Aus den Ländern

Arzneimittelversorgungsforschung in COVID-19-Zeiten

Daten sammeln und transparent zugänglich machen

Wie schon im letzten Jahr fand die 28. Jahrestagung der Gesellschaft für Arzneimittelanwendungsforschung und Arzneimittelepidemiologie (GAA) am 11. und 12. November 2021 ausschließlich digital statt. Die inhaltlichen Schwerpunkte lagen bei den Themen SARS-CoV-2-Impfstoffe, Arzneimitteltherapie­sicherheit und Digitalisierung im Gesundheitswesen.

Prof. Dr. Katja Taxis (Groningen) referierte über das europäische Forschungsnetzwerk zu Drug Utilization (EuroDURG), deren Vorsitzende sie ist. Ziel von EuroDURG ist die Förderung internationaler Zusammenarbeit unter den Arzneimittelversorgungs­forscherinnen und -forschern und die Entwicklung von Standards für die Forschung. Außerdem sollen Schulungsprogramme zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses entwickelt werden. Eine wesentliche Voraussetzung für Versorgungsforschung ist die Verfügbarkeit von Daten. Um sie zu verbessern, wurde 2017 in Glasgow eine Deklaration verabschiedet, in der alle Staaten aufgefordert werden, die anfallenden Daten über den Arzneimittelverbrauch allen Versorgungsforschern unter Einhaltung von Datenschutzbestimmungen zugänglich zu machen.

Im wichtigen Projekt zum rationalen Umgang mit Antibiotika (Happy Patient Project) spielen Apotheken in verschiedenen europäischen Ländern eine zentrale Rolle. Zunächst wird der derzeitige Umgang mit Antibiotika in Apotheken analysiert. Nach einer Schulung folgt die abschließende Untersuchung, ob sich die Information und Beratung zu Antibiotika ver­bessert hat. Weitere Informationen zu EuroDURG finden sich unter www.pharmacoepi.org/eurodurg/.

SARS-CoV-2 und COVID-19

Dr. Brigitte Keller-Stanislawski, Abteilungsleiterin Sicherheit von Arzneimitteln und Medizinprodukten beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI), gab einen Überblick über die zugelassenen und in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe gegen SARS-CoV-2.

Für die Referentin ist die Entwicklung dieser Impfstoffe eine außerordent­liche Erfolgsgeschichte. Die Zulassung gelang in einem besonders zügigen und effektiven Zusammenwirken von Forschung, Herstellung und Genehmigung durch die Behörden, insbeson­dere durch das Zusammenschieben der Phasen I bis III der klinischen Prüfungen. Mit einem Blick auf die Risiken der Impfungen konnte die PEI-Vertreterin eine gute Sicherheit be­stätigen. Bei den Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 zeichneten sich die Heilberufe durch ausreichende Pharmakovigilanz-Aktivitäten aus, sodass zeitnah Nutzen und Risiken von aus Deutschland stammenden Daten ab­gewogen werden konnten.

Dr. Katrin Schüssel vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) analysierte die Verordnungsdaten der ambulant tätigen Vertragsärztinnen und -ärzte während der Pandemie und berichtete über einen Rückgang der Antibiotikaverordnungen, vor allem auch bei Kindern. Insbesondere durch die Kontaktbeschränkungen und das Tragen der Masken war dies zu erwarten. Insgesamt konstatierte die Ver­treterin des WIdO den Ärztinnen und Ärzten ein weitgehend rationales Verordnungsverhalten während der Pandemie, das sich auch nicht durch Presse-Hypes für bestimmte Arzneimittel zur Behandlung von COVID-19 wesentlich beeinflussen ließ.

„Den Männern geht es deutlich schlechter“

Prof. Dr. Petra Thürmann, Pharmakologin an der Uni Witten/Herdecke, konnte in ihrem Beitrag deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei den COVID-19-Erkrankungen herausarbeiten. Der männliche Anteil an mit COVID-19 gestorbenen Patienten ist weltweit deutlich höher als der weibliche Anteil. Auch die Symptome (hier: Fieber, Husten und Dyspnoe) sind bei hospitalisierten männlichen Patienten ausgeprägter als bei Frauen. Thürmann bezweifelte, ob diese Unterschiede hormonell zu erklären sind. Möglicherweise gingen Männer später ins Krankenhaus als Frauen. Andererseits könnten auch die bereits gut untersuchten Geschlechtsunterschiede im Immunsystem eine Rolle spielen.

Arzneimitteltherapiesicherheit und Multimedikation

Prof. Dr. David Schwappach, Direktor der Stiftung für Patientensicherheit Schweiz, präsentierte das Thema „Never Events – warum sind sie für die Patientensicherheit wichtig“. Never Events sind schwere negative Ereignisse im Gesundheitswesen, die zu einer Schädigung eines Patienten führen, die weitgehend vermeidbar gewesen wären und die so nicht hätten passieren dürfen. In der Schweiz geht man von etwa 500 Ereignissen dieser Art pro Jahr aus. Bei Medikationen fallen vor allem Verordnungsfehler, Richt- oder Rechenfehler, Verabreichungsfehler, fehlerhafte Anwendung von Verabreichungsutensilien, Fehler und Verwechslungen bei Dosierungseinheiten sowie Fehler bei der Patientenidentifikation ins Gewicht.

Schwappach verwies darauf, dass durch eine fehlende Transparenz bei den Never Events wichtige Lerngelegenheiten verpasst würden. In der Schweiz soll zukünftig ein Empfehlungskatalog zur Anwendung der Schweizer Never-Events-Liste in den Akutspitälern umgesetzt werden.

Dr. Martin Huber aus dem Bundes­institut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) analysierte Verbraucherberichte und ihre Bedeutung für die Pharmakovigilanz, soweit sie dem BfArM vorliegen. Er konnte aufzeigen, dass sie einen wichtigen Beitrag leisten, da bei Verbrauchern zum Teil andere Aspekte im Fokus stehen als bei den Heilberuflern.

Digitalisierung im Gesundheitswesen

Thomas Renner, Leiter der Unterabteilung Digitalisierung im Bundesgesundheitsministerium (BMG), nannte die in Israel verfügbare elektronische Gesundheitskarte einen Leuchtturm der Digitalisierung; sie ermöglichte den Krankenkassen, die Versicherten differenziert nach verschiedenen Merkmalen zu SARS-CoV-2-Impfungen einzuladen. Zudem konnte das Land mithilfe von Real World Data zeitnah beobachten, wie wirksam durchgeführte Maßnahmen waren.

In der Bundesrepublik sollen bei der weiteren Digitalisierung Datenverfügbarkeit und -nutzung sowie die Datensicherheit verbessert werden. In einem neuen Krankenhauszukunftsgesetz soll die Arzneimitteltherapiesicherheit in Krankenhäusern gestärkt werden mit dem Ziel, den gesamten Arzneiversorgungsprozess innerhalb des Krankenhauses transparent zu machen.

Prof. Dr. Daniel Grandt, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I am Klinikum Saarbrücken und Gründungsmitglied des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, referierte zum Thema „Anwendung für ein digital unterstütztes Arzneimitteltherapie- und Versorgungs-Management“ (AdAM) zur Verbesserung der Sicherheit, Qualität und Kosteneffizienz der Arzneimitteltherapie multimorbider Patienten mit Polypharmazie. Dieses vom Innovationsfond des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) geförderte Projekt hat das Ziel, die Arzneiverordnungen unterschiedlicher Ärzte zur Versorgung eines Patienten sehr zeitnah den Ärztinnen und Ärzten transparent zu machen, um Risiken zu vermeiden. In weiteren Kurzvorträgen ergänzten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler einzelne Aspekte der drei Schwerpunktthemen.

Weitere Informationen finden sich auf der Homepage der GAA unter www.gaa-arzneiforschung.de

Preisverleihung

Zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses verleiht die GAA jedes Jahr drei Preise für die überzeugende Präsentation aktueller Projekte und Forschungsergebnisse aus der Arzneimittelversorgungsforschung. In diesem Jahr gab es bei der Prämierung der Kurzvorträge neben dem ersten und zweiten Platz zwei dritte Plätze:

1. Preis: Simon Dedroogh (Hildesheim): Eine prospektive Studie zur Verträglichkeit von Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 bei Krankenhauspersonal.

2. Preis: Nina-Kristin Mann (Witten/Herdecke): Aktualisierung und Erweiterung der PRISCUS-Liste (Delphi-Umfrage).

3. Preis:

  • Salka Enners (Berlin): Verwendung von Arzneimitteln mit Berichten über eine mögliche Wirksamkeit oder Schädlichkeit bei COVID-19 vor, während und nach der ersten Pandemiewelle
  • Lucas Wirbka (Heidelberg): Die Rolle der Adhärenz mit leitlinien­gerechter medikamentöser Therapie bei der Vorhersage spezifischer Rehospitalisierungen wegen Herz­insuffizienz und Myokardinfarkt. |

Udo Puteanus, Münster

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