Gesundheitspolitik

Der Apotheken-Ökonom: Im Krisenmodus – Rückblick auf 2022

Prof. Dr. Andreas Kaapke

Als vor wenigen Tagen Zeiten­wende als Wort des Jahres gewählt wurde, musste jedem bei der Würdigung des Jahres 2022 klar werden, dass dieses außergewöhnlich war. Ähnlich wie Begriffe wie Jahrhundertflut mutet die Zeitenwende als etwas ganz Besonderes an, sodass man innehält und überlegt, welche weitreichenden Auswirkungen auch für die Folgejahre zu erwarten stehen. Allerdings musste der Begriff der Jahrhundertflut zuletzt inflationär benutzt werden, weil diese nicht mehr nur alle 100 Jahre ansteht, und auch die Zeitenwende wurde 2022 für alles Mögliche missbraucht und musste für vieles herhalten.

Nicht die Pandemie stand 2022 im Vordergrund, sondern eine Inflation, die nicht zuletzt durch die jahrelang von der EZB geprägte Geldpolitik irgendwann eintreten musste. Eine Welt oder eine Nation, die weit über 20 Jahre lang fast keine Inflation kannte, erlebt sie nun heftiger denn je und inten­siver. Gerade für Volkswirte war 2022 ein Déjà-vu. Warum? In den ersten Vorlesungsstunden der VWL geht man vom Knappheitspostulat aus, was manchen Studenten jahrelang kopfschüttelnd zurückließ, denn „welche Knappheit“? Und auch Inflation kannten nach 1990 Geborene fast nur aus Lehrbüchern. Weil das Geld viel zu lange sehr billig war, konnten sich viele viel leisten. Geliehenes Geld war günstiger denn je. Wenn sich aber viele viel leisten können, wird manches knapp. Die Versorgungsengpässe werden vom Markt eben nicht immer durch höhere Preise weggebügelt, schon gar nicht, wenn Ressourcen limitiert sind und mit ihnen Weltpolitik gemacht werden kann. Damit sind wir bei Putin oder auch den Chinesen.

Putin hat der Welt aufgezeigt, wie fragil Frieden und internationale Kooperation sein können und damit die Weltpolitik. Und die Bevölkerung reibt sich verwundert die Augen und beschäftigt sich erstmals damit, woher das Gas und der Strom eigentlich kommen. Auch bei diesen Themen lässt sich über Politik und Politikstil trefflich streiten. Wenn aber Robert Habeck im Sommer noch den absoluten Versorgungsengpass von Gas verkündet, um dann im November das Angsthasentum der Deutschen zu verspotten, weil die Gasspeicher voll sind, fragt man sich zu Recht, ob man einen Zyniker oder doch nur einen Kommunikationsjongleur zum Wirtschaftsminister hat. Die die Staatsquote nach oben treibende Ampelkoalition legt nun einen Gaspreisdeckel und eine Strompreisbremse oben drauf. Das mag richtig sein, wird aber mit einem im wahrsten Sinne des Wortes teuren Preis bezahlt. Denn ein vom Staat gedeckelter Preis wird sich auf den Märkten nicht wieder so schnell auf einem niedrigeren Niveau einpendeln – warum sollte er, Kunden und Anbieter haben durch den Eingriff des Staates keinen Anreiz mehr dazu, eine Marktlösung zu suchen.

Erst kürzlich erschien in ein­schlägigen Medien eine Auflistung von drei Ministern, die bald vor der Entlassung stehen könnten, darunter Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Man weiß nicht, was man sich mehr wünschen wollte als Apotheken­leiter: ein „Weiter so“ mit einem angezählten Minister, der sich dann eher unterm als überm Radar bewegen müsste, was Lauterbachs Stil nicht ist, oder einen Austausch ohne Gewissheit einer wie auch immer gearteten Besserung. Denn wenigstens weiß der Mann um die Akteure und deren Rollen. Ob dies zum Vorteil gereicht?

Also war 2022 auch für die Apotheken ein eher schlimmes Jahr. Denn neben den geopolitischen Verwerfungen, die den Unternehmer Apotheker gleichermaßen wie die Mitarbeiter in den Apotheken betreffen, hinterließ das Jahr eben auch spezifische Spuren. Die Energiepreise und die Inflation führen ja auch oder gerade in Apotheken zu Herausforderungen auf der Umsatz- und Kostenseite. Die durch die Inflation hervorgerufene Kaufzurückhaltung äußert sich eben auch in Apotheken. Und auf der Kostenseite können die fünf Kostenpositionen, die vom klassischen Einzelhandel als im Jahr 2022 extrem herausfordernd etikettiert worden sind, ebenfalls auf Apotheken übertragen werden, da auch sie – wenngleich mit Gütern der besonderen Art – Ladenlokale mit Beratungsfunktion vorhalten. Den gestiegenen Transportkosten, die sich in den Rechnungen der Großhändler niederschlagen, stehen die Energiepreise gegenüber, die auch in Apotheken nicht wegzudiskutieren sind. Die Mitarbeiter werden vor dem Hintergrund der Teuerung nach Gehaltsimpulsen fragen, bei Mieten könnten die oft an die Inflationsrate angelehnten Indexmieten richtig wehtun und schließlich ist bei auslaufenden Fremdkapitalverträgen mit danach deutlich gestiegenen Zinsbelastungen zu rechnen. Wenn die Kerze also von beiden Seiten brennt, fällt das ökonomische Kalkül bei der Mehrheit bescheiden aus. Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist aus Apothekensicht nicht vergnügungssteuerpflichtig und entzieht weiteren ökonomischen Boden. Zukunftsprojekte wie das E-Rezept stagnieren und lassen ein seltsames Bild entstehen. Wenn auch mancher ob dieser Entwicklung beim E-Rezept nicht nur unglücklich sein dürfte, manifestiert es doch ein wenig modernes Image des Apothekenwesens.

Einzig können die pharmazeutischen Dienstleistungen Licht ins Dunkel bringen. Und dies nicht zwingend anhand der schon erreichten Zahlen, sondern vielmehr, weil dadurch das Betonhafte der apothekerlichen Honorierung aufgebrochen und ein Weg vorgezeichnet wurde, der auch in den nächsten Jahren wohl bestimmend sein wird: die evolutionäre Anpassung der Interpretation der Auf­gaben von Apotheken und deren Honorierungsmöglichkeiten.

Das Spektrum der deutschen Weihnachtslieder zeigt das Spannungsfeld der Apothekerschaft 2022 auf: zwischen „Was soll das bedeuten“ und „Herbei, oh ihr Gläubigen“. |

 

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de

 

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