Kongresse

Von undichten Staudämmen bis zu bispezifischen Antikörpern

Antikoagulation zwischen Thromboembolie und Blutung

Koagulation, Antikoagulation und das komplexe Gerinnungssystem standen im Fokus von zwei Pharmacon-Meran-Vorträgen.
Foto: DAZ/dm

Prof. Dr. Martin Hug

Prof. Dr. Martin Hug, Apotheke des Universitätsklinikums Freiburg, gab einen Überblick über die Behandlung angeborener und erworbener Gerinnungsstörung und warf einen opti­mistischen Blick in Richtung Gentherapie. Er beschrieb die Blutgerinnung wie das kindliche Bauen eines Staudamms, bei dem zunächst größere Steine den Fluss einschränken und später Schlamm und Zweige die Lücken schließen. Dabei sind alle Elemente des Damms wichtig, damit dieser stabil ist. Fehlt ein Element, so kann der Damm nicht halten. Er ging besonders auf die Behandlung der unterschiedlichen Formen von Hämophilie ein. Ein genetisch bedingter Mangel einzelner Gerinnungsfaktoren kann sehr gut durch die Gabe entsprechender Faktoren behandelt werden. Dabei gab es in den letzten Jahren Veränderungen im Hinblick auf Plasmafaktoren und rekombinante Faktoren. Die Bildung von Antikörpern gegen als körperfremd erkannte Gerinnungsfaktoren kann deren Wirksamkeit erheblich senken. Früher galten Plasmafaktoren als überlegen, da sie weniger zur Bildung von Antikörpern führten, mittlerweile konnten rekombinante Faktoren aber durch Modifizierungen wie Pegylierung erheblich verbessert werden.

Für die Behandlung von Hämophilie A hob Hug das 2018 zugelassene Emicizumab hervor. Der bispezifische Anti­körper wird subkutan appliziert und kann die Funktion des fehlenden Faktor VIII übernehmen, indem er Faktor IXa und Faktor X bindet und in räumliche Nähe bringt, sodass durch die Interaktion der beiden Faktoren der aktivierte Faktor Xa gebildet wird. Die subkutane Anwendung unterscheidet den Antikörper von intravenösen Therapiealternativen und muss nur alle ein bis vier Wochen erfolgen. Bei der Behandlung mit Emicizumab ist zu beachten, dass wie bei anderen Gerinnungsfaktoren auch gegen dieses gerichtete Antikörper gebildet werden können.

Hoffnungen für die Zukunft, so Hug, liegen auf einer Reihe von Gentherapien, wie Valoctocogen Roxaparvovec. Das zur Behandlung der Hämophilie A vor der Zulassung stehende Therapeutikum baut auf einen Adenovirus als Vektor auf. Über Transfektion eines intakten Faktor-VIII-Gens und eines leberspezifischen Promoters konnte die hepatische Produktion von Faktor VIII deutlich gesteigert und das Auftreten behandlungsbedürftiger Blutungen signifikant gesenkt werden.

Eine Reihe von Gentherapeutika ist derzeit in der Entwicklung. Die bisherige Behandlung angeborener Gerinnungsstörungen ist kostenintensiv und für die Patienten mit großem Aufwand verbunden, sodass große Hoffnungen auf der Gentherapie liegen, die eine langfristige Heilung statt regelmäßiger Behandlung verspricht.

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Prof. Dr. Susanne Alban

AMTS bei Antikoagulation

Prof. Dr. Susanne Alban vom Pharmazeutischen Institut der Christian-­Albrechts-Universität Kiel gab ein Update zum Status quo der Antikoagulation und warf einen Blick in die Zukunft der Gerinnungshemmung mit einem vielleicht reduzierten Blutungsrisiko. Wenn es um Antikoagulation geht, geht es immer auch um das Thema Blutungsrisiko und Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) – und das nicht nur bei den verhältnismäßig neuen direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK). Alban erläuterte bezogen auf die Heparine, dass mittlerweile fünf Enoxa­parin-Biosimilars zugelassen worden sind, die Zulassungsbedingungen aber gegenüber anderen Bio­logika vereinfacht waren. Und sie erinnerte an einen Rote-Hand-Brief zu dem Enoxaparin-Biosimilar Inhixa: Die Probleme seien technischer Natur gewesen, weil es zu einer Auto-Aktivierung des Nadelschutzes kam.

Was das Blutungsrisiko anging, machte Alban auf die seit Kurzem zugelassenen Antidote aufmerksam und auf Prothrombinkomplex-Konzentrate (PPSB). Neu ist auch, dass Rivaroxaban seit 2021 als Granulat zur Herstellung einer Suspension auch für Kinder in der Lauer-Taxe gelistet und zugelassen ist. Von Dabigatran gibt es nur Kapseln, die wegen ihrer Größe für Kinder ungeeignet sind. Für die genaue Kinder-Dosierung von Antikoagulanzien empfiehlt sich ein Blick in die Fachinformation.

Ganz grundsätzlich müsse bei der Antikoagulation auf die richtige Dosierung geachtet werden. Die therapeu­tische Dosierung dürfe nicht mit der prophylaktischen verwechselt werden. Bei den Heparinen sei für Tinzaparin und Dalteparin im Gegensatz zu den anderen Wirkstoffen keine relevante Akkumulation bei chronischer Nieren­erkrankung zu erwarten. Bei den DOAK muss die Dosis bei eingeschränkter Nierenfunktion angepasst werden, je nach Arzneistoff unterschiedlich, was die Dosierung wiederum anfällig für Fehler mache – und schließlich auch in einer erhöhten Mortalität münden könne.

Bei den Arzneimittel­interaktionen der DOAK sei eher an pharmakodynamische als an pharmakokinetische zu denken. Dennoch müssten beide ernst genommen werden. Grundsätzlich sollen Apothekerinnen und Apotheker auf das Schulungsmaterial und die Patientenausweise hinweisen, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zur Verfügung stellt. So könne die Arzneimitteltherapiesicherheit erhöht werden.

Ein Dauerbrenner auch in der Apotheke ist die Frage, wie lange antikoaguliert werden sollte. Alban stellte ein Ampelschema vor, wonach im grünen Bereich nach drei Monaten die Antikoagulation gestoppt werden sollte, im gelben Bereich der Arzt abwägen muss und im roten Bereich die Einnahme unbegrenzt ist. Man solle jedoch auch dann niemals „immer“ sagen.

Als Zukunftskonzept stellte Alban schließlich die Hemmung von Faktor XI(a) vor, der Sehnsucht nach einer antithrombotischen Therapie ohne Blutungen folgend. Doch es werde noch einige Jahre dauern, bis man wisse, ob solche Präparate den Sprung in die Klinik schaffen werden. |

jv/dm

Inclisiran ausgezeichnet

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Der PZ-Innovationspreis 2022 wurde an Aurelia von Kapff (Mitte) und Andrea Kammerloher-Noll von Novartis Pharma überreicht von Sven Siebenand, Chefredakteur der PZ.

Jedes Jahr zeichnet eine Jury das innovativste neue Medikament mit dem PZ-Innovationspreis aus. Aus insgesamt 44 neuen Arzneistoffen aus dem Jahr 2021 wurde der neue Lipidsenker Inclisiran (Leqvio®) der Firma Novartis Pharma ausgewählt. Inclisiran ist zugelassen zur Behandlung Erwachsener mit primärer Hypercholesterolämie oder gemischter Dyslipidämie. Es reguliert über den Mechanismus der RNA-Interferenz die Synthese des Proteins PCSK9 herunter und senkt damit die LDL-Cholesterol-Spiegel im Blut drastisch. Ein weiterer Vorteil des neuen Wirkstoffs: In der Erhaltungsphase wird Inclisiran nur alle sechs Monate subkutan injiziert.

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