Prisma

Entlarvende Schreie

Wie wir Gefühlslagen anhand von Rufen erkennen können

Foto: Kurhan/AdobeStock

us | In einer Fabel des griechischen Dichters Äsop ruft ein gelangweilter Hirtenjunge laut „Ein Wolf!“, um sich einen Scherz zu erlauben. Die Dorfbewohner fallen darauf herein und eilen ihm zu Hilfe. Als dann eines Tages wirklich ein Wolf auftaucht und der Hirtenjunge mit seiner Herde in echte Gefahr gerät, nehmen die Dorfbewohner seine Hilferufe nicht mehr ernst, und der Wolf reißt die ganze Schafherde. Hätten die Dorfbewohner genau hingehört, wäre ihnen vielleicht ein Unterschied zwischen den beiden Schreien aufgefallen. Das zumindest legt eine Studie von Psychologen der Universität Zürich nahe. Sie untersuchten die psychoakustischen Merkmale und die Wahrnehmung unterschiedlicher Arten von Schreien. Dazu nahmen sie die Schreie von zwölf Probanden auf, die zu mehreren positiven und negativen Situationen passen sollten (Genuss, Freude, Trauer, Schmerz, Furcht und Wut). Außerdem zeichneten sie einen neutralen Schrei des Vokals „a“ auf. Andere Probanden teilten die Schreie dann in die Kate­gorien alarmierend (Schmerz, Wut, Furcht), nicht-alarmierend (Freude, Genuss, Trauer) und neutral ein. Eine akustische Analyse der Aufnahmen ergab, dass alle Arten von Schreien charakteristische Eigenschaften besitzen. Weiterhin baten die Forscher um Prof. Sascha Frühholz eine Gruppe Probanden eine größere Auswahl von Schreien spontan zu klassifizieren. Dabei fiel auf, dass Freuden- und Genuss-Schreie schneller richtig eingeordnet wurden als Schreie vor Wut oder Schmerz. In MRT-Aufnahmen bemerkten die Wissenschaftler, dass alarmierende und nicht-alarmierende Schreie im Gehirn unterschiedlich verarbeitet werden. Nicht-alarmierende Schreie scheinen demnach schneller und effizienter verarbeitet zu werden als alarmierende Ausrufe. Somit könnte beim unglücklichen Ausgang der Fabel nicht nur die Lüge des Hirtenjungen, sondern auch die Wahrnehmung der Dorfbewohner eine ­Rolle gespielt haben. |

Literatur

Frühholz S et al. Neurocognitive processing efficiency for discriminating human non-alarm rather than alarm scream calls. PLoS Biol 2021 19(4): e3000751

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