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Management

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Bundesarbeitsgericht: Entscheidung vom September veröffentlicht

Im Jahr 2019 hat der Europä­ische Gerichtshof (EuGH) mit dem sogenannten „Stechuhr-Urteil“ für Aufregung im Arbeitszeitrecht gesorgt. Der deutsche Gesetzgeber blieb seitdem un­tätig und so entschied nun das Bundesarbeitsgericht (BAG), welche Pflichten den deutschen Arbeitgeber hinsichtlich der Arbeitszeiterfassung treffen.

Im „Stechuhr-Urteil“ (Federación de Servicios de Comisiones Obreras CCOO./.Deutsche Bank SAE, Entscheidung vom 14.05.2019, Az. C-55/18) entschied der EuGH im Mai 2019, dass die EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind, erforderliche Maßnahmen zu treffen, damit die Arbeitnehmerrechte zur Einhaltung der Höchstarbeitszeit und Ruhezeit sicher­gestellt werden.

Der EuGH betonte, dass die nationalen Regelungen zur Zeiterfassung so ausgestaltet sein müssten, dass, unter Berücksichtigung des Arbeitnehmerschutzgedankens und der Besonderheit des Über-/Unterverhältnisses im Arbeits­verhältnis, Arbeitnehmerrechte gewahrt werden könnten. Ausdrücklich erklärte der EuGH, dass eine nationale Regelung, die lediglich die Überstundenerfassung festlegt, diesen Anforderungen nicht standhalten kann. Es sei die Pflicht der Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass die nationalen Arbeitgeber ein „objektives, verlässliches und zugängliches“ System führen, um die täglichen Arbeitszeiten zu erfassen.

Regelungen im deutschen Arbeitszeitgesetz

In § 16 Abs. 2 S. 1 Arbeitszeit­gesetz (ArbZG) ist geregelt, dass die Arbeitszeiterfassung nicht für jede Arbeitszeit erbracht werden muss, sondern lediglich dann zu erfolgen hat, wenn die werktäg­liche Arbeitszeit überschritten wird. Nach den Vorgaben des EuGH zur europäischen Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie verstößt damit auch die deutsche Regelung zur Arbeitszeiterfassung gegen EU-Recht, wenn die Dokumenta­tionspflichten sich nur auf die über die werktäglich hinausgehende Arbeitszeit erstrecken.

Wurde der deutsche Gesetzgeber tätig?

Die Welt der Arbeitsrechtler wartete gespannt, wie der deutsche Gesetzgeber das nationale Recht des Arbeitszeitgesetzes anpassen würde. Doch es geschah nichts. Bis zum heutigen Tag gab es keine Anpassung/Abänderung des Arbeits­zeitgesetzes in Deutschland.

Das Urteil des EuGH richtete sich indes nicht unmittelbar an die Arbeitgeber der Mitgliedstaaten. Vielmehr wandte es sich an die Mitgliedstaaten bzw. deren Gesetzgebung, die auf Grundlage des Art. 31 Abs. 2 EU-Grund­rechtecharta und der Richtlinie 2003/88/EG ihr nationales Arbeitszeitgesetz unionsrechtskonform gestalten sollten. Arbeitgeber konnten sich demnach bislang entspannt zurücklehnen.

Und dann kam das Bundesarbeitsgericht ins Spiel …

In dem Beschlussverfahren (BAG, Beschluss vom 13.09.2022, Az. 1 ABR 22/21), in dem das BAG zu entscheiden hatte, welche Rechte dem Betriebsrat zustehen, stellte das höchste deutsche Arbeitsgericht fest, dass Arbeitgeber längst dazu verpflichtet sind, ein System zu führen, welches Beginn und Ende der Arbeitszeiten sowie Ruhepausen zu erfassen hat: ein Paukenschlag?!

Um was ging es?

In dem Beschlussverfahren ging es um die Frage, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung einer elektronischen Zeit­erfassung im Sinne einer technischen Einrichtung zustehe.

Als zwischen der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat keine Einigung über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung zustande gekommen war, setzte das durch den Betriebsrat angerufene Arbeitsgericht eine Einigungsstelle ein, die eine Regelung finden sollte. Die Arbeitgeberin rügte jedoch die Zuständigkeit der Einigungsstelle. Im Fortgang kam es dann zum Beschlussverfahren, in dem der Betriebsrat den Antrag auf Feststellung eines Initiativrechts stellte. Während die Erstinstanz, das Arbeitsgericht Minden, ein Initiativrecht ver­neinte, gestand das Landesarbeitsgericht Hamm dem Betriebsrat in der zweiten Instanz ein solches zu. Aufgrund der eingelegten Rechtsbeschwerde gelangte das Verfahren zum BAG, welches dem Betriebsrat im Ergebnis kein Initiativrecht zubilligte.

Doch die Begründung hat es nun in sich: Das BAG führt aus, dass Arbeitgeber auf Basis der arbeitsschutzrechtlichen Norm des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet sind, ein System zu etablieren, mit dem der Beginn und das Ende der Arbeitszeit sowie Ruhepausen erfasst werden. Bei dieser gesetz­lichen Grundlage handelt es sich um eine Arbeitsschutzvorschrift, die sehr weit gefasst ist. Nach ihr hat der Arbeitgeber für eine „geeignete Organisation zu sorgen und erforderliche Mittel bereitzustellen, damit die Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmern gewährleistet ist“. Das BAG sieht in dieser Auffangklausel auch die Grundlage, um die nach dem EuGH geforderten Einrichtungen für ein „objektives, verlässliches und zugängliches System der Arbeitszeiterfassung“ zu verlangen.

Gleichzeitig erklärt das BAG, dass es die Aufgabe des Gesetzgebers ist, konkretisierende Regelungen zum „Stechuhr-Urteil“ des EuGH zu treffen, um die Vorgaben hinsichtlich „Objektivität“, „Verlässlichkeit“ und „Zugänglichkeit“ eines Arbeitszeiterfassungssystems zu treffen. Das BAG erachtet es indes als nicht zwingend, dass die Arbeitszeiterfassung ausnahmslos und elektronisch zu erfolgen hat. Je nach Tätigkeits­bereich, Unternehmensgröße und Eigenheiten des Unternehmens müssten hier Unterschiede gelten. Das BAG erwähnt explizit, dass auch die Delegierung der Erfassung auf Arbeitnehmer nicht ausgeschlossen sein kann.

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Im Film „Modern Times“ aus dem Jahr 1936 wird Charlie Chaplin entlassen, weil er mit dem unmenschlichen Arbeitstempo nicht mithalten kann. Von den heutigen Arbeitsschutzmaßnahmen konnten Arbeitnehmer seinerzeit nur träumen.

Was bedeutet dies für Apothekenleiter?

Wenngleich in Zeitpunkt und Zusammenhang unerwartet, erklärt das BAG nichts Neues im Nachgang zum „Stechuhr-Urteil“ des EuGH: Die Arbeitgeber haben Sorge darüber zu tragen, dass die Arbeitszeiten von Beginn bis Ende, damit auch Überstunden und Ruhezeiten, erfasst werden. Die Vorgaben nach EuGH und BAG, die Zeiterfassung müsse „objektiv“, „verlässlich“ und „zugänglich“ sein, lassen Spielraum für Aus­gestaltungen: Eine Pflicht für elektronische Zeiterfassungen besteht nicht. Indes liegt es sehr nahe, dass das System zumindest revi­sionssicher ausgestaltet sein soll.

Nicht ausreichend ist es, lediglich den Umfang der arbeitstäglichen Arbeitszeit zu notieren.

Die Erfassung kann außerdem auf Apothekenmitarbeiter delegiert werden, allerdings hat der Apothekenleiter dafür Sorge zu tragen, dass die Zeiterfassung auch tatsächlich erfolgt.

Womit müssen Arbeitgeber bei Verstößen rechnen?

Das Arbeitsschutzgesetz sieht bei Verstößen gegen § 3 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG nicht vor, dass der Arbeitgeber unmittelbar ordnungswidrig handelt. Vielmehr muss gem. § 22 Abs. 3 ArbSchG zunächst die zuständige Aufsichtsbehörde tätig werden und im Einzelfall Anordnungen treffen, wenn bis dahin ausgebliebene Maßnahmen durch den Arbeitgeber getroffen werden müssen. Erst wenn der Arbeitgeber in der Folge gegen die behördliche Anordnung vorsätzlich oder fahrlässig verstößt, sieht § 25 Abs. 1 Nr. 2a ArbSchG eine Ordnungswidrigkeit vor, die mit einer Geldbuße mit bis zu 30.000 Euro geahndet werden kann.

Wünschenswert bleibt in jedem Fall, dass der Gesetzgeber tätig wird und die arbeitszeitgesetz­lichen Regelungen konkretisiert bzw. Spielräume zur Gestaltung ausschöpft. Ein Rückgriff auf arbeitsschutzrechtliche Vorgaben, wie das BAG sie nun angenommen hat, wäre dann obsolet. |

Rechtsanwältin Jasmin Johanna Herbst, LL.M., Dr. Schmidt und Partner, Koblenz, Dresden

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