Arzneimittel und Therapie

Wirksamer Schutz vor Lyme-Borreliose?

Was eine präventive Einnahme von Doxycyclin leisten kann

Wenn die ersten wärmenden Sonnenstrahlen die Menschen wieder nach draußen ziehen, steigt auch die Gefahr von Zeckenbissen. Anders als bei der ebenfalls durch Zecken übertragenen Frühsommerenzephalitis gibt es bisher keine Impfung gegen Borreliose. In Amerika wird zwar eine prophylaktische Gabe von Doxycyclin empfohlen, doch macht das auch in Europa Sinn, wo ganz andere Subspezies des gemeinen Holzbocks vorherrschend sind?

In Mitteleuropa ist die Lyme-Borreliose die häufigste durch Zecken verursachte Erkrankung. In Deutschland wird die Zahl der Fälle auf etwa 215.000 pro Jahr geschätzt [1]. Das Erythema migrans (Wanderröte) ist die Erstmanifestation einer Lyme-Borreliose und zeigt eine lokale Entzündungsreaktion von sich in der Haut vermehrenden Borrelien an. Allerdings fehlt diese Erstmanifestation bei einem substanziellen Anteil von nachweislich infizierten Personen. Bei diesen manifestiert sich die Krankheit Monate bis Jahre nach der Infektion in Form einer Neuroborreliose, einer Lyme-Arthritis oder Lyme-Karditis – chronische und schwer therapierbare Krankheitsverläufe.

Auf Bevölkerungsebene ist die Lyme-Borreliose mit einer erheblichen Krankheitslast (s. Kasten „DALY“) assoziiert. Für die Niederlande wurde ein Wert von 10 bis 55 DALY pro 100.000 Einwohner berechnet. Könnte man der Entwicklung einer Lyme-Borreliose durch eine präventive Gabe eines Antibiotikums nach einem Zeckenbiss vorbeugen, so würde das die Krankheitslast erheblich verringern.

DALY - Verlorene ­Lebensjahre

Der DALY-Score (disability adjusted life years) ist ein Maß für die negativen Auswirkungen einer Krankheit. Er setzt sich zusammen aus der Anzahl der verlorenen Lebensjahre aufgrund eines vorzeitigen Todes und der Anzahl der Jahre, die mit der Erkrankung gelebt wurden.

In Amerika bereits empfohlen

Frühere Studien aus den USA haben gezeigt, dass eine Einmaldosis von 200 mg Doxycyclin oral das Risiko einer Lyme-Borreliose nach Zeckenbiss deutlich reduziert, vorausgesetzt das Antibiotikum wird innerhalb von 72 Stunden eingenommen. Die berechnete Schutzwirkung lag zwischen 67 und 87% [2]. Da die Studien eine relativ kleine Zahl von Patienten beinhalteten, versuchten Infektiologen von der Abteilung für Infektionskrankheiten vom New York Medical College, die Ergebnisse mittels Datenaggregation aussagefähiger zu machen [2]. Aus den aggregierten Daten ergab sich eine Wirksamkeit der präventiven Einnahme von Doxycyclin von 78% (95%-Konfidenzintervall [KI]: 50 bis 91%). Basierend auf der Metaanalyse empfiehlt die Amerikanische Gesellschaft für Infektionskrankheiten in ihrer Lyme-Borreliose-Richtlinie, eine Einmaldosis von Doxycyclin 200 mg innerhalb von 72 Stunden nach Zeckenbiss sowohl für Erwachsene als auch für Kinder [3]. Die Empfehlung einer antibiotischen Prävention wird allerdings insofern eingeschränkt, als es sich bei der Zecke nachweislich um Ixodes spp. handeln und sie mindestens 30 Stunden Blut gesaugt haben muss, was im Einzelfall schwierig zu verifizieren ist.

Unterschiedliche Zeckenarten

Die Empfehlung aus den USA lässt sich allerdings nicht eins zu eins auf Europa übertragen. In den USA wird Borrelia burgdorferi sensu latu nahezu immer durch Ixodes scapularis übertragen, während in Europa der gemeine Holzbock Ixodes ricinus für die Infektion verantwortlich ist. Aus experimentellen Studien weiß man, dass beim Blutsaugen durch Ixodesricinus Borrelien schneller übertragen werden als beim Blutsaugen von Ixodes scapularis. Außerdem unterscheiden sich die in Europa üblicherweise durch Zecken übertragenen Borrelienspezies in Bezug auf ihre Antibiotikaempfindlichkeit von den in den USA vorkommenden Spezies.

Präventiv auch in Europa?

Die Gruppe um Margriet Harms vom Nationalen Institut für Öffentliche Gesundheit und Umwelt in Bilthoven in den Niederlanden hat deshalb überprüft, ob die präventive Gabe von ­Doxycyclin auch in Europa empfohlen werden kann [4]. Zu diesem Zweck ­rekrutierten sie 1689 Personen, die ­einen Zeckenbiss von Ixodes ricinus beobachtet hatten. Die Probanden konnten sich über ein Internetportal anmelden und wurden dann automatisch in zwei Gruppen randomisiert, eine mit und eine ohne Doxycyclin-Therapie. Diejenigen, die Doxycyclin erhalten sollten, begaben sich sodann zu einem Arzt, der das Antibiotikum verschrieb. Über einen Zeitraum von 18 Monaten wurden die Studienteilnehmer in Abständen von drei Monaten über einen Onlinefragebogen aufgefordert mitzuteilen, ob sich typische Zeichen einer Lyme-Borreliose entwickelt hatten. Am Ende der Studie wurden die Ärzte gebeten, die von den Probanden gemachten Beobachtungen zu bestätigen. Die Präsenz von B. burgdorferi sensu lato-DNA in den eingesandten Zecken wurde mit einer Duplex QPCR (quantitative polyermase chain reaction) überprüft. Als Ziel­größe wurde die Entwicklung einer Lyme-Borreliose innerhalb von sechs Monaten nach der Chemoprophylaxe definiert.

Foto: Jürgen Fälchle/AdobeStock

Anders als in Amerika ist in Europa nicht Ixodes scapularis, sondern Ixodes ricinus am häufigsten für die Übertragung von Borrelien verantwortlich.

Je früher die Einnahme, desto besser der Schutz

In der sogenannten per-Protokoll-Analyse von 1424 Teilnehmern entwickelten 22 eine Lyme-Borreliose, davon 21 eine Erythema migrans und eine Person eine disseminierte Borreliose. Die Chemoprophylaxe mit Doxycyclin reduzierte das relative Risiko einer Lyme-Borreliose um 77% (95%-KI: 39 bis 91%). Die errechnete Schutzwirkung entspricht ziemlich genau der mittleren Schutzwirkung in den aggregierten amerikanischen Studien, bestätigt also die präventive Wirkung von Doxycyclin.

Dass die Schutzwirkung im Vergleich zu anderen präventivantibiotischen Maßnahmen geringer ist, könnte mit dem Zeitraum von 72 Stunden zusammenhängen. Untersuchungen an einem Mausmodell mit Ixodes scapularis haben gezeigt, dass eine zweimalige Antibiotikagabe innerhalb von 24 Stunden nach Zeckenbiss eine Schutzwirkung von 74% hatte. Betrug der Zeitraum 24 bis 48 Stunden, verminderte sich die Schutzwirkung auf 47%. Nach 48 Stunden hatte eine Doxycyclin-Prophylaxe bei den Tieren keinerlei Wirkung mehr [5].

Limitationen der Studie

Die Aussagefähigkeit der niederländischen Studien wird durch die Besonderheiten des Studiendesigns limitiert. Da die Studienteilnehmer sofort nach der Randomisierung wussten, ob sie zur Doxycyclin-Gruppe gehörten, kam es in der Gruppe ohne Antibiotika-Prophylaxe zu einer großen Zahl von Drop-outs. Andererseits könnte die Tatsache, dass die eine Gruppe von Teilnehmern von einem Arzt untersucht und behandelt wurde, die Probanden sensibilisiert haben, genauer auf Hautveränderungen zu achten. Möglicherweise wurde eine Lyme-Borreliose in dieser Gruppe deshalb häufiger und in der Placebo-Gruppe seltener erkannt, so dass die berechnete Schutzwirkung nicht der tatsächlichen entspricht. Als Argument für ihr Studiendesign führen die Forscher an, dass sie nur so in ­einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum die erforderliche Zahl von Probanden rekrutieren konnten.

Möglicherweise hat die topische Applikation mit Azithromycin eine ähnlich gute präventive Wirkung wie eine orale mit Doxycyclin, allerdings ohne das Risiko Doxycyclin-typischer Nebenwirkungen [6]. Die Datenlage ist allerdings nicht eindeutig. |

Literatur

[1] 214.000 Borreliose-Erkrankungen pro Jahr. Informationen der Springer Medizin Verlag GmbH. www.aerztezeitung.de/Medizin/214000-Borreliose-Erkrankungen-pro-Jahr-292255.html, Abruf am 7. Mai 2021

[2] Wormser et al. Aggregation of data from 4 clinical studies demonstrating efficacy of single-dose doxycycline postexposure for prevention of the spirochetal infections. Diagn Microbiol Infect Dis 2021. doi: 10.1016/j.diagmicrobio.2020.115293

[3] Lantos et al. Clinical Practice Guidelines by the Infectious Diseases Society of America (IDSA), American Academy of Neurology (AAN), and American College of Rheumatology (ACR): 2020 Guidelines for the Prevention, Diagnosis, and Treatment of Lyme Disease. Arthritis Care & Research 2020. doi: 10.1002/acr.24495

[4] Harms et al. A single dose of doxycycline after an ixodes ricinus tick bite to prevent Lyme borreliosis: An open-label randomized controlled trial. J Infect 2021 doi: 10.1016/j.jinf.2020.06.032

[5] Piesman et al. Protective value of prophylactic antibiotic treatment of tick bite for Lyme disease prevention: an animal model. Ticks and Tick-borne Diseases 2012. doi: 10.1016/j.ttbdis.2012.01.001

[6] Schwameis et al. Topical azithromycin for the prevention of Lyme borreliosis: a randomised, placebo-controlled, phase 3 efficacy trial. The Lancet Infectious Diseases 2017. doi: 10.1016/s1473-3099(16)30529-1

Prof. Dr. Hermann Feldmeier

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.