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Management

Dysfunktionaler Perfektionismus

Der Perfektionsfalle entkommen / Mit realistischen Ansprüchen ein gesundes Maß an Perfektion erreichen

Der Arbeitsplatz Apotheke bedarf in jedem Fall einer hohen Genauigkeit. Perfektionisten bringen die erforderlichen Eigenschaften mit und können entsprechend gute Leistungen erzielen. Problematisch ist, wenn sie nicht zwischen einem gesunden Anspruch und einer übertriebenen Perfektion unterscheiden können. Dysfunktionaler Perfektionismus macht nicht nur den Betroffenen das Leben schwer, er kann auch das ge­samte Team unter Druck setzen.

Perfektion ist nicht alles – auch nicht in der Apotheke. Bevor Sie jetzt protestieren: Es geht hier nicht um eine bei der Aus­führung anspruchsvoller Tätigkeiten selbstverständliche Genauigkeit. Es geht vielmehr um einen destruktiven übertriebenen Perfektionismus, der nicht hilfreich ist, sondern die Arbeit behindert. Betroffene erreichen mit ihren überhöhten Ansprüchen zudem häufig gar nicht ihre Ziele. Vielmehr stehen sie sich aufgrund ihres Perfektionismus selbst im Weg.

Für Betroffene ist es deshalb wichtig, realistischere Ansprüche zu entwickeln, anstatt in einem dysfunktionalen Perfektionismus zu verharren. Das stärkt letztlich die Zusammenarbeit in der Apotheke, denn auch das Umfeld leidet unter den unrealistischen Ansprüchen dysfunktionaler Perfektionisten. Durch Beherzigung entsprechender Tipps können Betroffene ihren übertriebenen Perfektionismus überwinden (s. u.).

Perfektionismus: Was ist das?

Doch was verbirgt sich eigentlich hinter einer perfektionistischen Veranlagung? Was verstehen wir unter Perfektionismus?

Perfektionismus kann als über­genaues Streben nach Vollkommenheit mit gleichzeitiger pingeliger Fehlervermeidung beschrieben werden. Perfektionisten stellen extrem hohe Ansprüche an sich selbst. Sie vereint der innere Zwang, möglichst immer 100 Prozent zu geben. Es gibt kein „gut genug“. Die Messlatte der eigenen Ansprüche wird in der Folge oft sogar immer höher gelegt.

Perfektionisten neigen dazu, den eigenen Erfolg eher misstrauisch zu bewerten. Ihr selbst gestecktes Ideal beinhaltet, Dinge fehlerfrei auszuführen. Das Problem liegt unter anderem in einem möglichen Scheitern, denn niemand kann alles perfekt erledigen. Perfektionismus kennt jedoch keine Zwischentöne, entweder das Ziel wird erreicht oder es liegt ein Versagen vor. Es wird schwarz-weiß gedacht. Zudem wird das Erreichte als nicht ausreichend angesehen. Dieses Verhalten bezieht sich nicht nur auf die Arbeitswelt, sondern auch zum Beispiel auf moralische Prinzipien oder gutes Benehmen. Betroffene bemühen sich, auch hierbei perfekt zu sein.

Perfektionisten sind sehr streng zu sich selbst. Sie kritisieren meist sich selbst am meisten. Diese innerliche Kritik kann sehr abwertend sein. Das Gefühl, nicht gut genug zu sein, steigert den Perfektionismus. Das Streben nach Perfektion dient allerdings normalerweise nicht dazu, ein Gefühl von Freude über das Erreichte hervorzurufen. Angestrebt wird vielmehr Unangreifbarkeit, Sicherheit und Zugehörigkeit.

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Ist gut gut genug? Genaues Arbeiten ist in der Apotheke besonders wichtig, aber auch hier kann es dysfunktionalen Perfektionismus geben.

Ursachen liegen oft in der Kindheit

Perfektionisten wird zugeschrieben, dass sie in vielen Bereichen eher ängstliche, unsichere Menschen sind. Sie fürchten demnach, ihre „Existenz“ könne an und für sich infrage gestellt werden, wenn sie Dinge nicht perfekt erledigen oder ganz allgemein vollkommen sind. Sie fürchten ihre eigene Fehlerhaftigkeit.

Die Ursachen für ein perfektionistisches Verhalten liegen unter anderem in der Kindheit. Die Sozialisation und auch Umwelteinflüsse schlagen sich hier nieder, genetische Anlagen können hinzukommen. Der Einfluss von Eltern, Geschwistern oder anderen wichtigen Personen in der Kindheit kann eine bereits vorhandene genetische Prädisposition verstärken. Problematisch ist in diesem Zusammenhang das Verhalten, ein Kind vor allem für fehlerfreie Ergebnisse zu loben und ihm nur dann Wärme und Zuneigung zukommen zu lassen, anstatt auch das Bemühen des Kindes zu würdigen. Kinder ver­innerlichen auf diesem Wege, dass nur ein perfektes Ergebnis wirklich gut ist und dass sie nur geliebt werden, wenn sie Perfektes leisten. Als Erwachsene neigen sie dann dazu, sich der Wertschätzung anderer nur sicher zu fühlen, wenn sie ebenfalls tadellose Ergebnisse abliefern. Im schlimmsten Fall können Kinder das Gefühl erlangen, dass sie ohne Perfektion als Person insgesamt nicht ausreichend und irgendwie „falsch“ sind.

Betroffene Personen haben erlernt, unangenehme Gefühle zu vermeiden. Dazu zählen scheitern, sich blamieren, aber auch kritisiert zu werden und die damit zusammenhängende Scham. Es handelt sich also auch um Selbstschutz und Versagensängste.

Innere Antreiber

Perfektionismus wird auch als „angstvolles Vermeidungsverhalten“ beschrieben. Die Transaktionsanalyse, entwickelt Mitte des 20. Jahrhunderts von den US-amerikanischen Psychiatern Eric Berne und Thomas A. Harris, analysiert die Gefühlswelt, das Denken und Verhalten von Menschen. Warum handeln sie so, wie sie handeln?

Laut der Theorie der fünf „inneren Antreiber“, Teil der Transaktionsanalyse, werden solche Antreiber in frühen prägenden Interaktionsprozessen erworben. Demnach besteht meist eine Vorliebe für ein oder zwei dieser inneren Antreiber, und das bereits in der Kindheit. Das Handeln von Menschen fühlt sich dann immer besonders „richtig“ an, wenn sie dementsprechend agieren. Dann fühlen sie sich liebenswert. Es gibt in diesem Zusammenhang auch den Antreiber „Perfektion ist wichtig“.

Negative Auswirkungen

Für Perfektionisten ist der Umgang mit anderen Menschen oft eher schwierig. Ihr „innerer Antreiber“, der zum Perfektionsstreben führt, lässt sie häufig eher angespannt und ernst wirken. Allein ihr Gesichtsausdruck und ihre Körperhaltung können das schon widerspiegeln. Das wird so auch von anderen Menschen bewusst oder unbewusst wahrgenommen.

Hinzu kommen die Ambitionen, die Perfektionisten zur Schau stellen. Dieses Zusammenspiel führt dazu, dass sich andere Menschen im Beisein von Perfektionisten eher unwohl fühlen. Sie können das Empfinden entwickeln, ständig unter Druck gesetzt zu werden und irgendwie nicht zu genügen. Gleichzeitig kann sich daraus auch das Gefühl ergeben, immer wachsam sein zu müssen, um ja nichts falsch zu machen. Dieses Empfinden wird nicht zuletzt durch die hohe Erwartungshaltung der Perfektionisten ausgelöst. Allerdings können die hohen Ambitionen eines Perfektionisten andere Menschen auch zu höheren Leistungen motivieren.

Funktional oder dysfunktional?

Perfektionismus ist nicht gleich Perfektionismus. Es ist dem­entsprechend nicht so, dass Perfektionismus per se proble­matisch sein muss. Es wird zwischen einer funktionalen und einer dysfunktionalen Form unterschieden. Funktionale Perfektionisten streben nach Höchstleistungen, können sich aber auch daran erfreuen. Dysfunktional wird es dann, wenn eine Fokussierung auf die Fehler den Blick auf das Gelungene verstellt. Stattdessen wird überbetont, was nicht gelingt. Funktionale Perfektionisten können vor allem auch mit Fehlern leben – und daraus ihre Lehren ziehen, ohne zu leiden.

Im Ergebnis kann eine funktionale Perfektion dazu führen, dass vor allem Arbeiten, die ein hohes Maß an Genauigkeit und Aufmerksamkeit erfordern, von den Betroffenen besonders gut und erfolgreich erledigt werden. Das macht sich auch am Arbeitsplatz Apotheke positiv bemerkbar. Betroffene bringen durch ihre Leistungsorientierung, ihren Fleiß, ihre Disziplin und ihren Blick aufs Detail die besten Voraussetzungen hierfür mit. Ihre Motivation, sich weiterzuentwickeln und aus Fehlern zu lernen, ist naturgemäß besonders hoch. In dieser Hinsicht kann ihnen durchaus ein gewisser Vorbild­charakter zugeschrieben werden.

Es kann jedoch auch anders sein. Dysfunktionaler Perfektionismus verlässt das gesunde Maß an Perfektion. Dann wird es sowohl für die Betroffenen selbst als auch für das Umfeld schwierig.

Merkmale dysfunktionaler Perfektionisten:

1. Ständige Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung.

2. Fokussierung auf die eigenen Fehler führt zu einem verengten Blickwinkel und erlaubt nicht, die Erfolge richtig zu würdigen. Stattdessen wird stets das Negative betont.

3. Verzettelung wegen zu großer Detailverliebtheit und der Angst, sich zu entscheiden.

4. Überbetonung von Regeln und Vorgaben zulasten von Individualität und Kreativität.

5. Dauerhafter Stress, da Perfek­tionisten aufgrund ihrer Un­zufriedenheit mit den eigenen Leistungen Schwierigkeiten haben, sich von den Aufgaben zu lösen. Das macht sie auch zu perfekten Kandidaten für ein berufliches Burn-out.

6. Aufschieben bestimmter Auf­gaben. In diesem Fall wird die Arbeit beispielsweise einfach nicht abgegeben, da der Perfektionist noch lange nicht zufrieden mit dem Ergebnis ist.

7. Es wird kein Ende gefunden. Das heißt, es ist noch nicht perfekt, also wird die Arbeit nicht beendet. Dadurch wird sehr viel Energie verbrannt, was zu einer Überlastung der betroffenen Person führen kann.

Strategien zur Überwindung

An der Unterscheidung zwischen funktionalem und dysfunktionalem Perfektionismus ist erkennbar, dass es nicht notwendig ist, alle Ansprüche bezüglich des eigenen Perfektionsstrebens aufzu­geben. Wie bereits beschrieben, sind Leistungsorientierung, Fleiß, Disziplin und Genauigkeit nicht per se schlecht – im Gegenteil. Auch die Arbeit in der Apotheke erfordert ein hohes Maß an Ge­nauigkeit. Perfektionisten haben in diesem Umfeld also zunächst einmal keine Nachteile beziehungsweise Probleme.

Anders sieht es aus, wenn Betroffene übertriebene Perfektion an den Tag legen – und letztendlich selbst darunter leiden. Die folgenden Tipps helfen, einen dysfunk­tionalen Perfektionismus zu überwinden oder abzumildern:

1. Verlieren Sie sich nicht in Details. Behalten Sie lieber das große Ganze im Auge und fokussieren Sie sich auf das Erreichen der Ziele unter Bei­behaltung der Prioritäten.

2. Realistische Ziele sollten Ihnen helfen, sich nicht mit überzogenen Ansprüchen an sich selbst das Leben unnötig schwer zu machen.

3. Führen Sie sich vor Augen, dass jeder Fehler machen kann – und auch macht. Nur wer nichts macht, macht auch keine Fehler. Schauen Sie stattdessen auf bereits Erreichtes und stellen Sie Ihre Stärken ins Zentrum Ihrer Selbstbeurteilung. Führen Sie sich dabei durchaus vor Augen, dass Ihre Perfektion auch gute Seiten hat – solange sie nicht durch unrealistische Ansprüche in die Perfektionsfalle führt.

4. Vermeiden Sie, sich ständig mit Kollegen zu vergleichen. Vergleiche sind häufig der Anfang der Unzufriedenheit. Seien Sie stattdessen lieber etwas gnädiger mit sich selbst.

5. Kritik lässt sich trotzdem nicht immer vermeiden. Jeder wird hin und wieder kritisiert, sei es zu Recht oder zu Unrecht. Mit dieser Kritik sollten Sie lernen, souverän umzugehen. Vor allem sollten Sie sich selbst schützen und nicht jede Kritik persönlich nehmen.

6. Bitten Sie stattdessen auch einmal um Hilfe. Das ist kein Zeichen von Schwäche. Es kann vielmehr helfen, Ziele mit einem angemessenen Zeitmanagement zu erreichen. Gerade in der Apotheke ist Teamarbeit hoch angesehen.

7. Schieben Sie Dinge nicht auf. Perfektionisten vermeiden teilweise bestimmte Aufgaben aus Angst, sie nicht gut genug zu erledigen. Steigern Sie sich nicht in solche Vorstellungen hinein – fangen Sie lieber einfach an. |

Inken Rutz, Apothekerin und freie Journalistin

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