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Management
Fehleinschätzungen vermeiden
In der Teamsitzung Denkfallen entdecken und Problemlösungen erarbeiten
Eine Kundin betritt die Apotheke, sie ist nicht gerade schick gekleidet und erweckt auch ansonsten keinen wohlhabenden Eindruck. Die Apothekenmitarbeiterin, die eine Zusatzqualifikation für den aktiven Verkauf im Frei- und Sichtwahlbereich hat und dafür sensibilisiert ist, Kunden Zusatzangebote zu unterbreiten, vermutet: „Diese Kundin muss ich gar nicht erst ansprechen, sie wirkt nicht so, als könne sie sich teure Kosmetika leisten.“ Als die Kundin dann konkret nach einer hochpreisigen Handcreme fragt, sich diesbezüglich intensiv beraten lässt und überdies tatsächlich eine Tube kauft, weiß die Mitarbeiterin, dass sie sich zukünftig nicht von Äußerlichkeiten blenden und beeinflussen lassen wird.
Ähnlich ergeht es dem Apothekenleiter: Der Bewerber, der zu Beginn des Vorstellungsgesprächs mit gepflegtem Äußeren und wohlklingender Diktion überzeugt und hohe Erwartungen weckt, entpuppt sich im weiteren Verlauf des Gesprächs als heiße Luftnummer. Außen hui, Kompetenz und Einstellung pfui.
Im Tunnel von Vorurteilen und negativen Erwartungen
Die zwei einfachen Beispiele zeigen, was im Prinzip jeder von uns weiß, aber dennoch viel zu selten beachtet: Wir sollten uns nie vom äußeren Erscheinungsbild und dem ersten raschen Eindruck täuschen lassen, sondern stets tiefer blicken und die Dinge hinterfragen. Trotzdem gibt es wahrscheinlich niemanden, dem solche Fehleinschätzungen nicht schon einmal unterlaufen sind. Nun kann sich jeder im Apothekenteam für sich selbst vornehmen, nicht mehr vorschnell zu urteilen. Noch zielführender ist es, sich in einer Mitarbeitersitzung zu möglichen Denkfallen, die zu Fehleinschätzungen führen können, auszutauschen und voneinander zu lernen.
Wie könnte diese Mitarbeitersitzung ablaufen? Der Chef übernimmt die Leitung und stellt einige typische Denkfallen oder Gründe für Fehleinschätzungen vor. Die Blendung durch den äußeren Anschein und den ersten Eindruck ist eine Wahrnehmungsfalle, die den meisten bekannt sein dürfte. Weitere Denkfallen sind, die eigene Meinung über andere zu stellen, sowie Verallgemeinerungen. Wir beobachten ein Verhalten und ziehen daraus unzulässige und voreilige Schlüsse. So entwickeln wir einen Tunnelblick und sind für andere Perspektiven nicht mehr empfänglich. Ein Apothekenmitarbeiter, der zu Beginn seiner Tätigkeit mit einem „diebischen“ Kunden zu tun hatte, wird vielleicht ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Kunden entwickeln. Und ein Apothekenleiter, der zum Start seiner Selbstständigkeit von einem Mitarbeiter enttäuscht wurde, droht der Gefahr zu erliegen, von Mitarbeitern prinzipiell nicht das Beste zu erwarten.
Menschen nicht richtig einschätzen
Eine Fehleinschätzung kann zudem dann entstehen, wenn wir von einer bekannten Eigenschaft eines Menschen auf eine unbekannte Eigenschaft schließen. Konkret: Ein Mitarbeiter findet einen Kunden, der stets ausgesprochen freundlich ist, sehr sympathisch. Dann wird er enttäuscht sein, wenn dieser Kunde, für den er Sympathie hegt, sich als unehrlich entpuppt. Freundlichkeit und Unehrlichkeit – das passt für diesen Mitarbeiter nicht zusammen. Ähnlich ist es beim Halo-Effekt, bei dem eine – positive oder negative – Eigenschaft alle anderen Eigenschaften eines Menschen überstrahlt. Wir tendieren dazu, ihm weitere positive beziehungsweise negative Eigenschaften zuzuschreiben. Oder besser: anzudichten.
Übrigens ist der Halo-Effekt bei der Mitarbeiterführung recht häufig anzutreffen, meistens mit negativem Vorzeichen: Bei einem Mitarbeiter, den der Chef zum Beispiel als sehr arrogant wahrnimmt, wird er bestimmte Verhaltensweisen erwarten, ohne einen Beleg dafür zu haben: „Der ist nun einmal arrogant – und darum wird er sich nichts sagen lassen, den Teamfrieden stören und einen negativen Einfluss auf die Kollegen ausüben!“
Beispiele für Fehleinschätzungen sammeln
Aber natürlich soll die Sitzung nicht zu einem Psychologieseminar ausarten. Entscheidend ist, dass der Apothekenleiter mögliche Denkfallen vorstellt, um die Mitarbeiter zu motivieren, authentische Beispiele aus ihrem persönlichen Erleben beizusteuern. Dabei sollte er vor allem Fälle aus dem eigenen Verantwortungsbereich benennen, etwa aus seinen Kundenkontakten, aber auch aus der Mitarbeiterführung. Denn dann trauen sich die Mitarbeiter wahrscheinlich eher, eigene Fehleinschätzungen zu beschreiben.
Der eine Mitarbeiter berichtet, er neige dazu, in bestimmten Situationen Kunden vorschnell in Schubladen zu legen, ohne über Fakten zu verfügen. „Ich denke bei Reklamationen grundsätzlich, der Kunde will mir die Schuld geben und ist bestimmt ein unnachgiebiger Hund. Entsprechend bin ich gewappnet und ganz und gar auf Verteidigung eingestellt. Aber dann werde ich manchmal davon überrascht, dass ein Kunde sachlich argumentiert und an der Aufklärung des Sachverhalts und der Ursachen interessiert ist.“ Klar ist, dass Reklamationsgespräche aufgrund einer solchen kontraproduktiven Einstellung für die Apotheke sehr negativ verlaufen können.
Problemlösungen erarbeiten
Nun sind wir beim eigentlichen Sinn und Zweck der Sitzung angelangt. Das Ziel der Sitzung ist natürlich nicht, eine Liste mit Fehleinschätzungen zusammenzustellen. Vielmehr geht es um praktikable Lösungen, die an der Erfahrungswirklichkeit und dem Apothekenalltag anknüpfen. Nachdem alle Beteiligten authentische Beispiele vorgetragen haben, fasst der Apothekenleiter ähnliche Tatsachenberichte zusammen und bietet Problemlösungen an oder erarbeitet diese mit dem Team: „Wie befreie ich mich aus der Denkfalle? Was kann ich tun, um nicht mehr hineinzutappen und Fehleinschätzungen zu vermeiden?“ In dem Reklamationsbeispiel prüft der Apothekenleiter zudem, wie sich das Reklamationsmanagement des Mitarbeiters oder des Apothekenteams insgesamt optimieren lässt.
Bei dem Versuch, Denkfallen und Fehleinschätzungen hinsichtlich der Mitarbeiterführung auf die Spur zu kommen, ist der Apothekenleiter vor allem auf sich selbst angewiesen. Vielleicht bieten die Berichte der Mitarbeiter Anhaltspunkte, letztendlich jedoch muss er in die Selbstreflexion gehen. Wiederum ein konkretes Beispiel: Ein Chef geht davon aus, mit Anerkennung und Belohnungen positive Motivationsanreize zu setzen. Dann stellt er fest, dass ein Mitarbeiter dazu neigt, nur noch dann Außergewöhnliches zu leisten, wenn eine Anerkennung winkt. Diese Fehleinschätzung kann der Apothekenleiter nur mithilfe der Selbstbeobachtung erkennen, um dann gegenzusteuern. |
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