuch-Einsichtsrecht aus dem Jahr 2000. |
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