Aus der Hochschule

Phytomedizin: Tradition mit Perspektive?

Stiftungsprofessorin Beatrice Bachmeier will mit Versorgungsforschung Evidenzlücke schließen

mp | Das Apothekensortiment pflanzlicher Arzneimittel ist groß, aber oft ist ihre Wirksamkeit nicht belegt. Seit diesem Semester be­kleidet Beatrice Bachmeier eine Stiftungsprofessur an der Goethe-Universität Frankfurt. Sie soll die Versorgungsforschung für Phytopharmaka etablieren mit dem Ziel, deren Stellenwert in der Therapie zu untermauern.
Foto: Marius Penzel

Prof. Dr. Beatrice Bachmeier forscht in Frankfurt und lehrt Ernährungs­physiologie für Pharmazeuten im vierten Semester.

Am Campus Riedberg, an dem die Goethe-Universität in Frankfurt am Main Apotheker ausbildet, leuchtet die Skyline als Silhouette am Horizont. Hier, ein wenig abseits der Stadt, feiert die Frankfurter Pharmazie am 25. ­Oktober 2021 eine neue Stiftungs­professur. Die Chemikerin Beatrice Bachmeier erforscht seit kurzem die Arzneimittelversorgung mit Schwerpunkt Phytotherapie. Ihre Antritts­vorlesung besuchen Studierende, Würdenträger der Universität und Versorgungsforscher.

Finanzier der Professur ist die Dr. Willmar Schwabe GmbH. Der weltweit agierende Phytopharmaka-Hersteller bringt unter anderem die Fertigarzneimittel Lasea®, Tebonin® und Crataegutt® auf den Markt.

Vor der Antrittsvorlesung spricht zunächst Enrico Schleiff, Präsident der Goethe-Universität. In seiner Rede stellt er klar: „Es geht hier nicht um Auftragsforschung, sondern um die freie Ausgestaltung der Wissenschaft“. Die Versorgungsforschung zu Arzneimitteln sei ein aufstrebendes, aber noch ein kleines Fach. Dabei sei die speziell auf Phytopharmaka fokussierte Versorgungsforschung ein noch unbeschriebenes Blatt – zumindest im universitären Kontext.

„Von Evidenz zu Empirie“

Neben Schleiff fügte auch Traugott Ullrich seine Grußworte hinzu. Ullrich ist General Manager in der Marketingabteilung bei Dr. Wilmar Schwabe. Er umschreibt das Ziel, das sich Schwabe mit der Stiftungsprofessur erhofft: Nämlich mehr Evidenz zu Phytopharmaka zu generieren.

Um dieses Ziel zu erreichen, dürfe man nicht nur randomisierte, Placebo-kontrollierte klinische Studien (RCT) berücksichtigen, so Ullrich. „Medizin ist keine Natur-, sondern eine Erfahrungswissenschaft.“ Und um den Erfahrungsschatz zu vergrößern, müsse der „wissenschaftliche Handwerkskasten“ um Studien aus der Versorgungsforschung erweitert werden.

Zum Hintergrund: Die randomisierte kontrollierte Studie gilt als Goldstandard der evidenzbasierten Medizin. Nur mit der RCT lassen sich kausale Zusammenhänge nachweisen, z. B. dass etwa eine dauerhafte Tumor­remission auf eine bestimmte Behandlungsmethode zurückzuführen ist.

Aber nur wenige pflanzliche Arzneimittel erfüllen die Kriterien der evidenzbasierten Medizin. Schwabe-Manager Ullrich hofft, dass die Stiftungsprofessorin Beatrice Bachmeier die Phyto-Evidenzlücke schließen kann.

Nach weiteren Grußworten und zwei Kurzvorträgen beginnt Bachmeier ihre Antrittsvorlesung. Ruhig und verständlich stellt sie ihren Forschungsschwerpunkt vor. „Zwar haben wir schon Phytopharmaka, die sich in den Leitlinien finden. Sie sind aber noch extrem unterrepräsentiert.“ Sie will Evidenz schaffen, um pflanzlichen Arzneimitteln zu einem besseren Standing in den Leitlinien zu verhelfen. „Für uns ist zunächst wichtig, die Wirksamkeit im Patienten wissenschaftlich zu be­legen“, erklärt Bachmeier.

Die Begrifflichkeit „Wirksamkeit im Patienten“ sei dabei von „klinischer Wirksamkeit“ abzugrenzen. Denn eine klinische Wirksamkeit könne ihre Forschung nicht belegen. „Wir wollen aber nicht nur in die Klinik, sondern darüber hinaus erfahren, ob ein Arzneimittel im Patientenalltag wirkt.“

Bachmeier ist diplomierte Chemikerin. Sie promovierte zu einem onkologischen Thema an der medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München und habilitierte dort anschließend im Fach moleku­lare Pathobiochemie und Onkologie.

In ihrer Antrittsvorlesung spricht sie die Schwächen randomisierter, kontrollierter Studien an. Auch wenn RCT unschlagbar sind, um Störgrößen, die Studienergebnisse verzerren könnten, auszuschließen: Randomisierte kontrollierte Studien finden in klinischer Umgebung, bei einem homogenen Patientenkollektiv und unter „idealen“ Bedingungen statt. Diese Umgebung habe aber nur wenig mit dem Alltag der Patienten gemein. Die so gewonnenen Erkenntnisse seien nicht immer auf die Realität übertragbar.

Was ist Versorgungsforschung?

Per Definition will die Versorgungsforschung ergründen, wie die Versorgung Einzelner und der Bevöl­kerung mit gesundheitsrelevanten Dienstleistungen und Produkten unter Alltagsbedingungen von­statten geht. Dazu nimmt der Forschungszweig einerseits die Ergebnisse, Qualität und Kosten einer Therapie unter die Lupe.

Andererseits werden Finanzierungssysteme, soziale Faktoren, Organisationsstrukturen, Gesundheitstechnologien und der Zugang der Patienten zur Gesundheitsversorgung untersucht.

Bachmeier zeigt ein Beispiel, wie das Design ihrer künftigen Versorgungsstudien aussehen könnte. Dafür wählt sie ein interventionelles Studiendesign. Bevor Patienten randomisiert in eine Placebo- oder Phytopharmakon-Gruppe eingeteilt werden, erfolgt eine Schulung der Patienten und der Heilberufler, die die Patienten begleiten. Im Laufe der weiteren ­Studie würden Patienten neben der Phyto- oder Placebo-Einnahme dazu angehalten werden, sich körperlich zu betätigen. Gleichzeitig würden sie ­wiederholt ein Kompetenztraining durchlaufen.

Ob aus ihren Studien signifikante Ergebnisse abzuleiten sein werden, kann Bachmeier noch nicht sagen. „Schließlich sind wir die ersten, die dieses Feld untersuchen. Wir leisten hier Pionierarbeit.“ Sie hofft aber, mit dieser Pionierarbeit einen Beitrag zur Präventivmedizin leisten zu können.

Laut Verband forschender Arzneimittelunternehmen (VfA) sind bei der Versorgungsforschung nicht-interventionelle Methoden interventionellen Studiendesigns vorzuziehen. Denn wenn Wissenschaftler in die Behandlung der Patienten zusätzlich zur untersuchten Therapie eingreifen, verzerre dies den Alltag der Patienten und damit auch die gewonnenen Erkenntnisse.

Phytopharmaka mit Erfolg

Zum Schluss ihrer Antrittsvorlesung erzählt Bachmeier von den Erfolgsgeschichten der Phytomedizin. Denn einige Pflanzeninhaltsstoffe sind heute aus der evidenzbasierten Medizin nicht mehr wegzudenken. Zum Beispiel Paclitaxel, das zur Behandlung metastasierender Ovarial- oder Mammakarzinome dient. Paclitaxel stammt aus der Rinde der pazifischen Eibe. Dann wäre da noch Ciclosporin A zu nennen, das Polypeptid aus dem Pilz Tolypocladium inflatum. Es ist das wichtigste Immunsuppressivum bei Patienten mit transplantierter Niere, Leber oder Lunge.

Therapien mit Arzneimitteln pflanzlichen Ursprungs spielen sich also nicht nur abseits der etablierten ­Leitlinien ab. Doch noch sind die ­Beispiele, die Bachmeier wählt, eher die Ausnahme als die Regel. Ob die Forschung der Stiftungs­professorin dazu führen wird, dass mehr Phytopharmaka in hoch bewerteten Leitlinien erscheinen, bleibt abzuwarten. |

Literatur

Prof. Dr. Beatrice Bachmeier, Dr.-Willmar-Schwabe-Stiftungsprofessur für Arzneimittel-Versorgungsforschung – Schwerpunkt Phytotherapie. Antrittsvorlesung und Symposium der Goethe Universität Frankfurt am Main, 25. Oktober 2021.

Versorgungsforschung aus Sicht des vfa – Zusammenfassung des Verbands forschender Arzneimittelunternehmen (VfA) vom 2. Februar 2009, www.vfa.de

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